Deutsche Elf
Fehleinschätzung
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| Mittwoch, 8. März 2006Ludger Schulze (SZ) gibt dem Bundestrainer schlechte Kopfnoten: „Jürgen Klinsmann scheint nicht verstanden zu haben, dass er in seiner Eigenschaft als Fähnleinführer der Nationalmannschaft zumindest einige Pflichten zu erfüllen hat, auch wenn sie nur repräsentativer Natur sind. Seine eigenen Worte, wonach die WM eine auf 50 Jahre hinaus einmalige Sache für dieses Land sei, führt er durch sein demonstratives Desinteresse ad absurdum. Es mag sein, dass die Inhalte beim Workshop nicht von vitalem Gehalt für die unmittelbare Zukunft der Nationalelf waren, aber darum geht es nicht. Vielmehr verstört die strategische Fehleinschätzung des Bundestrainers, der seinen zahlreichen Kontrahenten und Kritikern in einer angespannten sportlichen Lage immer noch mehr Munition in die Hand spielt. Um weitere Angriffsflächen zu vermeiden, täte Klinsmann gut daran, seine Sturköpfigkeit zu überwinden und sich an Ort und Stelle um die Probleme zu kümmern. So kann er verhindern, dass aus einer den perfidesten Boulevardregeln folgenden Kampagne, die seine Demontage nun erstmals offen betreibt, ein Volkschor wird.“
Schutzschild
Alles Taktik, meint Pavo Prskalo (SpOn): „Die großen Defizite waren in Florenz unverkennbar: Die Abwehr löchrig, Stürmer wie Miroslav Klose waren nicht zu sehen, Michael Ballack spielte unterirdisch. Doch kaum einer kritisierte die Mannschaft. Alle dagegen schossen gegen Klinsmann. Die Medien haben einen Sündenbock, die Spieler ihre Ruhe. Eigentlich macht es Klinsmann genau wie José Mourinho. Er stellt sich vor sein Team, ist das Schutzschild. Durch gezielte Provaktionen lenkt er die Aufmerksamkeit auf sich. Öffentlich einen ihrer Spieler zu kritisieren, das würde keiner der beiden. Dies geschieht vor der Mannschaft oder im Einzelgespräch. Allerdings hat Klinsmann einen gehörigen Nachteil im Vergleich zu seinem portugiesischen Kollegen: Er hat keinen Roman Abramowitsch.“
Heuchlerisch
Moritz Schuller (Tsp) lässt die Vorwürfe an den Fußballtrainer Klinsmann ins Leere laufen: „Dass Klinsmann seine Prinzipienfestigkeit durch Sturheit belegen muss, indem er nicht nach Deutschland zieht, ist eitel, aber egal. Dass seine Taktik nicht aufging und Matthias Sammer gegen seinen ausdrücklichen Willen Sportdirektor des DFB – und damit höchstwahrscheinlich sein Nachfolger – wurde, ist aber auch Ergebnis seiner Umgangsformen. Diplomatisches Fingerspitzengefühl ist für einen Bundestrainer hilfreich, aber schließlich auch nicht notwendig: Wie sonst hätte Franz Beckenbauer je Weltmeister werden können? Und auch soziale Kompetenz ist nicht unbedingt notwendig: Wie sonst hätte es Berti Vogts geschafft, Europameister zu werden? Auch auf Beckenbauer, sonst die Leichtigkeit in Person, scheint dieser Druck inzwischen zu wirken. Er, für den alle Kritik an der WM-Vorbereitung immer nur Schlechtmacherei ist, kritisiert wiederholt den Bundestrainer als schlecht erzogen. Doch seit wann muss man gut erzogen sein, um eine Mannschaft zum Erfolg zu bringen?“ Thomas Kilchenstein (FR) rät zur Mäßigung: „Man sollte in diesen hektischen Tagen, da die Entrüstung über den obersten Seminarschwänzer fast dramatische Züge anzunehmen droht, den Ball flacher halten. Dass Klinsmann den Fifa-Workshop im WM-Gastgeberland nicht für wichtig genug erachtet hat, war ein grober taktischer Fehler. Aber jetzt praktisch den Untergang des fußballerischen Abendlands auszurufen und mindestens die sofortige Abberufung des Bundestrainers ohne vollen Lohnausgleich zu fordern, ist doch in hohem Maße populistisch, ja sogar heuchlerisch.“
Theo Zwanziger im Welt-Interview kontert Franz Beckenbauer: „Ich kann verstehen, wenn er darüber verärgert ist, daß der Bundestrainer nicht anwesend ist. Ich mag Beckenbauer. Aber ich muß auch sagen, daß seine Kritik sehr heftig ist. Das werden wir sicherlich in einem Gespräch mit ihm noch einmal erörtern.“
SZ: Kritik an Klinsmann wächst, doch der verteidigt sich von Kalifornien aus
Klinsmann im sid-Interview, faz.net
Video über Beckenbauers Rüffel, faz.net
Tsp: worum es beim WM-Workshop ging