Ascheplatz
Kampf gegen Symptome und Ursachen
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| Samstag, 1. April 2006Die Sportökonomen Helmut Ditl und Egon Frank (NZZ) nennen zwei entscheidende Ursachen für die Verschuldung vieler Profiklubs und zwei Möglichkeiten, diesen Trend zu bremsen: „Wie lässt sich erklären, dass im europäischen Profifussball trotz steigenden Einnahmen immer grössere Schuldenberge gehäuft werden? Eine mögliche Erklärung liegt in der Reizstruktur eingetragener Vereine. Da Vereinspräsidenten vom sportlichen Erfolg ihrer Klubs in Form persönlichen Ruhmes direkt profitieren, die Gehälter erfolgreicher Spieler aber nicht aus eigener Tasche zahlen müssen, haben sie einen systematischen Reiz, so viel wie nur irgendwie möglich für gute Spieler auszugeben. Diese Erklärung greift jedoch nur bei denjenigen Klubs, die als eingetragener Verein organisiert sind. Pleiten im Geldregen beobachten wir aber auch dort, wo die Klubs vollständig in Kapitalgesellschaften umgewandelt worden sind. Der Hauptgrund liegt in der Struktur des Ligawettbewerbs. Dieser ist ein sogenannter Rangwettbewerb. In dieser Kompetition entscheidet nicht die absolute, sondern die relative Leistung. Da eine Klubführung durch die Spieler- und Trainer-Investitionen nur die Spielstärke der eigenen Mannschaft und nicht der Konkurrenz beeinflussen kann, führt ein höherer Spieleretat nicht zwangsläufig zu einer höheren Gewinnwahrscheinlichkeit. (…) Prinzipiell gibt es zwei Lösungsmöglichkeiten: Entweder man bekämpft die Symptome, oder man bekämpft die Ursachen. Budgetobergrenzen, sogenannte Salary Caps, bekämpfen die Symptome. Jeder Klub darf nicht mehr als einen vorgegebenen Betrag oder einen fixen Prozentsatz seiner Eiinahmen für Spielergehälter aufwenden. In mehreren nordamerikanischen Profiligen gibt es solche Gehaltsobergrenzen schon seit längerem. Die NFL hat eine Obergrenze für Spieler-Etats, bekämpft zugleich aber auch die Ursachen des Überinvestitionsproblems, indem sie den Grossteil der Ligaeinnahmen gleichmäßig und nicht in Abhängigkeit der Placierung verteilt. Beispielsweise hatten in der letzten Saison die sechs bestklassierten Klubs nur um durchschnittlich 41 Prozent höhere Einnahmen als die sechs am schlechtesten placierten. In der Bundesliga beträgt diese Differenz etwa 300 Prozent.“
Falsches Signal
Betandwin ist Werder Bremens neuer Hauptsponsor; Andreas Lesch (BLZ) kritisiert diesen Deal: „Offensichtlich hat der deutsche Fußball noch immer nichts aus dem Hoyzer-Skandal gelernt; er müht sich, auch die jüngsten Ermittlungen diverser Staatsanwaltschaften in der Branche zu übersehen. Wenn schon der SV Werder, einer der anerkannt seriösesten deutschen Vereine, keine Skrupel hat, sich derart offensiv mit einem Wettanbieter zu verbünden, dann lässt das tief blicken. Mittlerweile, so scheint es, hat das Geld den Entscheidern im Profifußball komplett die Sinne vernebelt. Sechs Millionen Euro soll der neue Sponsor den Bremern pro Spielzeit angeblich zahlen, und sie nehmen diese Summe gern – koste es, was es wolle. Ein Fußballklub macht sich damit unglaubwürdig im Kampf gegen verschobene Spiele, gekaufte Schiedsrichter, tricksende Torhüter. Der Profi- und Profitfußball distanziert sich nicht von der Sportwettenbranche, er umarmt sie. So sendet er das falsche Signal. Er nimmt sich alle Freiheiten, die der Markt ihm bietet – und wundert sich, wenn er irgendwann einmal vorschnell unter Verdacht gerät.“
Kleiner Volksaufstand
Die Leserbriefseiten der Nürnberger Zeitungen sind voll mit Protest gegen die Umbenennung des Frankenstadions – Gerd Schneider (FAZ) über Artikulations- und andere fränkische Probleme: „Nürnberg folgt dem Beispiel anderer Klubs. Mittlerweile trägt fast ein Dutzend Bundesliga-Arenen die Namen von Konzernen. Sie verkörpern die Ökonomisierung des Fußballs, eine Entwicklung, die sich am besten im Namen des runderneuerten Frankfurter Stadions (Commerzbank-Arena) ablesen läßt. Selbst viert- oder fünftklassige Vereine haben inzwischen den Namen ihrer Anlagen zu Geld gemacht. ‚Fußball ist heute Geschäft. So ist die Zeit, man kann das Rad nicht zurückdrehen. Aber vielen geht das alles zu weit‘, sagt der frühere Nürnberger Außenverteidiger Horst Leupold, ein Mitglied der letzten Meister-Mannschaft des ‚Clubs‘ von 1968. In den meisten Bundesliga-Städten nahm die Fan-Basis die neuen Namen zwar mit Bedauern hin, aber ohne lauten Aufschrei – selbst in Dortmund. Die Anhänger leisten allenfalls passiven Widerstand, indem sie beharrlich beim alten Namen bleiben. Um so erstaunlicher, daß der Unmut der sonst nicht für ihr explosives Gemüt bekannten Nürnberger zu einem kleinen Volksaufstand wuchs. (…) Für die meisten Nürnberger ist das jenseits der Schmerzgrenze: Isigreddidschdadion, das kommt selbst gutwilligen Mittelfranken nur unter größten Mühen über die Lippen.“
Bayer-Blues
Roland Zorn (FAZ) beschreibt den Sog, den der Fall Reiner Calmunds in Leverkusen nach sich zieht: „Der schmerzliche Abnabelungsprozeß von einem vermeintlich jovialen Netzwerker, der so gut wie jeden zu duzen pflegte, den er vielleicht mal gebrauchen konnte, ist noch lange nicht abgeschlossen. Er wirkt manchmal lähmend auf all diejenigen, die die postmaterielle Ära nach Calmund neu zu ordnen und zu definieren haben. Inmitten des juristisch begleiteten Hin und Her und Mobbings zwischen beiden Seiten traut sich derzeit kaum noch jemand, ein offenes Wort gelassen auszusprechen – es könnte gegen ihn verwendet werden. Nicht nur der alte Strippenzieher Calmund schläft schlecht und weint auf Knopfdruck, auch sein langjähriger Partner und Widerpart Holzhäuser, von Calmund einst geholt und als ‚Holzi‘ eingemeindet, läßt die Schultern hängen und fühlt sich elend. So wie Völlers lange Nase dieser Tage immer spitzer und knöcherner zu werden scheint. Bayer-Blues – die Calmund-Affäre mergelt alle Beteiligten aus. Es scheint, als wäre die Chefsache Profifußball wieder da angekommen, von wo sie ausging: in der Zentrale der AG. In diesem beklemmenden Klima bleibt derzeit nur die Hoffnung auf einen angenehmen Samstag – und damit auf einen gelegentlichen Sieg der bekannt wankelmütigen Mannschaft. Spielt das Team wieder einmal schlecht, werden die Fans ‚Holzhäuser raus‘ rufen. Calmund hat, als er noch in Amt und Würden war, Holzhäuser gern als ‚Buchhalter‘ abqualifiziert und seine wenigen Aufpasser im Konzern als ‚Aspirin-Köppe‘ dazu. Nur er glaubte sich, manchmal in Absprache mit einem von ihm akzeptierten Trainer wie Christoph Daum, berufen, in Sachen Fußball reden und handeln zu dürfen. Daß der 1998 als Sachwalter der kaufmännischen Vernunft geholte Holzhäuser im Hintergrund an der Sanierung eines Klubs arbeitete, der auch dank Calmunds überbordender Großzügigkeit in ökonomische Schieflage zu geraten drohte, interessierte den ‚Mann mit dem Geldkoffer‘ herzlich wenig. Unter den alten Bayer-Regenten genoß King Calli Handlungs- und Narrenfreiheit zugleich. Inzwischen ist Holzhäuser alleiniger Chef im Calmund-losen Bayer-Fußballreich. Doch er wirkt derzeit eher wie jemand, der fürchten muß, daß ihm die Prokura entzogen wird. Dabei hat Holzhäuser das Seine dazu getan, die GmbH gesundzuschrumpfen und die Ausgaben für die Profis auf unter fünfzig Prozent des Jahresetats gesenkt. Das macht den Ökonomen stolz, ist aber keine Erfolgsstory für die Anhänger des Klubs, denen Calmund den Mund nach fortgesetzten Champions-League-Festen mit Teams wie Real Madrid oder Manchester United wäßrig gemacht hat. Eine teuer bezahlte Geschichte von gestern.“
Du sollst dich nicht erwischen lassen
Hans Leyendecker und Johannes Nitschmann (SZ/Seite 3) leuchten die Leverkusener Dunkelheit etwas aus: „Es geht um eine ganze Menge: Immerhin hat der Ermittler Reifferscheidt den ‚Anfangsverdacht‘, dass mehrere Spiele manipuliert worden sein könnten. Diese schlimme Vermutung wurde und wird, erstaunlicherweise, von Bayer-Verantwortlichen genährt, deren Verein, wenn der Verdacht zuträfe, härteste Sanktionen befürchten müsste – bis zum Bundesliga-Lizenzentzug. Das alles ist nur schwer zu verstehen und liefert dennoch einen seltenen Einblick in ein Milieu, das Fußballbetrieb genannt wird. ‚Der Fußball ist zu 95 Prozent sauber‘, sagt Holzhäuser. Das heißt im Umkehrschluss, dass 5 Prozent unsauber sind, was jährlich einen hohen schmutzigen zweistelligen Millionenbetrag ausmachen würde. Aber welche 5 Prozent sind verseucht? Bei Bayer jedenfalls stinkt es gewaltig. Vom Hexenkessel eines Vereins wird der Deckel gehoben, und üble Dämpfe steigen auf. Der Fall Calmund ist ein seltsamer Fall. Es gibt ungewöhnliche Durchstechereien, alte Rechnungen werden beglichen und fortwährend treten Leute aus jenem Panoptikum auf, in dem das dicke Auto den schlechten Leumund kompensieren hilft. Kein roter Faden ist zu erkennen, der durchs Labyrinth führt – stattdessen gibt es viel Widersprüchliches und zahlreiche Ungereimtheiten. Welches Motiv könnten, wenn sie es denn waren, Verantwortliche der Bayer AG gehabt haben, den Fall Calmund heimlich loszutreten? Weiß der Schlaumeier Calmund eigentlich, was er so erzählt? Oder ist das nur eine gigantische Fiktion, in der alles etwas anderes bedeutet, als es besagt? Alles nicht wahr. Ein Scherz. Karneval. Hat Calmund, im Branchenjargon der ‚Pate von Leverkusen‘, gegen das elfte Gebot verstoßen? Du sollst dich nicht erwischen lassen.“
FAZ: Premiere, Telekom und Bundesliga – Dreiecksbeziehung
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FAZ-Interview mit Matthias Sammer
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