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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Champions League

Federleicht

Oliver Fritsch | Mittwoch, 8. März 2006 Kommentare deaktiviert für Federleicht

Dirk Schümer (FAZ) würdigt die Standards der italienischen Fußballbildung am Beispiel des AC Mailand: „In Italien steht ‚il modulo‘ über den persönlichen Eitelkeiten der hochbezahlten Stars. Mit ‚Modul‘ bezeichnet man die eiserne taktische Disziplin italienischer Mannschaften. Der Trainer brütet wie ein Ingenieur über verschiedene, genau eingespielte Varianten und setzt seine Spieler baukastenartig ins System, wo sie dann zu funktionieren haben. Weil die Laufwege und die Raumverteilung bis ins Detail abgesprochen sind, können sich vor allem die Stürmer blind aufeinander verlassen und ihre wenigen Chancen kalt verwerten. So ähnlich könnte es auch gegen die Bayern ablaufen, denn den Minimalisten von Milan würde ohnehin ein 0:0 reichen – ein Ergebnis, das niemand in der Berlusconi-Truppe als ehrenrührig empfände. Schließlich dreht sich in Mailand alles um den Erfolg und nicht um die Frage, durch wen und mit welchen Mitteln und Zahlen er zustande kommt. Mit dem italienischen Modul, in das sich selbst Weltstars wie Schewtschenko klaglos einfügen, können sich Zugereiste nur schwer abfinden. (…) Wie diszipliniert die Italiener sich von den Jugendmannschaften aufwärts in die taktischen Vorgaben ihrer Fußballschule einfügen, zeigte das federleichte 4:1 von Florenz: Während die Deutschen mit immer denselben vorhersehbaren Spielzügen ihren einzigen Star suchten und sich festrannten, konnten bei den Azzurri Außenverteidiger zu Stürmern mutieren und immer neue, überraschende Varianten im Modul durchgespielt werden. Daß zahlreiche Italiener in ihren Vereinen am Wochenende nur zu Kurzeinsätzen kommen, war ihnen jedenfalls nicht anzumerken.“

Exotik des Fremdlings

Andrej Schewtschenko, die Veredelung des AC Mailand – Birgit Schönau (SZ): „Schewtschenko ist nicht die Seele der Mannschaft, so etwas verkörpert eher der ruppige, nimmermüde Rino Gattuso. Eine ziemlich rustikale Seele für einen der teuersten Klubs der Welt. Gattuso verleiht Milan Bodenhaftung. Schewtschenko schenkt an seinen besten Tagen Poesie. Er kann etwas Schwebendes haben, schwerelos sein wie die Eistänzer aus seiner Heimat, denen man bei der Kür die Strapazen des eisenharten Trainings nicht ansieht. Von großer Leichtigkeit ist Schewtschenko dann, wieselflink, falkenschnell, nicht zu halten und nicht zu fassen. Tore bringt er immer. (…) Neben Schewtschenko sieht Alberto Gilardino wie ein Greenhorn aus. Ein viel versprechendes Talent im Schatten des Meisters. Shevas zweiter Kompagnon Filippo Inzaghi ist der mit allen Tricks vertraute Opportunist – den Ruf mit vielen Schwalben ruiniert und daher gänzlich ungeniert. Schewtschenko hingegen verteidigt geradezu manisch seine Fama als disziplinierter Champion. Trotzdem hat er in Mailand die Exotik des Fremdlings nie ganz ablegen können. In einer Mannschaft voller Brasilianer wirkt der Osteuropäer, immer noch wie ein Außerirdischer.“

FC Bürgerlich

Heinz-Wilhelm Bertram (FTD) hält die Mannschaft des FC Bayern nicht zu Höherem bestimmt: „Auch wenn die Verantwortlichen beharrlich saisonspezifische Probleme – Verletzungen und Formschwächen – dafür verantwortlich machen: Die Defizite liegen tiefer. Sie haben fundamentalen Charakter. Und Hinweise darauf kamen sporadisch immer mal wieder von den Bossen höchstselbst. So beklagte Uli Hoeneß wiederholt, dass Ze Roberto kaum einmal torgefährlich sei. Doch es gibt in der Mannschaft auch den Gegenentwurf zum dribbelfreudigen Brasilianer. ‚Sebastian Deisler ist ein klassischer Geradeausspieler‘, bemängelte Felix Magath des öfteren. Weshalb der Nationalspieler selten zum Einsatz kommt. Magaths unbestrittener Lieblingsschüler Hasan Salihamidzic hat unbestrittene konditionelle Schwächen. Im Sturm ist Roy Makaay als fast ausschließlich aufs Konterspiel spezialisierter Angreifer von Unachtsamkeiten der gegnerischen Abwehr abhängig. Claudio Pizarro lebt hauptsächlich von Wucht und Rempeleinsatz. Die Feintechnik und Gewandtheit, die beiden Stürmern abgeht, hat Paolo Guerrero zwar, dafür ist er für eine Spitzenkraft etwas zu langsam. Es ist dieses Eindimensionale, was etliche Spieler latent in die Nähe der Reservebank rückt. Ab einem bestimmten Niveau im internationalen Wettbewerb hinterlässt diese Tendenz zur Mittelmäßigkeit Spuren. Das ist kein saisonales, sondern ein hartnäckiges strukturelles Problem. Und wo ist der Geist der Piraterie geblieben, um die prachtvollsten Schätze des Fußballs mit unerlässlich unersättlicher Gier an sich reißen zu wollen? Der gesunde Rebellengeist, den einst Lothar Matthäus umtriebig wach hielt? Der FC Bayern 2006, das ist eine Gruppierung von Kickern, die an bravem, biederem Fußballbürgertum zu ersticken droht. Ein ‚FC Bürgerlich‘.“

Sorgenkind

Elisabeth Schlammerl (FAZ) macht sich Gedanken über Roy Makaay: „Früher waren die Spiele, in denen er nicht getroffen hat, rar, jetzt sind es die, in denen er trifft. Der Holländer gibt seit Monaten Rätsel auf. Vermutlich muß seine Geschichte beim FC Bayern sogar neu geschrieben werden, denn bisher galt er als eiskalter Vollstrecker vor dem Tor, als Fußballprofi ohne große Emotionen. Aber irgend etwas muß passiert sein mit Makaay, daß er derart anhaltend außer Tritt geriet. Die Verletzung, die er sich Ende August zugezogen hatte, kann daran alleine jedenfalls nicht schuld gewesen sein. Spätestens zu Beginn der Rückrunde hätten die Folgen des Trainingsrückstandes behoben sein müssen. Aber mehr als ein Aufflackern alter Torgefährlichkeit gab es nicht. Magath vermutet, daß Makaay die Nichtnominierung für die Nationalmannschaft arg zugesetzt habe. Vielleicht hat das ausgereicht, um ihn in eine umfassende Krise zu stürzen. Lange umhätschelte vor allem Magath sein Sorgenkind, verteidigte Makaay und stellte ihn trotz massiver Kritik von außen immer wieder auf – bis zur Partie gegen Eintracht Frankfurt vor elf Tagen. Daß damals Paolo Guerrero spielte, durfte als kleiner Denkzettel und zusätzliche Motivationshilfe für den Holländer verstanden werden. Aber womöglich hat diese Verbannung auf die Ersatzbank genau das Gegenteil bewirkt. Makaay ist wohl doch viel sensibler, als es aufgrund seiner abgebrühten Spielweise manchmal den Anschein hatte.“

Robin Hood aus dem Bayerischen Wald

Stefan Osterhaus (NZZ) belächelt die Diskrepanz zwischen Karl-Heinz Rummenigges Forderung nach einer watteweichen Setzliste und seinem armseligen Hang zum Superlativ: „Erneut verblüfft die Hasenherzigkeit des Karl-Heinz Rummenigge, der einen Tag nach dem glücklichen Remis der SZ sein neuestes Bubenstück ankündigte: ‚Dass solche Top-Duelle bereits in der ersten K.-o.-Phase stattfinden, halte ich für verfrüht. Mein Mailänder Kollege Galliani und ich haben darüber beim Mittagessen mit Lennart Johansson Uefa-Präsident gesprochen. Wir haben ihm gesagt, dass wir dafür sind, eine Setzliste einzurichten.‘ Man höre aufmerksam zu – und staune dafür umso mehr: Eine Setzliste, gleich zu Beginn der Gruppenphase, ist effektiv nicht ausreichend, um das Sicherheitsbedürfnis des Anti-Hasardeurs von der Isar zu stillen. Da muss eine zweite her. Vorstösse dieser Art, wonach vor allem die anderen Schuld an der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des Klubs tragen, werden in inflationärer Häufigkeit forciert. Lange war Rummenigges Ruf nach Eigenvermarktung Credo und Allheilmittel in einem. Die Bundesliga hat er der relativ geringen TV-Einnahmen wegen als das Armenhaus Europas identifiziert. Schon vor zwei Jahren monierte die FAZ angesichts der bayrischen Litanei: ‚Wenn der Klub ankündigt, einen Fanartikel-Shop in Japan zu eröffnen, dann ist das der Vorstoss in eine neue Dimension. Nichts ist zu klein, als dass es durch die Besprechung der Bayern-Bosse nicht gross gemacht werden könnte, nichts zu nichtig, als dass es nicht wichtig erscheinen könnte.‘ Zwar geht das Engagement der Bayern in Asien über den Kioskverkauf hinaus. Doch die Klagen des Klubchefs folgen seit langer Zeit der immergleichen Programmatik, wonach sich der einstige Weltklassestürmer insgeheim als ein Robin Hood aus dem Bayerischen Wald wähnt, der im europäischen Klubfussball sein Jagdrevier gefunden hat. Mourinho, der Pöbler von der Themse, mag den Schiedsrichter verdammen und allerlei Umstände für widrig halten. Über einen Gegner vom Kaliber Barcelonas hat sich der Manager des Chelsea FC nie beklagt.“

340.000 Kilometer, Kolbenfresser, Rostbeulen

Oskar Beck (StZ) verweigert Real Madrid den TÜV: „Man denkt an die amerikanischen Straßenkreuzer, die man gelegentlich noch im Gebrauchtwagenhandel findet oder auf halbem Weg in die Schrottpresse: 340.000 Kilometer, Kolbenfresser, Rostbeulen, Plattfuß. (…) Der müde Zinedine Zidane muss sich für seine beschwerlichen Laufwege demnächst ein Taxi rufen, Roberto Carlos wird immer älter und Ronaldo jeden Tag dicker – als Trikot trägt er nun ein Zweimannzelt, und wenn er sich nach einer halben Stunde erstmals bewegt, platzt ihm die Hose. Zidane macht uns Sorgen. Lässt der große Franzose sich inzwischen von einem Stuntman doubeln – spielt da statt des Originals etwa die Fälschung? Wenn er den Ball früher durchs Mittelfeld jonglierte, blieb ihm das Leder am Fuß wie ein treuer Hund. Manchmal zog Zidane sich die Kugel unter der Sohle durch, kickte sie mit der Hacke gegen den anderen Schuh und schickte im nächsten Moment Raul auf Reisen. Oder er tanzte auf dem Ball, drehte sich blitzschnell um die eigene Achse – und schlenzte die Kugel aus engster Umzingelung im Umfallen noch durch die hohle Gasse zu Ronaldo. Zidane war der Maestro der Finten und Haken, jeder Ballkontakt war eine Liebeserklärung, er hat den Ball angezogen, gefordert, erobert – heute scheint er froh zu sein, wenn der Ball ihn in Ruhe lässt. (…) Keiner weiß zwar, wer die Champions League gewinnt – umso sicherer ist, wer sie nicht gewinnt: Real Madrid.“

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