Bundesliga
Tröstliches
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| Montag, 6. März 2006Roland Zorn (FAZ) erholt sich beim bunten 24. Spieltag der Bundesliga: „Nach und vor den beschwerlichen Dienstreisen gen Italien ein angenehmes, erheiterndes, menschelndes Bundesliga-Wochenende: Viele werden es als eine Wohltat empfunden haben. Mal keine Extrapressekonferenz mit nichtssagenden Bundestrainer-Statements, mal keine zerknirschten Sündergesichter, mal keine Fußball-Staatskrise – sieht man von dem belustigenden Ansinnen einiger Mitglieder des Sportausschusses ab, Jürgen Klinsmann nach Berlin einzubestellen: Die Normalität des sportlichen Lebensbegleiters Bundesliga hat etwas Tröstliches auch für den, der sich jetzt schon vor der großen deutschen Blamage bei der Weltmeisterschaft fürchtet.“
Bayern München–Hamburger SV 1:2
Offenlegung grundlegender Defizite
Erster Sieg in München seit 1982 – Heinz-Wilhelm Bertram (BLZ) beschreibt den Erfolg der Erben Hrubeschs: „24 Jahre später schienen Geist und Tatkraft von damals zurückgekehrt zu sein. Imponierend, wie durchdacht und leichtfüßig die Norddeutschen durch lichte bayerische Reihen tanzten. Geschickt nahmen sie in der Mitte Michael Ballack und auf den Außenbahnen Hasan Salihamidzic und Sebastian Deisler aus dem Spiel. Es war dies die Offenlegung grundlegender Defizite eines auf hohem Niveau nur eingeschränkt wettbewerbsfähigen Bayern-Teams. Ab einem bestimmten Level versagen Ballacks Führungsqualitäten. Die Stürmer stoßen bei einer robusten, technisch begabten Abwehr an Grenzen. Zu strukturellen Problemen kommen saisonale: Weil sie außer Form sind, können die Nationalspieler Deisler, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger Mängel nicht auffangen.“ Elisabeth Schlammerl (FAZ) führt die Niederlage der Bayern auf Nachlässigkeit zurück: „Die Münchner haben es in dieser Saison bisher fast immer perfekt beherrscht, Tempo und Engagement den Spielbedürfnissen anzupassen und brenzlige Situationen zu lösen. Da nimmt die Konzentration beinahe automatisch ab, und irgendwann einmal gelingt es eben nicht mehr, den Schlendrian rechtzeitig aus dem Spiel zu bekommen. Es hatte sich schon angedeutet in den vergangenen Wochen, daß der FC Bayern wieder einmal reif war für eine Niederlage. Es gibt für die Münchner eben größere Herausforderungen, als sich um die Vergrößerung des Vorsprungs zu bemühen. Die europäische Trophäe genießt höchste Priorität. Es ist eine altbekannte Gewohnheit bei den Bayern, daß sie vor internationalen Aufgaben die nationale Pflicht ein wenig vernachlässigen. Die Hamburger haben diese Schwäche auf dem schwer bespielbaren Boden genutzt, waren wie bei ihrem Sieg im September lange Zeit die aktivere und zielstrebigere Mannschaft.“
Schmuddelkind
Klaus Hoeltzenbein (SZ) schleicht immer wieder durch das Gartentor und in die Kaninchenställe: „Man ist ja ein wenig aufgeschreckt, als der Stadionsprecher verkündete: ‚Mit der Nummer 7, Mehmet…‘, und das Publikum durch ein begeistertes ‚Scholl!‘ zu erkennen gab, wie sehr es sich über das Wiedersehen freute. Zwar wurde er auch in dieser Saison meist eingewechselt, aber es ist dann doch immer so, als würde der Lautsprecher eine Begegnung mit einer Person aus einer anderen Zeit versprechen. In der Bernd Schuster noch spielte. Klaus Augenthaler. Und natürlich Rudi Völler. Aber auch wenn die Restzweifel bleiben, es muss sich um jenen Scholl gehandelt haben, von dem es heißt, er sei noch immer Bayern-Profi und inzwischen 35 Jahre alt. Dieses Tor, das war ein Original, niemand ist in der Bundesliga gefolgt, der es hätte fälschen können. Schon gar nicht auf diesem Arena-Boden, einer ackerbaulichen Nutzfläche, auf der in Kürze, so war zu hören, zur Zucht der Allianz-Kartoffel übergegangen werden soll. Noch wird es mit Fußball versucht, doch wenn er so daherkommt wie am Samstag, dann sollten sie sich das mit der Kartoffel noch einmal überlegen. Mehmet Scholl, falls er es war, legte den Oberkörper quer, dass er gerade noch das Gleichgewicht behielt, und trieb den Ball mit dem Spann, wie es Schmuddelkindern eine Freude ist: flach über die Schmierfläche, beschleunigend bis zur Unhaltbarkeit. (…) Trotz dieser magnetischen Wirkung auf Ball und Publikum tritt Scholl nur noch in Nebenrollen auf. Der einzige Autonome der Liga verwaltet sein persönliches Spätwerk.“
FR: Kahn sieht Fehler nur bei Vorderleuten – Münchner Torwart leitet Niederlage ein und versteht danach die Welt nicht mehr
Hertha BSC Berlin–1. FC Köln 2:4
Um Verständnis und Geduld werben
Michael Rosentritt (Tsp) fordert von den Berlinern Ehrlichkeit: „Hertha könnte endlich sagen, was Sache ist. So muss der Verein sagen, dass es jetzt nicht mehr nur darum geht, irgendwelchen Saisonzielen hinterherzurennen, sondern überhaupt weiter im Profifußball mitspielen zu dürfen. Denn in Kürze vergibt die DFL die Lizenzen. Hertha müsste sagen, dass und wie der Verein wirtschaftlich wieder auf solide Füße zu stellen ist, um dessen Existenz über Jahre zu sichern. Hertha müsste sagen, dass bis zum Juni knapp 20 der 35 Millionen Euro Schulden in mittelfristige Verbindlichkeiten umzuwandeln sind und dies nicht so leicht ist bei der Vorgeschichte. Hertha müsste sagen, dass die Liquidität in den vergangenen Jahren nur durch Vorgriffe auf künftige Einnahmen gesichert wurde. Hertha müsste sagen, dass dies Einfluss auf die Zusammenstellung des Kaders hatte. Hertha bräuchte nicht zu sagen, dass es dem Kader an Qualität fehlt. An Qualität, die nur bedingt aus dem eigenen Internat erwachsen kann, sondern von außen hinzugekauft werden müsste, aber eben nicht konnte. Und Hertha müsste sagen, dass dies alsbald auch nicht möglich sein wird. Also müsste der Verein seine Ziele auf ein realistisches Maß korrigieren und dafür um Verständnis und Geduld werben.“
Reden statt reagieren
Matthias Wolf (FAZ) hingegen wünscht sich Taten: „Seit Wochen werden Dieter Hoeneß seine Fehler im finanziellen und sportlichen Bereich auch von der Basis vorgehalten – aber diesmal schien es ihn zu treffen. Hoeneß, der sich sonst immer der Presse stellt, schwieg. Es dauerte eine unruhige Nacht, bis er am nächsten Tag die Fassung wiedergefunden hatte. Doch keine Spur von Selbstkritik, Hoeneß reagierte vielmehr wütend. Er werde nicht zulassen, daß ‚eine kleine Gruppe Fans das Gesamtbild zerstört‘. Das paßt ins Bild: Schon vor dem Spiel waren von Ordnern kritische Spruchbänder auf Anweisung von oben konfisziert worden. Weit weniger angriffslustig als diese Kritiker bekämpft der Manager weiter die öffentliche Trainerdiskussion. Abermals gab es kein deutliches Bekenntnis zu Falko Götz. Die traurige Show geht weiter, obwohl Götz quasi eine Steilvorlage für die Trennung geliefert hatte. Nach dem Spiel wirkte er derart angeschlagen, daß es schwerfällt zu glauben, er könnte noch wachrütteln in der Krise. ‚Mir fehlen die Worte‘, sagte Götz sichtlich bewegt, ‚unfaßbar, was heute passiert ist. Ich bin nur noch sprachlos.‘ Alles hörte sich so an, als sei da einer mit seinem Latein ziemlich am Ende. (…) Sie bleiben sich treu in Berlin: reden statt reagieren.“
Tsp: „Der Klub ist nicht ehrlich“ – ein Fanvertreter Herthas über die Situation der Anhänger
Bayer Leverkusen–Werder Bremen 1:1
Als spiele Deutschland gegen Deutschland
Bernd Müllender (taz) findet ein abwertendes Attribut für seine Spielbeschreibung: „Das Spiel war ein sehr deutscher Nachmittag gewesen. Zum Beispiel war da ein Kartoffelacker von Spielfeld. ‚Nicht unbedingt der Traumrasen‘, spaßte Thomas Schaaf über den Boden, der auch gut in eines der wachstumshemmenden WM-Stadien gepasst hätte. Naturverbundener urteilte Kollege Skibbe: ‚Der lange Winter nimmt sich vom Platz, was er braucht.‘ Da waren auch 45 Minuten lang wunderbar fahrlässige Abwehrrecken zu bewundern, als spiele hier Deutschland gegen Deutschland. In der zweiten Halbzeit wirkten die überhasteten Angriffsbemühungen so stümpern, als spiele Calmund mit sich selbst Provisionenbingo. Die Melodien dazu kamen von Schiedsrichter Herbert Fandel, jenseits des Pfeifendaseins Konzertpianist und Leiter der Musikschule in Bitburg. Er hatte das Match kleinlich in seine Akkorde zerlegt. Werders frühem Führungstor durch gefringsten Elfmeter folgte Berbatows Ausgleich, bei dem die Fandelmannschaft eine Abseitsstellung übersehen hatte.“ Gregor Derichs (FAZ) ist mit Bremen nicht zufrieden: „Nach einer befriedigenden Leistung in der ersten Halbzeit fiel der SV Werder in allen Mannschaftsteilen auf ein schwaches Niveau ab. Der Auftritt löste erhebliche Bedenken aus. Das Paßspiel blieb mit wenigen Ausnahmen ungenügend, die taktischen Vorgaben wurden nicht umgesetzt, die sonst vorbildlich praktizierten Spielverlagerungen gab es nicht. Allerdings präsentierten sich die Leverkusener, für die das Erreichen eines Uefa-Pokal-Platzes wieder realistisch geworden ist, wesentlich verbessert im Vergleich zur schwachen Hinrunde.“
Hannover 96–Schalke 04 1:2
Schmutzig
Marcus Bark (taz) befaßt sich mit Schalker An- und Auftrieb: „Mirko Slomka ist in den vergangenen Wochen in erster Linie als der nette Herr Slomka wahrgenommen und medial verarbeitet worden, was ihm nicht nur peinlich ist. Es stört ihn. Peinlich ist ihm auch, wenn er dafür verantwortlich gemacht wird, dass Schalke die beste Rückrundenmannschaft ist. Slomka stellt die Spieler in den Vordergrund. Die Mannschaft gilt seit Jahren als schwierig. Mit dem ehemaligen Co-Trainer des ungeliebten Ralf Rangnick, so ist zu hören, komme sie bestens zurecht (…) Der Erfolg der Schalker war fraglos verdient, wenn auch nicht glanzvoll. Das scheint die neue Masche zu sein. Mit Ausnahme des spektakulären 7:4 gegen Bayer Leverkusen gelangen in der Rückrunde Siege, die unter Fußballern anerkennend als ’schmutzig‘ bezeichnet werden.“
1. FC Nürnberg–MSV Duisburg 3:0
Goldene Regeln
Jochen Breyer (SZ) liest den Nürnberger Entwicklungsroman: „Robert Vittek und Ivan Saenko – die Geschichte vom Aufschwung der Nürnberger ist ihre Geschichte, und der Autor ist Hans Meyer. Als Meyer Trainer wurde, war Nürnberg Tabellenletzter, und Vittek und Saenko waren schuld daran. Zumindest glaubte das der damalige Trainer Wolfgang Wolf, er warf beide aus dem Kader. Meyer ist ein Trainergreis, er kennt die goldene Regel, nach der ein neuer Trainer gerade auf die Spieler bauen kann, die unter ihrem Vorgänger gelitten haben. Gäbe es einen Ratgeber für Retter, so stünde es schon im Vorwort: Richte die Spieler auf, die erniedrigt wurden! Sie wollen beweisen, dass ihnen Unrecht getan wurde. Ebenso weiß Meyer, dass man vor allem zwei Typen von Spielern den Rücken stärken muss, damit sie brillieren: jenen, die zu wenig von sich halten, und jenen, die zu viel von sich halten. Typ 1, das Sensibelchen, das ist Vittek. Nach der verkorksten Vorrunde wollte er schon nach Frankreich flüchten, er hatte das Gefühl, die Mannschaft glaube nicht mehr an ihn. Meyer führte viele Einzelgespräche mit Vittek und schwärmte so oft vom tollen Fußballer Vittek, bis Vittek glaubte, dass Vittek wirklich ein toller Fußballer ist. Seitdem hat er fünf Mal getroffen. Typ 2, die Diva, das ist Saenko. Seit Jahren gilt er als großes Talent, aber als ebenso großer Sturkopf. Als er noch in Karlsruhe spielte, war er von vielen Bundesligisten umworben. Saenko wollte trotz seines Vertrages unbedingt wechseln und tat fortan alles, um rausgeworfen zu werden. Das schaffte er, aber komischerweise war plötzlich niemand mehr an ihm interessiert. Einen Verein hat er trotzdem gefunden, und es war nicht das erste mal, dass ein Spieler, an dem niemand mehr interessiert war, in Nürnberg gelandet ist.“
Höhepunkte
Jürgen Höpfl (FAZ) erkennt den FCN kaum wieder: „Selbst als er das Mikrofon schon abgeschaltet hatte, schwärmte Günther Koch noch vom ersten Tor: Es sei ‚die stärkste Szene‘ gewesen, die er vom 1. FC Nürnberg ’seit fünf, ach was, zehn Jahren‘ gesehen habe, erzählte der bei aller gebotenen Neutralität für seine Club-Leidenschaft bekannte Fußballreporter. Ein nicht meßbarer, aber angemessener Vergleich. Daß ein Angreifer eine flache Hereingabe absichtlich durchrutschen läßt, um einen anderen Angreifer in bessere Schußposition zu bringen, gehörte bislang nicht zum Repertoire der Franken. Beim erstaunlich dominant herausgespielten, nicht nur hart erkämpften, sondern mit Herz und Verstand erzielten Sieg gegen den in allen Mannschaftsteilen enttäuschenden MSV Duisburg demonstrierte der 1. FC Nürnberg den bisherigen Höhepunkt seiner unter Meyer erreichten Fortschritte.“