Bundesliga
Ein leichtes Spiel ist schwere Arbeit
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| Montag, 20. März 20061. FC Nürnberg–Werder Bremen 3:1
Ein leichtes Spiel ist schwere Arbeit
Christof Kneer (SZ) über Bremer Schwäche und Identitätssuche: „Es ist nicht so einfach, Bremen zu verstehen. Ist es ein riesiges Dorf oder ein klitzekleines Bundesland? Ist Bremen der größte Kleine oder der kleinste Große? Diese Frage beschäftigt derzeit auch die örtlichen Fußballer. (…) Regelmäßig haben die Bremer ihre besten Spieler an Bayern oder Schalke verloren und sich doch immer gesund zurückgemeldet. Die neueste Niederlage aber zeigt, dass die Genesungskünstler langsam an ihre Grenzen kommen. Zwar haben sie ihren geplünderten Kader immer wieder listig aufgefüllt – Spieler, die anderswo nicht mehr gewollt waren. Kunstvoll haben die Bremer ihre Kader immer wieder und gerade noch in Balance gehalten, aber dabei ist ein Team entstanden, das Ausfälle schwerer verkraftet als die reichen Bayern. Werder kann zwar eine grandiose Elf aufstellen, aber keine grandiose Dreizehn – das reicht für einen großen Kleinen, der Titel als temporäre Erscheinungen akzeptiert. Aber nicht für einen kleinen Großen, der ein großer Großer werden will. (…) Bislang war man davon ausgegangen, dass nur Bremen solche Tore kann; hier aber hießen die Beteiligten Reinhardt, Polak, Vittek und Schroth. So bremisch sah das 2:0 der Nürnberger aus, dass das einzige echte Bremer Tor – herrliche Borowski-Vorlage, herrlicher Klose-Abschluss – dagegen eher nürnbergisch wirkte. Es kommt ja nicht so selten vor, dass sich zwei Mannschaften begegnen, deren Formkurven sich gerade in entgegengesetzte Richtungen bewegen. Es kommt auch nicht selten vor, dass Form dann Klasse schlägt, und so gesehen, ist dieses Spiel keine Sensation gewesen. Was aber eher selten vorkommt, ist, dass ein Spiel so viel über den Charakter einer Sportart erzählt. Selten hat man besser begriffen, wie schwer es ist, so leicht zu spielen wie die Bremer an ihren guten Tagen. Ein leichtes Spiel ist schwere Arbeit, ereignen kann es sich nur auf einem soliden Fundament.“
Bumm
Am Objekt Robert Vittek vertieft Hans-Joachim Leyenberg (FAZ) den Gelehrtenstreit über den freien Willen: „Der Mann belegt, was Hirnforscher schon lange wissen: Intuition ist dem analytischen Vorgehen evolutionär überlegen. Gerd Müller, der unvergessene Mittelstürmer, hat dieses Erfolgsrezept auf seine Art in Worte gefaßt: ‚Dann macht es bumm.‘ Es ist sogar als Schlager vertont worden. Entscheidungen, so hat Gerhard Roth, Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen grob hochgerechnet, seien zu achtzig Prozent emotional und nur zu zwanzig Prozent rational geprägt. (…) Da kommt der Trainer Meyer nach Nürnberg, gibt dem Slowaken eine neue Chance, und mit dem ersten Volltreffer ist das Selbstvertrauen wieder da. Vittek hat wieder den Zug zum Tor, vom Beifall auf den Rängen eingehüllt. Endlich mal eine Erfolgsgeschichte in diesen Tagen, da sich die Fußballgemeinde verzehrt nach guten Nachrichten in trüber Nachrichtenlage.“
VfL Wolfsburg–Hamburger SV 0:1
Kühl und enthusiastisch
Hamburg siegt, und Jörg Marwedel (SZ) fröstelt: „Auch der HSV hätte, ähnlich wie Werder Bremen nach dem Tim-Wiese-Drama von Turin, dem neuen Phänomen des Rosa-Syndroms anheim fallen und in Trauer um das Aus in Europa im Liga-Alltag ins Straucheln kommen können. Nichts dergleichen jedoch geschah. Im Gegenteil: Der HSV verteidigte den 2. Platz und zementierte seinen gerade erst erhobenen Anspruch, in der kommenden Spielzeit in der Champions League zu spielen. Und wenn der Sieg, der dies bedingte, neben dem einsamen Torschützen Benny Lauth einen Eigennamen hatte, dann den des gefeierten Strategen: Thomas Doll. Es liegen gesicherte Erkenntnisse darüber vor, dass im taktikverliebten Italien mit großem Interesse verfolgt wird, wie sich der frühere Lazio-Rom-Profi als allenatore in Amburgo entwickelt. So kühl und doch enthusiastisch, wie der HSV zurzeit die Regieanweisungen seines Trainers umsetzt, dürfte sich dieses Interesse erneut gesteigert haben.“
Eintracht Frankfurt–MSV Duisburg 5:2
Gesamtkunstwerk des Versagens
Peter Heß (FAZ) staunt über Jürgen Kohlers Optimismus nach dem Spiel: „Wenn doch seine Ausführungen nur durch einen Hauch von Realität zu belegen gewesen wären. Aber: Das Team des Trainerneulings hatte bei dieser herben Niederlage einen fußballerischen Offenbarungseid geleistet. Vor allem seine Abwehr tat alles, um einen Fußballtrainer in den Wahnsinn zu treiben. Die Duisburger ließen sich von der Eintracht-Offensive ausspielen wie Amateure reinsten Wassers. Naives Stellungsspiel, untaugliche Versuche, eine Abseitsfalle zu stellen, gedankliche Trägheit und eine eklatante Zweikampfschwäche summierten sich zu einem Gesamtkunstwerk des Versagens. Was bringt Kohler seiner Abwehr eigentlich bei? (…) So kaum glaublich es klingt: Der MSV hat noch Glück gehabt.“
Porschefahrer
Ralf Weitbrecht (FAZ) porträtiert den Schützen von drei Toren: „Ioannis Amanatidis und die Frankfurter Eintracht – es hat etwas länger gedauert, bis endlich paßt, was augenscheinlich zusammengehört. Einmal schon, vor drei Jahren, ist der von großer Selbstsicherheit geprägte Grieche für die Hessen am Ball gewesen. Doch als der Abstieg in die zweite Liga feststand, war er der erste, der Reißaus nahm und sich dem 1. FC Kaiserslautern anschloß. Es war ein Fehler, wie sich im Blick zurück herausstellte, denn der Porschefahrer wurde in der Pfalz nie glücklich. Frankfurt war und ist der ideale Nährboden für seine Art, Fußball zu spielen. Amanatidis, der wuchtige, mitreißende Angreifer, der zu Saisonbeginn noch mitunter erschreckend schwache Spiele absolvierte und ungeahnte technische Unzulänglichkeiten offenbarte, hat sich gesteigert. Mächtig sogar.“
Borussia Mönchengladbach–VfB Stuttgart 1:1
Unzulänglichkeiten
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ) klagt über Dilettantismus auf beiden Seiten: „Drei Punkte, egal für welches Team auch immer, wären eine unangemessene Belohnung gewesen. Das 1:1 spiegelte das momentane Leistungsvermögen der Uefa-Cup-Kandidaten. Sobald Horst Köppel mit dem Kürzel Uefa konfrontiert wird, reagiert er, als handle es sich um ein kapitales Mißverständnis. Nein, nein, davon habe ‚hier im Verein nie jemand gesprochen. Wir wollten nur eine Saison ohne große Angst spielen.‘ So ist es gekommen. Aber eine Saison mit großer Freude wird es nun auch wieder nicht. Da reiht sich eine Fehlleistung an die nächste, haben die Schüsse eines Stürmers wie Wesley Sonck die Streubreite einer Schrotflinte. Gefahr schwören nur Standardsituationen herauf, wenn die Niederrheiner dem Gegner mit Wucht, hohen und weiten Bällen beizukommen suchen. Dagegen ist die Spielweise des VfB eine Spur gefälliger, filigraner. Aber er hatte erst nach dem Rückstand ‚angefangen, nach vorne zu spielen‘, wie Armin Veh einräumte. Warum nicht schon früher? ‚Es lag an uns, am Gegner, am Platz.‘ Ein Patt zwischen zwei Mannschaften, die partout nicht verlieren wollten. (…) Mit seiner soliden Leistung wirkte der Nationalspieler Marcell Jansen geradezu wie ein Fremdkörper inmitten zweier Ensembles, die sich an Unzulänglichkeiten überboten.“ Andreas Morbach (taz) legt beiden Teams und ihren Tabellennachbarn Cacaus Erfolgsrezept nahe: „Stuttgarts Angreifer, vor einer Woche noch Tribünenhocker, kam plötzlich als eifriger Trainierer daher. ‚Die letzte Zeit war sehr hart, und ich habe viel darüber nachgedacht, was ich für mich machen muss‘, berichtete er, ehe er den eigentlich Verantwortlichen nannte: ‚Das alles habe ich Jesus zu verdanken.‘ Und es sieht so aus, als sollten auch Deutschlands künftige Uefa-Cup-Vertreter voll auf himmlischen Beistand setzen.“
Bayer Leverkusen – FSV Mainz 1:2
Schlauheit und Aufgewecktheit
Erik Eggers (FR) würdigt die Leistung der Mainzer: „Der Gast hat sich als perfekt eingespieltes Kollektiv präsentiert. Beeindruckend war aber dabei nicht allein der Kampfgeist, sondern auch das taktisch enorm hohe Niveau der Mannschaft in der Defensive. Mainz hatte mit Kampfkraft und Taktik die personellen Vorteile der Leverkusener kompensiert. Fast noch imposanter aber war der Unterschied im psychischen Bereich. Angesichts der Mainzer Schlauheit und Aufgewecktheit wirkte Leverkusen geradezu verschlafen und behäbig.“ Gregor Derichs (FAZ) deutet den Streit mit Reiner Calmund als Leverkusener Malus: „Besonders schwer leidet offenbar Rudi Völler. Der Sportdirektor steht zwischen den Fronten – seinem Arbeitgeber Bayer 04 und seinem Freund Calmund. Völler verkneift sich deutliche Stellungnahmen, aber seine Frustration kann er kaum verhehlen. Skibbe und dem Team, in dem sich viele Spieler Calmund verbunden fühlen, kann Völler nur eingeschränkt helfen. Der Auftritt gegen den kampfstarken Abstiegskandidaten kam einem Offenbarungseid gleich. Niemand stellte die Berechtigung des zweiten Auswärtssiegs der taktisch klug agierenden Rheinhessen in Frage.“
Borussia Dortmund–1. FC Kaiserslautern 2:1
Schnelle Stürmer
Richard Leipold (FAZ) vergleicht seine Notizen und Gedanken mit denen der Dortmunder sportlichen Führung: „Bert van Marwijk, der viel erlebt hat im Fußball, sagte, er habe ’selten so einen Unterschied gesehen, zwischen zwei Mannschaften, die auf diesem Niveau spielen‘. Wenn die Profis aus Kaiserslautern sich nicht nachhaltig steigern, werden sie auf ‚diesem‘, sprich: Bundesliga-Niveau nicht mehr lange spielen. In der ersten Halbzeit fehlte es ihnen an allem, was eine wettbewerbsfähige Gemeinschaft auszeichnet. Insofern fiel der Sieg arg dürftig aus. Statt der Torschützenliste war nur der Zettel des Co-Trainers voll, der die Chancen notierte. Wie gewohnt, fehlte es der Borussia nicht an schnellen, aber an gefährlichen Stürmern.“
Hannover 96–1. FC Köln 1:0
Blutarm
Hans Trens (FAZ) zweifelt an der Qualität des Kölner Trainers: „Daß Hanspeter Latour, wie Michael Meier behauptete, ‚unser Pfund‘ im Abstiegskampf sei, muß nach der hannoverschen Vorstellung des Mannes aus dem Berner Oberland arg in Zweifel gezogen werden. Eher deutet sich an, daß die Kölner abermals – wie 2004 mit dem nun in Bochum reüssierenden Marcel Koller – beim Rückgriff auf einen Schweizer Nothelfer danebengelegen haben. Damit verbunden keimen erste Zweifel, ob er geeignet für die Herkules-Aufgabe ist, bei einem eventuellen Abstieg den sofortigen Wiederaufstieg zu schaffen. Zum Ist-Zustand: Die blutarme Darbietung gibt kaum Mut im immer hoffnungsloser werdenden Abstiegskampf.“ Jörg Marwedel (SZ) kann sich kein Lob für den Sieger abringen: „Hannover 96 steht wieder auf einem Tabellenplatz, der Hoffnung macht auf den Uefa-Cup. Schlimmeres gibt es über das Niveau der Bundesliga zurzeit nicht zu sagen.“ Marc Schürmann (FTD) schmunzelt: „Wenn einer aus 300 Metern Höhe vom Himmel fällt, ist es 299 Meter lang möglich, dass ihm nichts passiert. So denken auch Hanspeter Latour und Jürgen Kohler. (…) Zu Alpay: Wie jemand, der in jedem Spiel, an dem er teilnehmen darf, fünf Elfmeter riskiert, zwei verursacht und einmal vom Platz gestellt wird, vom Wettskandal unberührt bleibt, ist schwierig zu erklären.“