Bundesliga
Konzeptlosigkeit in der Umbauphase
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| Montag, 10. April 2006Werder Bremen–Bayern München 3:0
Philipp Selldorf (SZ) blickt in eine ungewisse Münchner Zukunft: „Mehr Sorge als neue Gefahren für den Gewinn des 20. Meistertitels bereitet den Verantwortlichen der in Frage gestellte Entwurf fürs Ganze. Schlagartig sind die Zweifel beim Spiel in Mailand ins Bewusstsein gelangt, seit dieser Desillusionierung ist außer dem selbstgewissen Rhythmus der Mannschaft auch das Urvertrauen im Verein gestört. Von der Vorsehung für die Konturen einer schönen Zukunft ist nicht mehr viel übrig: Der Kummer ums Stadion und den Partner TSV 1860 belastet die Finanzplanungen; sportlich herrscht Bedarf für eine neue Mannschaftsordnung: durch Makaays anhaltende, womöglich irreparable Betriebsstörung als Tormaschine und durch die Nachrichten von Ballacks Abschied, von Deislers Verletzung und von Kahns Demontage als nationale Leitfigur (die auch in München Folgen haben könnte). Während aber die rivalisierenden Teams aus Bremen, Schalke und Hamburg eine solide gewachsene und/oder kunstvoll montierte Struktur aufweisen, müssen die Bayern an den markanten Stellen ihre Elf komplettieren und offenbaren dabei ein erstaunliches Maß an Rat- und sogar Konzeptlosigkeit. Verwunderlich ist auch das Ausbleiben der Impulse von Felix Magath in dieser Umbauphase. Der Meistertitel ist den Münchnern wohl nicht mehr zu nehmen. Dann aber beginnt für Magath die größte Herausforderung seiner Zeit beim FC Bayern.“ Steffen Hudemann (Tsp) beschreibt die Pflicht der Bayern zu siegen: „Der FC Bayern wirkt wie ein Schwimmer, dem auf den letzten Metern die Puste ausgeht. Wenn sich die Münchner am Ende dennoch mit einem Vorsprung ins Ziel schleppen, wird die grandiose Hinrunde der Schlüssel zum Erfolg gewesen sein. (…) Der FC Bayern hat in dieser Saison nicht mehr viel zu gewinnen. Er kann nur noch verlieren.“
Gegen die Klischees
Einen Rollentausch stellt Stefan Osterhaus (NZZ) fest: „Früher, es ist nicht einmal zehn Jahre her, waren ihre Spiele so etwas wie die Duelle zweier Ideologien gewesen, grundverschieden im Ansatz und in der Ausführung, unabhängig von den jeweiligen Protagonisten Muster-Fälle der Polarisation: der knauserige Norden und der verschwenderische Süden; der polternde Manager (hofiert von obersten CSU-Kreisen) und der Mann mit dem SPD-Parteibuch auf der Gegenseite; der ausgefuchste Trainer (der ein Optimum aus den geringen Möglichkeiten holt) und sein Kollege, der freie Spielerwahl ohne Rücksicht aufs Budget hat. Die Rollen waren zementiert, so sehr, dass sie zum Klischee wurden, das noch immer strapaziert wird, wenn Bremen und der FC Bayern aufeinander treffen, und vielleicht bedurfte es eines Fussballspiels beider Teams, um zu illustrieren, dass sich etwas geändert hat. Am Wochenende schlüpfte Bremen in die Rolle des mondänen Kontrahenten, liess München einfach die bessere, weil engagiertere Mannschaft sein und das Spiel gestalten. Es kümmerte die Bremer nicht, dass sie vom Pech der Bayern profitiert hatten, da Schweinsteiger ein Eigentor erzielt hatte. Und dann, als der Gegner alles auf die Karte Angriff setzte, blieb viel Raum für Konter – ernüchternd für die Unterlegenen, die alles versucht hatten; die Gegner der Münchner kennen dieses Gefühl sehr genau.“
Perpetuum Mobile
Ralf Wiegand (SZ) ergänzt und applaudiert Miroslav Klose: „Wann hat wohl jemals eine Mannschaft schlechter gegen die Bayern gespielt, aber ähnlich hoch gewonnen? Welle um Welle rollte nach dem Seitenwechsel auf das Bremer Tor, vor dem sich zwar auch alle Werderaner versammelt hatten, jedoch ohne sich vorher einen Plan dafür zurechtzulegen. Es war eher ein Happening der Hilflosigkeit, weshalb den Bayern trotz gleicher Spieleranzahl ein sehr ansehnliches Überzahlspiel gelang: Irgendwo stand immer einer frei. Die Angreifer der Münchner wirkten eher wie Stoßdämpfer aufs Spiel der eigenen Mannschaft. Aller Druck, den der Tabellenführer auf die Bremer ausübte, federten die gut gelaunten, aber unbedarften Stürmer mit ihren unpräzisen Abschlüssen wieder ab, wenn sie nicht gleich ins Abseits liefen. (…) Inzwischen haben die Bremer auch nach dem Ausfall aller Systeme – Frank Baumann und Torsten Frings fehlten von Anfang an, Johan Micoud gleich nach der Pause – noch ein Notstromaggregat, auf das sie sich verlassen können: Miroslav Klose. Der Nationalstürmer scheint über eine Art inneres Perpetuum Mobile zu verfügen, er summt auch übers schwerste Geläuf wie eine Libelle und kann sogar in einer Partie gegen den FC Bayern den Unterschied zu Gunsten Werders ausmachen.“
VfB Stuttgart–1. FC Nürnberg 1:0
Leblose Mannschaft
Christof Kneer (SZ) muß nach positiven Zeilen und Zeichen für Stuttgart suchen: „Sensation in der 80. Minute: Endlich hatte man den Spieler Jon Dahl Tomasson entdeckt, von dem der Aufstellungsbogen schon die ganze Zeit behauptet hatte, er würde mitspielen. Es war die Szene, die die Geschichte dieses Spiels einmal um die eigene Achse drehte. Bis zu dieser Szene musste Armin Veh als Verlierer gelten; seine Elf hatte ordentlich gekämpft bis dahin, aber eher erschütternd kombiniert, und dann hatte Veh statt des unsichtbaren Tomasson auch noch den sehr aktiven Ljuboja vom Feld geholt. Die Zuschauer pfiffen empört, und Ljuboja blieb noch eine Weile auf dem Rasen, weil er es gar nicht glauben konnte. ‚Ich habe aber keine Sekunde daran gedacht, Jon Dahl auszuwechseln‘, sagte Veh, ‚ich kann das nicht erklären, ich hatte das einfach im Gefühl.‘ Es ist immer eine gute Geschichte, wenn Trainer mit magischen Mächten im Bunde stehen; in diesem Fall aber ist die Geschichte besonders spannend, weil dieser Trainer sich zurzeit um einen Job bewerben muss, den er schon hat. (…) Wieder mal ist das Spiel der Mannschaft ein Hilferuf gewesen: Gebt uns eine neue Struktur! Baut unseren Kader um! Manchmal kann man in Überzahl besonders viel über eine Elf lernen, und es war ernüchternd zu sehen, wie der VfB auf die umstrittene gelb-rote Karte für Nürnbergs Glauber reagierte. Die Mannschaft weiß gar nicht mehr, wie Druck machen geht, sie kann nicht mehr kreativ spielen und nicht mehr schnell. Der einzige, der noch Risiken eingeht, ist Trainer Veh.“ Auch Oliver Trust (FAZ) kann dem Stuttgarter Sieg nichts abgewinnen: „Der VfB präsentierte sich als leblose Mannschaft, die kein Feuer mehr entfachen kann, weil sich eine bisher verkorkste Saison als zu schwere Last erweist, um nach Giovanni Trapattonis Rauswurf mit Veh einen Neuanfang zu schaffen. Alles präsentiert sich bei den Stuttgartern derzeit als großes Fragezeichen. Dazu gehören weitreichende Veränderungen beim spielenden Personal, die unumgänglich erscheinen, sowie Vehs Zukunft.“
Borussia Dortmund–Bayer Leverkusen 1:2
Balletttänzer auf dem Bauernball
Felix Meininghaus (FTD) würdigt die Leistung Dimitar Berbatovs: „Wer Berbatov hat spielen sehen, weiß, warum die Begehrlichkeiten so groß sind. Wie ein Balletttänzer auf dem Bauernball bewegte sich Berbatov durch die Dortmunder Abwehrreihe und stürzte seine Widersacher von einer Verlegenheit in die nächste.“ Daniel Theweleit (BLZ) erkennt Leverkusen kaum wieder: „Wochen, ja Monate war diese Mannschaft damit beschäftigt, eine neue Identität zu finden, man fragte sich schon, ob Michael Skibbe der richtige Trainer ist für dieses zur Lethargie neigende Team. Doch nun vermittelt die Mannschaft eine Ahnung, wie das Bayer Leverkusen der Zukunft aussehen könnte.“
Freddie Röckenhaus (SZ) berichtet von einer Dortmunder Wohnsitzdebatte: „Zwar ist es van Marwijk gelungen, dem BVB nach den frustrierenden Sammer-Jahren so etwas wie Spielkultur zu geben, aber um den Preis hoher Ausrechenbarkeit. Schon nach der schwachen Leistung in Gladbach hatte BVB-Präsident Reinhard Rauball ungewöhnlich deutlich moniert, dass die Spielweise in keiner Relation zur personell immer noch hochkarätigen Besetzung stehe. Ein deutlicher Seitenhieb auf van Marwijk, der zwar mit seiner coolen Art sowie zwei trainingsfreien Tagen in der Woche gut bei den Spielern ankommt, dem aber intern bei jeder kleineren Misserfolgsserie vorgehalten wird, viel zu wenig in Dortmund präsent zu sein und die Bundesliga nach wie vor nicht gut genug zu kennen. Van Marwijk lebt praktisch in Holland und das Studium von Gegnern hält er ausdrücklich für vernachlässigenswert.“
1. FC Kaiserslautern–Hertha BSC Berlin 0:2
Verwalter des Kläglichen
Gerd Schneider (FAZ) sieht schwarz für Kaiserslautern: „Die Pfälzer Anhänger machten sich so konsterniert auf den Heimweg, als hätten sie jegliche Hoffnung auf eine erstklassige Zukunft verloren. Dabei sind die Fans des 1. FC Kaiserslautern hart im Nehmen geworden. Der sportliche und finanzielle Niedergang ihrer Mannschaft dauert ja schon ein paar Jahre; er hat Spuren hinterlassen. Die Pfälzer Kundschaft ist inzwischen leicht zufriedenzustellen. Jede halbwegs gelungene Aktion beklatschen sie in Kaiserslautern dankbar, und über technische Unzulänglichkeiten sehen sie mild hinweg. Aber das, was sie in der Partie gegen die keineswegs entschlossen auftretenden oder brillant spielenden Berliner geboten bekamen, war kaum zu ertragen. Die Lauterer spielten so schwach, daß der Auftritt der Hertha auf dem einstmals gefürchteten Betzenberg zu einem Spaziergang geriet. (…) Schwer zu sagen, welchen Anteil Wolfgang Wolf am Lauterer Fußball-Elend hat. Er ist wohl nicht besonders groß. Der frühere Pfälzer Profi übernahm die Mannschaft im Winter von seinem entlassenen Vorgänger Michael Henke, und vermutlich hatte auch der kaum Einfluß auf die Zusammenstellung des Kaders.“ Jürgen Heide (FR) fügt hinzu: „Wie schlecht darf man eigentlich sein, um weiter mitspielen zu dürfen in der Eliteklasse des deutschen Fußballs? Der 1. FC Kaiserslautern bedient allenfalls die Ansprüche eines durchschnittlichen Zweitligisten. Spielerisch wie läuferisch mangelt es dieser Mannschaft an einem Niveau, das wirklich darauf hoffen lässt, die Klasse noch zu halten.“ Tobias Schächter (SZ) sieht das ähnlich: „So langsam geht auch Wolfgang Wolf das Pathos aus. Aus eigener Kraft schafft diese überforderte Mannschaft das Ziel nicht. Die kleine Siegesserie im März entpuppt sich immer mehr als ein letzter Kraftakt notorisch Überforderter. Wolf weiß das, er ist ein Verwalter des Kläglichen. Gegen Hertha hatten sie es nur der Berliner Leichtfertigkeit zu verdanken, dass sie nicht ein Debakel erlebten.“
FSV Mainz 05–Hannover 96 0:0
Blockiert
Ulrich Hartmann (SZ) sorgt sich um Mainz: „Der Mainzer Spaßfußball driftet in eine Melancholie. Seit ihren Kriminalstücken im Aufstiegskampf der zweiten Liga sowie dem Abstiegskampf im vergangenen Jahr nennen die Mainzer erhöhten Druck gern als Wettbewerbsvorteil, doch seit drei Spielen wirken sie blockiert.“
1. FC Köln–VfL Wolfsburg 3:0
Zuversicht?
Eine Ewigkeit fühlt Christoph Biermann (SZ) verstreichen: „203 Tage waren seit dem letzten Heimsieg vergangen. Damals, am 17. September 2005, konnte man über eine Rede von Bundesaußenminister Joschka Fischer vor der UN und vom Versuch der Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf lesen, einen Benimmkodex für First Ladys zu etablieren. Fürs Wochenende wurde erstmals kühles Herbstwetter angekündigt, aber im Kölner Stadion hatte die Sonne geschienen, als Björn Schlicke und Lukas Podolski beim 2:1 gegen Mönchengladbach die Siegtreffer erzielten. Der 1. FC Köln rückte auf den 5. Tabellenplatz vor, und niemand ahnte, welche Leiden folgen würden. (…) Klassenerhalt? Kölns Chancen bleiben winzig, aber es ist wenigstens nicht mehr absurd, darüber zu sprechen.“ Gregor Derichs (FAZ) achtet auf die Aussagen der beiden Trainer: „Gegenüber seinen Spielern schürt Hanspeter Latour Zuversicht. Die Mannschaft, die bisher noch nie einen völlig hoffnungslosen Eindruck hinterlassen hatte, stemmt sich mit großem Engagement gegen den Abstieg. Dies wird als Latours Verdienst eingestuft. (…) Klaus Augenthalers Verweis auf die gute Arbeitseinstellung seiner Spieler überraschte nicht wenige Beobachter. Denn die kämpferische Einstellung entsprach nicht der eines Abstiegskandidaten. Daß viele Spieler den VfL bei einem Abstieg ablösefrei verlassen können, könnte noch fatale Auswirkungen haben. “
Arminia Bielefeld–Eintracht Frankfurt 1:0
Freude und Vorfreude
Roland Zorn (FAZ) schildert die Stimmungsunterschiede beider Klubs, bevor sie diese Woche im Pokal erneut aufeinandertreffen: „‘Jetzt ziehen wir auch in das Pokalfinale ein‘, machte sich Michael Fink zum Sprecher der erstaunlich robusten, überaus widerstandsfähigen Minimalisten vom Teutoburger Wald. Fink, der in der kommenden Saison für die Eintracht spielen wird, gehört zu den wichtigsten Mitarbeitern einer der stärksten Defensivformationen der Bundesliga. Arminia Bielefeld hat mit acht Toren und zehn Gegentreffern in der Rückrunde 17 Punkte erobert – das deutet auf schmucklose Wertarbeit mit hoher Prägekraft. Während die Anhänger des vor der dritten Erstligasaison nacheinander stehenden Deutschen Sport-Clubs mit den Profis einen Tag der Freude und Vorfreude feierten und am Dienstag in stattlicher Zahl – rund 5.000 Arminen-Fans werden in Frankfurt erwartet – gen Hessen aufbrechen werden, herrschte bei der Eintracht ein Stimmungsgemisch aus Niedergeschlagenheit und Widerstandsoptimismus.“
taz: Der Holocaust-Leugner, Israelfeind und iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad dürfe ‚gern zur WM nach Deutschland kommen‘, sagt Wolfgang Schäuble. Ist Ahmadinedschad ein willkommener Fußballfreund?