Strafstoss
Reine Nervensache 9 – Die Paule Situation
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| Freitag, 24. März 2006Strafstoß #24 – 21. März 2006
von Herrn Mertens und Herrn Bieber
Mathias Mertens: Lieber Bieber, ich sehe dringenden Diskussionsbedarf. „Paule“ heißt er, wie weiland im Lied der Ärzte, ist aber nicht Bademeister sondern das Maskottchen des DFB. Das darf doch wohl nicht wahr sein, oder?
Christoph Bieber: Doch, lieber Mertens, doch. Das ist sehr wohl wahr. Und wir wissen auch schon länger, wie sich das alles zugetragen hat. Es kann also niemand sagen, er hätte von nichts gewusst. Andersherum gefragt: Was hatten Sie denn erwartet? Wenn schon jede WM das Maskottchen bekommt, das es verdient, wieso sollte es bei den Nationalteams anders sein?
MM: Sie meinen, weil es fatal an jenes Wesen erinnert, das dereinst die ARD-Sendung „Pleiten, Pech und Pannen“ heimsuchte?
CB: Wenn mich nicht alles täuscht, war dieses Tier doch ein sprichwörtlicher „Unglücksrabe“ – „Paule“ hingegen kommt doch als edler Adler daher. Wenngleich man wohl schon mal einen Ornithologen fragen könnte, welche Untergattung da Pate gestanden hat. Folgt man diesen Überlegungen, dann ist Paule also eher ein Verwandter des Bundesadlers, wie wir ihn etwa aus dem Plenarsaal des Deutschen Bundestages kennen. Aber was regt sie denn an „Paule“ so auf, sie klingen ja ganz aufgeregt. Sind es die klobigen Rumpelfüße, die mutierten Knopfaugen oder das Dauergrinsen?
MM: Ich fühle mich in meiner Ehre als Angehöriger der deutschen Fußball-Nationalmannschafts-Zuschauerschaft gekränkt, dass man mich mit einer Drolligkeit zur Identifikation zwingt. Können nicht auch Maskottchen ernsthaft sein? Wo kommen die überhaupt her? Ich befürchte ja auch eine völlige Ignoranz ihrer historischen Funktion gegenüber.
CB: Die Maskottchenforschung scheint sich relativ einig zu sein, dass das Wort seinen Ursprung im Französischen („Mascotte“) oder im Provenzalischen („Mascoto“, „Masco“) hat. Dort bedeutet es zwar eigentlich „Hexe“, bezeichnet aber schon einen Glücksbringer für unterschiedliche Bezugsgruppen. Über die historische Funktion kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben, in der Gegenwart überwiegt aber ganz sicher die Einbettung in Identifikationskampagnen aller Art, vornehmlich aber entlang medial vermittelter Großereignisse. Das haben uns also mal wieder diese vermaledeiten Massenmedien eingebrockt, oder?
MM: Wenn ich aber tiefer wikipediere, stoße ich auf Talismane, die arabischen Zauberbilder, die an Kleidungen getragen werden und gegen Krankheiten und Zauberei schützen sollen, und dann auf die Abraxasgemmen der Gnostiker, mit denen das höchste Urwesen dargestellt wurde, aus dem die fünf Urkräfte Geist, Wort, Vorsehung, Weisheit und Macht hervorgingen. Ich kann im DFB vielleicht ein Urwesen sehen, und aus ihm gehen auch Wort und Macht hervor, aber dass da auch noch Geist, Vorsehung oder sogar Weisheit herrschten, kann ich nicht erkennen. Wie kann sich der DFB also überhaupt ein Maskottchen anmaßen?
CB: Wenn man die zugehörige DFB-Pressemitteilung liest, wird man schon um einiges schlauer: Der Geist liegt in der Rückennummer (10), die Vorsehung ist ins Adlerauge eingebaut („seinen wachen Augen entgeht dabei nicht die geringste Kleinigkeit“) und die Weisheit kommt natürlich mit dem papsttauglichen Namen. Mit Sorge lese ich allerdings eine Passage, die Paule „einen quirligen Vogel“ nennt, „der selbstverständlich völlig Fußball-verrückt ist und als begeisterter Fan stets bei den Spielen der deutschen Nationalmannschaften mitfiebert.“ Sounds like Vogelgrippe.
MM: Hoffentlich mischt sich da der Seehofer jetzt nicht ein. Sonst darf nicht mehr unter freiem Himmel gespielt werden und die ganze WM findet nur noch auf Schalke statt. Dann gäbe es aber einen Hahnenkampf zwischen Paule und Erwin!
CB: Das ist aber ein kurzer Schluss von den Urkräften zum Hahnenkampf auf Schalke (wobei ich den Schalker „Erwin“ kaum als Vogel spezifizieren würde). Ich war mit der Pressemitteilungs-Exegese ja noch gar nicht fertig. Da steht nämlich auch, dass „die Figur von ‚Paule‘ (…) langfristig bei allen DFB-Events als ‚Walking Character‘ im Einsatz sein soll.“ Was heißt denn das? Doch wohl nicht „laufender Buchstabe“ – der Anglizismus bringt mich auch zum US-Sport, dort gibt es doch auch massenhaft Maskottchen. Die heißen da aber doch bestimmt ganz anders, oder? Sie haben doch sportive Auslandserfahrung, Mr. Mertens, please help!
MM: Nein, Maskottchen sind wie alles ein Amerikanifizierungsmechanismus. Die heißen da nämlich mascots. Wir haben das nicht von den Franzosen übernommen, sondern ähnlich wie die Pommes, indem wir es zweimal über den Atlantik geschickt haben. An amerikanischen Schulen und Universitäten ist die Rolle des Maskottchens übrigens ein Wahlamt, für dessen Ausführung man sich qualifizieren muss. Und während seines Jobs läuft es nicht nur auf dem Feld, sondern auch im Kostüm, wie man der schönen Gebrauchsanweisung auf www.mascot.net/costumes.html entnehmen kann, derzufolge man kein Anti-Transpirant benutzen darf, weil der Schweißfluss wichtig für die Regulierung der Körpertemperatur ist. Weshalb man auch vor nassen Kostümen warnen muss, die Brutstätten für Viren sind. Wohl auch für H5N1. Vielleicht hat der Klinsmann das ja nach Baden-Württemberg eingeschleppt, als er Testmaskottchen aus Kalifornien mitbrachte?
CB: Ach Unsinn, Klinsmann pflegt einen ganz anderen Amerikanisierungsstil, außerdem war er gegen Masskottchenwahnsinn doch sicher geimpft. Damit auch zurück zu der Frage nach den ernsten Maskottchen – ich hätte da noch zwei im Angebot, die einen etwas distanzierteren Zugang zum Thema haben, aber gleichwohl vom Fach sind: „Schäfer und Schmitz“, die älteren Egos der 1974-Maskottchen „Tip und Tap“. Wäre das was nach Ihrem Geschmack?
MM: Damit könnte ich mich jedenfalls schon eher identifizieren. Wobei ich immer dachte, Tip und Tap wären als Trainer des FC Bayern und als Teammanager der Nationalmannschaft resozialisiert worden.
CB: Ach, das ist nur wieder eine kleine Nickeligkeit gegen meiner Affinität zum amtierenden deutschen Meister. Seien Sie bloß vorsichtig, sonst hetze ich Ihnen den furchteinflößenden „Berni“ samt seines grauenhaften Songs
auf den Rechner.
MM: Alles, nur das nicht! Und alle Schweinis, Poldis, Klinsis, Ollis, Littis, Bertis und Rudis können auch im Alveolaren bleiben.
CB: Sie Phonetik-Schönspieler. Aber hier behalte ich die letzten Worte und die sind diesmal hart. Um unsere kleine Maskottchendiskussion abzurunden, fallen mir nämlich noch ein paar unsterbliche Textzeilen der NDW-Combo „Trio“ von 1981 ein, die den Erfindern und Namensgebern des neuen Bundesadlers hoffentlich nicht im Ohr klangen:
Los Paul,
du mußt ihm voll in die Eier haun!
Das ist die Art von Gewalt, die wir sehn wolln.
Wenn auch nicht spürn wolln.