Strafstoss
Reine Nervensache ZZZZ – Alles auf Anstoß
Kommentare deaktiviert für Reine Nervensache ZZZZ – Alles auf Anstoß
| Montag, 20. März 2006Strafstoß #ZZ – XX. YYYY 2006
von Herrn Bieber und Herrn Mertens
Mathias Mertens: Wenn Sie einen Regisseur mit dem Dreh eines Fußballfilms beschäftigen wollten, wen würden Sie nehmen?
Christoph Bieber: Eine schwierige Frage, Herr Mertens, da müssen Sie mir – wie so oft – zunächst noch mit ein paar Erklärungen helfen. Ich soll als Produzent eine schwerwiegende Personalentscheidung fällen, in etwa vergleichbar mit der Trainerwahl eines Vereinspräsidenten. Dazu erst mal eine Frage: Was ist denn ein „Fußballfilm“?
MM: Herr Bieber, so geht das nicht! Sie können nicht einfach das, was ich insgeheim von Ihnen wissen wollte, an mich zurückdelegieren. Ich habe ja gehofft, dass mir Ihre Ausführungen zur Regisseurswahl klarmachen, was man als Fußballfilm verstehen kann. Denn ich weiß es auch nicht. „Das Wunder von Bern“ ist jedenfalls keiner, oder?
CB: Hm, meine rhetorische Körpertäuschung hat sie offenbar ein wenig verunsichert, lieber Mertens. Tja, und jetzt lasse ich Sie gleich mal gemein auflaufen, denn natürlich ist Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ ein Fußballfilm, nur halt ein schlechter. Vielleicht ist es kein Sportfilm, weil die fußballerische Handlung auf dem Platz ja lediglich als Folie für den historischen Befreiungsschlag zum nachkriegsdeutschen Wiederaufbau herhalten muss und man über diese Bande deutschen Männern im Jahr 2004 ungestraft die Tränen in die Augen treiben durfte. Also, ein Fußballfilm wäre demnach nicht einfach ein Film, in dem mehr oder weniger zufällig Fußball gespielt wird, sondern „das Spiel an sich“ im Mittelpunkt steht. Oder?
MM: Ein schlechter Fußballfilm, der kein Sportfilm ist – habe ich ihre Charakterisierung des „Wunders von Bern“ ungefähr richtig wiedergegeben? Dann könnte ich zumindest schon mal meine Anfangsfrage präzisieren: Wenn Sie einen Regisseur mit dem Dreh eines Sportfilms beauftragen wollten, in dem nicht zufällig sondern „an sich“ Fußball gespielt wird, wen würden Sie da nehmen? Um dann weiter zu mutmaßen: „An jedem verdammten Sonntag“ von Oliver Stone wäre dann ein Football-Sportfilm, „Freiwurf“ von David Anspaugh wäre ein Basketball-Sportfilm, „The Natural“ von Barry Levinson wäre ein Baseball-Sportfilm; alles Amerikaner und amerikanische Sportarten. Warum fällt mir kein Fußball-Sportfilm, geschweige denn ein deutscher Regisseur eines solchen ein? Ist Fußball womöglich kein Sport und somit nicht sportfilmfähig?
CB: Sehen Sie, Herr Mertens, es geht doch! Unsere Standpunkte rücken allmählich näher zusammen, aber ich glaube wir müssen aufpassen, nicht in choreografiertes Piesacken à la Netzerdelling zu verfallen… Jedenfalls sind wir nicht die ersten, die sich mit der Frage „Warum gibt es keinen Fußballfilm in Deutschland?“ auseinandersetzen. Weit verbreitet ist zum Beispiel die Annahme, dass das Fehlen gut inszenierbarer Zweikampfsituationen den Fußballverfilmungen im Wege steht – denn mit der Duellierung der Protagonisten schreibt der Sportfilm US-amerikanischer Prägung natürlich den Western fort, am deutlichsten sichtbar wohl im Zweikampf von „Pitcher“ und „Batter“ beim Baseball. Also: Fußball ist als Mannschaftssport nicht so einfach individualisierbar und dies verhindert eine filmische Erzählung? Hm, damit kann ich mich ja nicht mal selbst überzeugen…
MM: Verzeihen Sie bitte den folgenden Netzerismus: Schön, dass Sie es selbst einsehen, Herr Bieber. Aber zurück zu mir: Muss denn ein Sportfilm von Individuen handeln? Oder umgekehrt: Gibt es denn beim Fußball keine Individuen? Wir sind doch nicht mehr in der DDR-Oberliga!
CB: Nun ja, mir klingen da wohl noch Berti Vogts´ Worte vom Star, der die Mannschaft sei, im Ohr. Und auch in aktuelleren Debatten um moderne Spielsysteme betont man vor allem Organisation und Zusammenspiel von Mannschaftsteilen, wogegen „geniale Regisseure“ und „begnadete Individualisten“ entweder nicht mehr in die Spielschemata passen oder nur noch für kurzfristige Entzückung sorgen. Und mit Blick auf die erfolgreichen US-Sportfilme muss man wohl sagen, dass ein kleiner Kreis von Protagonisten eher leinwandtauglich ist, als das sprichwörtliche Kollektiv von „elf Freunden“, die man sein sollte…
MM: Beim Baseball stehen auch 9 Spieler einer um ein Mehrfaches größeren Mannschaft auf dem Feld, auch beim Football stehen 11 von beliebig Vielen auf dem Platz, eine Basketballmannschaft darf zwar nur 5 Spieler auf dem Feld haben, die werden jedoch so rasant mit denen auf der Auswechselbank rotiert, dass man nur selten von einem bestimmten Lineup sprechen kann. Da erscheint der Fußball ja geradezu reduktionistisch. Ich vermute ja, es liegt an etwas anderem. Und zwar an einem falschen ideologischen Überbau, der aus dem Fußball eine „Große Erzählung“ im prä-postmodernen Sinne machen kann, die dann auch einen Film tragen würde. American Football zum Beispiel ist eine Allegorie auf den nordamerikanischen „Go West“-Imperativ des 19. Jahrhunderts, bei jedem Spielzug geht es um die „New Frontier“. In Deutschland kann man sich bestenfalls über das Prinzip „Sieg“ freuen, und selbst das ist nach dem Bemühen um einen „Endsieg“ erledigt.
CB: Moment – bevor wir uns den „Großen Erzählungen“ zuwenden, noch ein kleiner Einwurf. Ist es nicht so, dass die von ihnen genannten Beispiele nicht auch durch eine vom Regelwerk vorgesehene Sequenzierung vom langen, nicht immer ruhigen Fluss des Fußballspiels unterscheiden? Die vielen Unterbrechungen, die unverrückbarer Teil von Base-, Basket- und Football sind, erlauben eine entsprechend abgehakte Übertragung ins Filmgeschehen, ein verfilmtes Fußballspiel muss durch die unnatürlichen Szenenwechsel und Montagen immer unnatürlich wirken. Und ist nicht dieser permanente Fluss der Handlungen – bis auf die Atempause der Halbzeit, nach der das Spiel die Richtung ändert – nicht auch schon eine „Große Erzählung“? Dieses „pantha rei“-Moment erinnert mich im übrigen an einen der schönsten Fußballkurzfilme, den ich kenne: das Match der Philosophenteams aus Griechenland und Deutschland, unter der Regie der famosen Monthy Pythons.
MM: Jetzt habe ich aber langsam doch den Eindruck, dass Fußball kein Sport ist, sondern ein Mythos, und zwar ein kosmogonischer, welterklärender sowie ein eschatologischer, jenseitsdeutender. So etwas zu verfilmen ist natürlich äußerst schwer. Vielleicht könnte man aus den Göttern noch Handlungsträger machen – wobei schon Homer mit ihnen das Eschatologische verließ und Soapoperatische betrat –, aber wie soll man bitte aus dem Kosmos einen Protagonisten machen? Und könnte es ernsthaft einen Elfmeter verschießen?
CB: Das sollten wir mal Uli Hoeneß und David Beckham fragen, zwei der kosmischsten Elfmeterverschießer aller Zeiten. Aber die Sache mit dem Kosmos will mir nicht aus dem Kopf – wissen Sie noch, wie das Team hieß, in dem Franz Beckenbauer von 1977 bis 1980 spielte?
MM: Das darf doch nicht wahr sein, dass Sie den Lichtbringer des deutschen Fußballs als Regisseur der allumfassenden Ordnung engagieren wollen, bloß weil er in einer New Yorker Zirkustruppe nämlichen Namens aufgetreten ist!
CB: Ach, lieber Mertens, nun schimpfen Sie doch nicht gleich in der Manier eines Seitenlinien-Rohrspatzes… Herr Beckenbauer hat weder als Schauspieler noch als Regisseur etwas in einem Fußballfilm verloren , wie wir ihn uns vorstellen. Vielleicht könnte man ihn als Produzenten gebrauchen. Sie wollen meine Nominierung hören? Nun, es müsste einer sein, der uns „Lektionen in Sachen Leidenschaft“ (Rummenigge) erteilen kann…
MM: Haben Sie Ang Lee schon angerufen, damit er nach seiner Western-Revision Brokeback Mountain auch dem bodenständigen, männerschwitzigen und vereinstaumelnden Deutschen Fußball die Gefühle liest?
CB: …nein, und auch nicht Sönke „die Schnulze“ Wortmann. Ich denke da eher an einen Newcomer, der die Sache nicht auf die leichte Schulter nimmt, aber sich nicht für ein paar schelmische Finten zu schade ist. Mein Favorit für einen gelungen deutschen Fußballfilm ist Michael „Bully“ Herbig. Und das hat nichts mit seinem Spitznamen zu tun!
MM: Solange das DFB-Hauptquartier nicht in die Puderosa-Ranch verlegt wird, soll mir das recht sein. Wobei, wenn ich genauer überlege, sein Versuch, filmisch den Kosmos zu begreifen, doch einigermaßen dürftig geblieben ist.
CB: Sie sind eben ein Hardcore-Cineast. Unter Kubrick machen Sie es wohl nicht…
MM: Womit Sie, wenn auch unfreiwillig, die wirklich allerbeste Wahl für einen Fußballfilm-Regisseur präsentiert haben. Genauso langweilig und ereignislos bei gleichzeitiger unabwendbarer optischer Faszination ist dieser Sport doch! So philosophoid herumlungernd, so welterklärungsbedürftig, und doch so resistent gegen all die dürftigen Ergüsse über seinen Rasen. Und letztlich geht es nur um Konstellationen im Raum, die glückliche Momente entstehen lassen. Ja, „2001″ ist der beste Fußballfilm aller Zeiten! Irgendwie.