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Bundesliga

Schlecht vernetzt

Oliver Fritsch | Mittwoch, 5. April 2006 Kommentare deaktiviert für Schlecht vernetzt

Jan Christian Müller (FR) kommentiert die Entlassung Jürgen Kohlers: „In den weniger gut informierten Teilen der Fußballszene ist es leider üblich, eine gewisse Ball- und Grätschfähigkeit allzu sorglos zum Anlass zu nehmen, demjenigen eine entsprechende Fähigkeit als Führungskraft zuzutrauen. Das neuerliche Scheitern des Jürgen Kohler, diesmal in der persönlichen Rekordzeit von nur 108 Tagen, ist deshalb auch ein hinreichender Hinweis darauf, dass der Duisburger Baumeister Walter Hellmich in der Bundesliga weit schlechter vernetzt ist als in der Baubranche. Hellmichs teurer Irrtum dürfte nun aber dazu geführt haben, dass in Zukunft ab Landesliga aufwärts kein Klub mehr Wert auf eine Zusammenarbeit mit Kohler legt. Und wenn doch? Selber schuld.“ Ulrich Hartmann (SZ) ergänzt: „Hellmich ist Bau-Unternehmer. Er wirkt immer so, als gebe es dringend etwas zu reparieren. Das passt zum MSV. Die Mannschaft wird nach nur einer Saison wohl wieder in die zweite Liga absteigen, dort ist eine sportliche Sanierung nötig. (…) Hellmich sagt gern, der MSV sei ein Klub der schnellen Entscheidungen. Er ist einer der letzten Patriarchen der Bundesliga. Hellmich ist kein Fußballfachmann, trotzdem zieht er nicht für alles Spezialisten zu Rate.“

Überschätzung

Stefan Hermanns (Tsp) rät Kohler, seinen Anspruch zu senken: „Kohlers Geschichte als Trainer ist die Geschichte einer Überschätzung. Vor zwei Jahren nahm der VfB Stuttgart Abstand von einer Verpflichtung des Berufsanfängers Kohler, weil er erstaunlich erwachsene Gehaltsvorstellungen hegte. Kohler ist 1990 als Spieler Weltmeister geworden, das hat sein Selbstverständnis geprägt. Bei seinen früheren Mitstreitern Lothar Matthäus, Pierre Littbarski, Guido Buchwald und Andreas Brehme ist es nicht anders gewesen. Sie haben erst lernen müssen, dass ein großer Spieler nicht automatisch ein großer Trainer wird – und dass sie neben dem Platz mehr arbeiten müssen als früher auf dem Platz. Es gibt also noch Hoffnung für den Malocher Kohler, auch wenn die Hoffnung in nächster Zeit wohl eher in Japan, Österreich oder Serbien zu Hause sein wird.“

Kein Konzept, keine analytische Kraft, keine Motivationsfähigkeit

Auch Roland Zorn (FAZ) empfiehlt dem Weltmeister, kleinere Brötchen zu backen: „Die deutschen Weltmeister des Jahrgangs 1990 verbindet nicht mehr allzuviel. Die Elf, die damals den Titel eroberte, mutet 16 Jahre später eine Spur heimatlos, ein bißchen orientierungslos – und manchmal auch kurzzeitig arbeitslos an. (…) Vielleicht hing der eine oder andere, auch der kickende Malocher Kohler, zu lange dem Verwöhnaroma des seinerzeit kommerziell blühenden Fußballs an, um sich danach gründlich genug mit den Aufgaben eines Fußball-Lehrers anfreunden zu können. Kohler schmiß 2003 nach knapp acht Monaten seinen Job als Coach der deutschen U21-Mannschaft und folgte dem Leverkusener Lockruf des Geldes. Dort trat er als Sportdirektor nicht weiter in Erscheinung. In Duisburg versiebte der Weltmeister binnen vier Monaten in einem allerdings amateurhaften Umfeld seine erste Bundesliga-Trainerchance mit Auftritten, von denen nichts in Erinnerung bleibt. Kein Konzept, keine analytische Kraft, keine Motivationsfähigkeit – Jürgen Kohler wirkte schlecht vorbereitet und dazu überfordert in seinem Rettungsdienst beim MSV, bei dem er schließlich selbst zum Notfall wurde. Nun ist er weg und hinterläßt keine Spuren. Der ‚Fußballgott‘ versteht die Welt nicht mehr, der Weltmeister ist von gestern – Jürgen Kohler muß allmählich damit anfangen, den Trainerberuf von der Pieke auf zu lernen.“

FR: Vorzeitiges Ende eines Irrtums

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