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Deutsche Elf

Leidfigur

Oliver Fritsch | Donnerstag, 6. April 2006 Kommentare deaktiviert für Leidfigur

Man hat den Bayern in der Torwartfrage ja einiges zugetraut; daß sich der Ich-Ich-Ich-Mensch Uli Hoeneß nun derart im Ton vertut, schockiert dennoch. „Psycho-Terror, absoluten Psycho-Terror gegen Kahn“ wirft er Jürgen Klinsmann in der Sport Bild vor, die diese Wortwahl auch noch stützt. Wie perfide, Klinsmann die Fehler Kahns vorzuwerfen – und die eigenen verdecken zu wollen! Michael Horeni (FAZ) läßt sich von den Bayern keinen Sand in die Augen streuen: „Man fragt sich schon, was der sich täglich steigernde Furor aus dem Süden der Fußballrepublik zu bedeuten hat. Felix Magath hat in der Torwartfrage mißbilligend sein Haupt geschüttelt und dabei den nicht unwichtigen Hinweis mitgeliefert, daß dieses unentschiedene Duell vor allem für den FC Bayern zu einer Belastung werde. Wenn es aber um die ureigenen Interessen des Meisters aller deutschen Meister geht, hört bei den Münchner Hochleistern nicht nur der Spaß am Spiel, sondern auch am Leistungsgedanken auf. Außerdem ist es ja auch ganz praktisch, den Bundestrainer in die Schlagzeilen zu bringen, da kommt niemand so schnell auf die Idee, der Frage nachzugehen, wie die national allmächtigen Bayern gedenken, künftig ihrer internationalen Ohnmacht zu begegnen. Beim Blick auf die kommende Saison entsteht zumindest nicht gerade der Eindruck, als planten die Bayern einen selbstbewußten Anlauf, wieder zur einstigen europäischen Größe aufzusteigen. Daß sie Michael Ballack, den einzigen Feldspieler von Weltklasseniveau, nicht halten können, daran haben die Bayern schon zu schlucken. Deshalb schicken sie ihm über Rummenigge schon jetzt ein paar verdrießliche Bemerkungen hinterher. Wenn sich nun womöglich auch noch Lehmann im Torwartduell durchsetzen sollte, würde aus der letzten verbliebenen Münchner Leitfigur eine ziemlich tragische Leidfigur. Das kann der FC Bayern weder Kahn noch sich selbst wünschen. Im Winter haben beide ihre Beziehung übrigens bis 2008 verlängert.“

In der Form seines Lebens

Pro Lehmann – Marc Baumann (sueddeutsche.de): „In Jens Lehmann steht ein besserer Torwart bereit. Und wieder fehlt dem Vorgänger die Größe, das zuzugeben. So wie er beim FC Bayern mit seiner jüngsten Vertragsverlängerung den Generationswechsel mit dem hochtalentierten Michael Rensing verhindert, so blockiert Kahn so gut er kann auch das Tor der Nationalmannschaft. Der alte Mann und das Tor. Man muss man natürlich an dieser Stelle sagen, dass auch Jens Lehmann kein Jungspund ist, er ist nur fünf Monate jünger, beide sind Jahrgang 1969. Und doch gehört Lehmann einer neuen Generation von Torhütern an. Das verdankt er seinem Wechsel in die Premier League. Die englische Liga gehört mit der italienischen und der spanischen zu den besten drei der Welt. Die Bundesliga hat ihre beste Zeit fürs erste hinter sich. Kein schöner Gedanke, aber es ist so. Die englische Schule hat Jens Lehmann weitergebracht. Bei Arsenal London erlebt er all das, was der Bundesliga fehlt: hohes Tempo, internationale Härte, Weltklassespieler. Dazu kommt: Lehmann steht bei London hinter einer jungen, oft überforderten Abwehr, die ihm viele brenzlige Momente beschwert. Die Parallele zur deutschen Nationalmannschaft und deren Verteidigerproblem ist unübersehbar. (…) Die Episode Kahn ist vorbei, die Episode Lehmann würde nur eine WM lang dauern, aber wer seit 1998 wartet, hat eine Chance verdient, schließlich ist der Mann gerade in der Form seines Lebens.“

Inbegriff des Ehrgeizes

Pro Kahn – Thomas Becker (sueddeutsche.de): „Kahn ist die richtige Nr.1 – wenn auch derzeit wohl nicht die bessere. Klingt wie ein Widerspruch, ist es aber nicht. Sollte Klinsmann den momentan sicher stärkeren Jens Lehmann zum ersten WM-Torhüter küren, wird ein Sturm der Entrüstung losbrechen. Das ist das Problem: Es geht nicht um einen „gewöhnlichen“ Spieler. Es geht nicht um Neuville oder Kuranyi. Es geht um Oliver Kahn: den Titan, die Werbe-Ikone King Kahn, den besten Spieler der WM 2002, den zweimaligen Welttorhüter, den Held der Unhaltbaren, den Inbegriff des Ehrgeizes und des unbedingten Siegeswillens. Diesen Typ, diese Marke kurz vor dem Ende seiner Karriere bei seiner gerade mal zweiten WM zur Nummer 2 zu degradieren, würde einen ausgewachsenen Orkan auslösen. (…) Kahn wird gesunden, sich stabilisieren, den 100 respektive 1000 Prozent annähern – und die richtige Nr.1 sein.“

Vergangenheit

Oskar Beck (StZ) sammelt die Gründe, die für Kahn sprechen, und ist schnell fertig: „Von vielen wird mit einem erstaunlichen Mut die glorreiche kahnsche Vergangenheit ohne Rücksicht auf die trübe Gegenwart in eine sonnige Zukunft des kommenden WM-Sommers weitergesponnen, und die Wiederholung der verjährten Wundertaten und Wundertage gilt mit einer fast selbstverständlichen Sicherheit als gewährleistet: Ein Knopfdruck, und Olli ist wieder Kahn, der Titan mit den übermenschlichen Reflexen und mirakulösen Robinsonaden. (…) Lehmann ist momentan besser – nur weigert sich unser asiatisches WM-Langzeitgedächtnis standhaft, es zu glauben. Kühl betrachtet gibt es in dieser gefühlsbetonten deutschen Torwartgegenwart nur noch einen gravierenden Grund, der gegen Lehmann spricht: Oliver Kahns Vergangenheit.“

FR: Bayerns Chefetage spricht von Psychoterror
faz.net: Viel Geschwätz um die T-Frage

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