Deutsche Elf
Dissens
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| Freitag, 17. März 2006Nach dem „Friedensgipfel“ bei Angela Merkel – entgegen dem Schein und entgegen anderslautender Schlagzeilen geht Ludger Schulze (SZ) weiter von verschiedenen Auffassungen zwischen Jürgen Klinsmann und Franz Beckenbauer aus: „Das wie festgetackerte Lächeln der beiden Herren lässt nur den Schluss zu, dass es nichts wird mit dem Frieden, den die erste Politikerin des Landes auszurufen gedachte. Stabil ist nach wie vor nur der Dissens, der sich in unvereinbaren Standpunkten in der Standortfrage äußert. Nach wie vor trennen die beiden Welten, oder besser: rund zehntausend Kilometer. Und das ist gravierender als nur eine Meinungsverschiedenheit. Beckenbauer in Fachfragen gegen sich zu haben, ist aus drei Gründen nicht ratsam: einmal, weil Franz Beckenbauer im Laufe der Jahre von der Öffentlichkeit zu einer Art letzter Instanz des Fußballs gemacht worden ist, zu einem Cäsaren, der das Imperium durch Heben oder Senken des Daumens regiert. Zum anderen hat Beckenbauer in der Bild-Zeitung ein massenkompatibles Forum, das jedem, aber auch jedem seiner Gedanken publizistische Wucht verleiht. Und drittens das Wichtigste: Als Chef-Organisator betrachtet Beckenbauer die Weltmeisterschaft als letzten und entscheidenden Pinselstrich an einem von Erfolg durchwirkten Lebenswerk. Sollte sich seine Befürchtung verdichten, dass ein misslungener Turnierauftritt der sportlichen Abteilung ihm die Pointe versaut, wird Klinsmann dafür büßen müssen. (…) Geht auch das Spiel gegen die USA in die Binsen, müsste statt Angela Merkel schon Kofi Annan zum Friedensgipfel rufen.“
Nebenaußenminister
„Angela Merkel stellt sich hinter Klinsmann und lässt Beckenbauer ein wenig alt aussehen“, schreibt Peter Ehrlich (FTD): „Der Bundestrainer sparte auch im Kanzleramt nicht mit Kritik an seinen Vorgängern. Nach 1990 seien die Weichen im deutschen Fußball falsch gestellt worden, monierte Klinsmann. Theo Zwanziger sekundierte, damals hätten die Vereine zu viele zweit- und drittklassige Spieler vor allem aus Osteuropa eingekauft. Ob Franz Beckenbauer als Dauer-Spitzenfunktionär dazu einen Kommentar abgegeben hat, ist nicht überliefert. Seine Äußerungen seien ‚eher philosophisch‘ gewesen. Bei seinem Auftritt vor der Presse hatte sich der ‚Kaiser‘ selbst als Nebenaußenminister der Republik stilisiert. (…) Beckenbauer sollte nach Ansicht anderer Mitglieder des im Kanzleramt eingeladenen WM-Organisationskomitees mit dem Thema Auslandswohnsitz etwas vorsichtiger umgehen. Jedenfalls kam die Sprache darauf, dass Beckenbauer seine Steuern am Wohnsitz Österreich zahlt. Die Frage, wo er denn wohl wählen geht, konnte Beckenbauer offenbar nicht richtig beantworten. Merkel klärte ihn darüber auf, dass er als EU-Bürger das Recht hat, an den österreichischen Kommunalwahlen teilzunehmen.“ Sven Goldmann (Tsp) fügt an: „Die Kanzlerin ist keine ausgewiesene Fachfrau, aber sie hat Klinsmann eines voraus: Sie weiß, wie man einen Bayern wegbeißt. (…) Wer die Machtverhältnisse im Kanzleramt nicht kennt, könnte leicht auf die Idee kommen, der Herr mit dem grauen Haar sei hier der Gastgeber. Mit der ihm eigenen Souveränität plaudert Beckenbauer über Gott und die Welt, selbstverständlich ohne Manuskript und wahrscheinlich ohne Vorbereitung. Bei seinem letzten Besuch im Kanzleramt ist ihm Außenminister Frank-Walter Steinmeier über den Weg gelaufen, ‚da hab’ ich ihm zugerufen: Hallo, Herr Kollege!‘ Eine Reaktion von Steinmeier ist nicht überliefert. Wahrscheinlich hat er brav zurückgegrüßt.“
Angela Merkels erster Auftritt von nationaler Bedeutung
Nico Fried (SZ/Seite 3) lenkt den Blick auf Merkel: „Diesen Termin hatte das Kanzleramt zu Anfang unterschätzt wie einen angeschnittenen Freistoß, bei dem sich der Ball plötzlich gefährlich aufs Tor zudreht. Nur einige Fotografen und Kameraleute waren ursprünglich vorgesehen. Dann aber wollten die Anmeldungen kein Ende nehmen. Und so entschloss man sich, den Termin aus dem beengten siebten Stock in die geräumige Lobby zu verlegen, vor jene blaue Wand mit dem Bundesadler, an der sonst höchste Staatsgäste empfangen werden. Fußball-Gipfel in Berlin. Kaiser, Klinsi, Kanzlerin. Angela Merkels erster Auftritt von nationaler Bedeutung. Schon eine Stunde vor dem Ereignis standen die Journalisten an der Pforte des Kanzleramts, n-tv übertrug live. Das österreichische Fernsehen schickte ein Kamerateam, das japanische auch. Und als es endlich so weit war, beugte sich auch Merkel süffisant dem Erwartungsdruck: Sie habe viel mit Politik und Reformen zu tun, aber dies alles sei ‚natürlich nichts im Vergleich zu dem, womit wir uns heute Abend beschäftigen‘. Merkel und der Fußball, das ist nach der großen Koalition mit der SPD die zweite Zwangszusammenführung, die sich die Kanzlerin wohl lieber erspart hätte.“ Michael Reinsch (FAZ) tut ihre Ausgeglichenheit gut: „Angela Merkel behauptete, sie werde kein Machtwort in der Torwartfrage sprechen, sich nicht einmischen in die Diskussion um Viererkette und Mittelfeld-Raute. Fußball war lange ironiefrei. Hätte Angela Merkel den neuen, allzu aufgeregt klingenden Tenor des WM-Fiebers treffen wollen, sie hätte genau das Gegenteil sagen müssen. Denn nahezu ohne Übergang ist der Fußball in der Absurdität angekommen.“
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McKlinsey im Herbergerland
Rüdiger Barth und Bernd Volland (Stern) schauen zurück auf eineinhalb Jahre Klinsmann und Deutschland – und eineinhalb Jahre Entfremdung: „Er kam über den deutschen Fußball wie ein Unternehmensberater über einen Sanierungsfall – McKlinsey im Herbergerland. (…) Klinsmanns Konzept roch für manche Deutsche nach Ferndiagnosen und Klugscheißerei. Dieser Klinsmann, meinten sie zu spüren, ist keiner von uns, er ist zu amerikanisch. Und dann kam er auch noch mit Fitnesstrainern und einem Psychocoach an, in den USA sei das Standard. Aber warum sollten wir von Amerika lernen? Im Fußball, wir, das Herbergerland, sieben WM-Endspiele, drei Titel? Die Seele dieser Nation ist natürlich schizophren. Die Deutschen behaupten gern, keinen Ergebniskick sehen zu wollen, Querpass, Rückpass. Nun also Risiko. Doch wehe, es geht schief. Sofort fordern sie Blut, Schweiß und Grätschen. Im Scheitern sind die Deutschen schwach. (…) Er hat sich Feinde gemacht, im Lauf der Monate. Und kaum Verbündete gewonnen, das ist der Preis des Lonesome Cowboy.“
Speerspitze
Marko Schumacher (StZ) beanstandet den Mißmut in der nationalen Klinsmann-Debatte: „Einen Aufschwung hat sich Deutschland von der WM erhofft, was die Wirtschaft betrifft und das Lebensgefühl sowieso. Und jetzt vergeht kein Tag, an dem nicht neue negative Fußballschlagzeilen die Republik erschüttern – und fast jedes Mal ist der Bundestrainer der Sündenbock. Im Stundentakt schicken die Nachrichtenagenturen Eilmeldungen zum Zustand der Nationalmannschaft über den Ticker – weil quasi im Minutentakt prominente und weniger prominente Menschen ihre Sorge um die WM kundtun. Alle melden sich zu Wort, selten war für sie die Gelegenheit günstiger, es in die Tagesschau zu schaffen oder zumindest auf die Seite eins der Bild-Zeitung. Das Boulevardblatt ist die Speerspitze jener Anti-Klinsmann-Kampagne, die fast täglich grotesker wird. Längst hat Bild die Debatte um eine Ablösung Klinsmanns eröffnet – und rächt sich damit für des Bundestrainers Weigerung, mit dem Blatt gemeinsame Sache zu machen.“
Die Mächte sind gegen ihn
Uli Hoeneß im Stern-Interview: „Die Deutschen haben den Blick für die Realität verloren. Das sieht man bei Teilen unserer Wirtschaft, bei der Unsicherheit unseres Rentensystems und in anderen Bereichen. Deutschland ist eben nicht mehr überall top. Dasselbe gilt im Fußball: In den 70er Jahren waren wir Weltklasse, in den 80ern waren wir wieder gut, und in den 90ern haben wir auch mal was gewonnen. Aber wir sind nicht mehr konstant an der Spitze. Die Gründe dafür liegen in unserer Gesellschaft: Wir sind alle zu brav, zu bequem, zu satt geworden. (…) Ich glaube, Jürgen Klinsmann hat begriffen, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich bei Inter spiele oder beim FC Bayern, oder ob ich Bundestrainer bin. Er hat sich immer mit dem Establishment angelegt. Jetzt aber muss er einsehen, dass Sturheit und Eigensinn keine Chance haben. Da steht ein Volk von 80 Millionen Leuten dagegen, mit all den Bataillonen, die jetzt aufgefahren werden: Von der Bild-Zeitung bis zur Süddeutschen. Alle. Das hält kein Mensch aus. Wie heißt es so treffend: ‚The forces are against him‘ – die Mächte sind gegen ihn.“
bildblog: über das, was Bild aus dem Hoeneß-Interview im Stern macht