indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Wer macht den Psychoterror?

Oliver Fritsch | Donnerstag, 13. April 2006 Kommentare deaktiviert für Wer macht den Psychoterror?

Oliver Bierhoff im Interview mit Ludger Schulze (SZ) über Jürgen Klinsmanns Torwartantwort
SZ: Die Entscheidung fiel in ein Klima des Verdachts und der Mutmaßungen hinein. Zum Beispiel, dass man nur darauf gewartet habe, Kahn möge Fehler machen.
Bierhoff: Das stört mich am meisten. Bei allen Entscheidungen wird Jürgen Boshaftigkeit unterstellt oder irgendeine Strategie. Mir wurde nachgesagt, ich sei Trauzeuge bei Lehmanns Hochzeit gewesen, dass unsere Frauen die besten Freundinnen seien. Es ist abwegig, glauben, dass wir bei einer WM derartige persönlichen Dinge einbringen. Aber so ist diese negative Grundstimmung. Am Montag etwa habe ich hier nach der Erklärung von Oliver Kahn noch einen Pressetermin gemacht, da waren zehn Journalisten da vom Fernsehen. Und es kam keine einzige positive Frage. Nur: „Wie soll das gehen? Was denken Sie, was Lehmann jetzt macht? War Klinsmann überhaupt glücklich darüber?“ Kein einziger hat einmal gefragt: „Das waren doch großartige Aussagen von Oliver Kahn, freuen Sie sich darüber?“
SZ: Wie erklären Sie sich das? Ist das Ausdruck einer spezifischen Mentalität?
Bierhoff: Sicher ein bisschen. Aber ich mag es nicht, immer auf der deutschen Mentalität rumzuhacken. Und beim Publikum, den Fans, stelle ich ja auch eher fest, dass sie Änderungen wollen und der Tendenz unserer Arbeit zustimmen. Ich hoffe, dass sich jetzt ein wenig positives Denken durchsetzt. Für mich – und nicht nur für mich, auch für die Trainer, das WM-OK, den DFB oder auch Uli Hoeneß – war das, was Oliver Kahn gemacht hat, ein Befreiungsschlag. Aber selbst das wird beäugt.
SZ: Aber die Stimmung stammt nicht nur aus den Medien. Sie haben den Namen gerade genannt: Uli Hoeneß hat gesagt, Kahn habe nie ‚eine faire Chance gehabt‘ im Wettstreit mit Lehmann, er sei ‚ausgetrickst‘ worden. Wie konnte er zu dieser Meinung kommen?
Bierhoff: Was mich daran stört: Eigentlich ging es hier doch um einen sportlichen Zweikampf, wer ist der Bessere? Wir haben in Deutschland eine Tradition von guten Torhütern. Nicht nur im Fußball. Und dann wird hier der sportliche Wettkampf zum ‚Psychoterror‘ erklärt. Wer macht den Psychoterror? Ein Trainer, der das Recht hat, etwas zu probieren?
SZ: Für Kahn war es offensichtlich eine schwierige Situation. Hoeneß konnte das in München im Alltag erleben.
Bierhoff: Sicher war die Situation für Oliver schwieriger als für Jens. Weil er als Nummer 1 der Gejagte war. Aber deswegen kann man der Sache nicht aus dem Weg gehen. Den Begriff ‚Psychoterror‘ akzeptiere ich deswegen nicht. Den Stress machen nicht die Trainer, sondern Öffentlichkeit, Medien und Vereinsvertreter. Uli Hoeneß, den ich sehr schätze und mit dem ich gut zusammenarbeite, behauptet eben manchmal auch Dinge, um zu provozieren.
SZ: In den Tagen nach der Torwartentscheidung hat Klinsmann gesagt, Kahn sei ‚vom Typ her keine Nummer 2′. Auch Köpke hat Zweideutiges geäußert. Das eröffnete Spekulationen, man habe Kahn nicht mehr dabei haben wollen.
Bierhoff: Spekulationen entstehen immer, da braucht man nicht mal was zu sagen. Die logischen Fragen nach der Torwartentscheidung waren doch: Nimmt Kahn die Nummer 2 an? Und wie verhält er sich dann? Was Jürgen und Andreas gesagt haben, ist vielleicht unglücklich rübergekommen.
SZ: Bei der Entscheidung für Lehmann sollen persönliche und geschäftliche Motive eine Rolle gespielt haben. Sie sind angeblich von Kindheit an mit ihm befreundet.
Bierhoff: Wir sind im gleichen Verein groß geworden, bei Schwarz-Weiß Essen. Aber wir haben aufgrund des Altersunterschieds nie zusammen gespielt. Es gab sicher mal ein flüchtiges Hallo, aber richtig kennen gelernt habe ich ihn erst bei der WM 1998. Wir können gut miteinander, so wie ich mit Marco Bode gut kann. Mit Jens habe ich auch ein halbes Jahr in Mailand zusammengespielt, aber es war nie so, dass wir uns ständig getroffen hätten. Wir haben noch keinen Urlaub zusammen verbracht, wir sind privat noch nie drei Tage hintereinander zusammen gewesen. Aber: Ich halte ihn für einen guten Typen, er schaut über den Tellerrand hinaus, mit ihm kann ich mich sehr gut unterhalten. Wenn ich in einer solch wesentlichen Angelegenheit wie der Torwartfrage mauscheln würde, würde ich das Vertrauen der Trainer missbrauchen. In unserer internen Diskussion habe ich oft ein Wort für Oliver eingelegt. Es gab ja viele Aspekte, die für Kahn gesprochen haben. Ich habe meine Meinung geäußert, aber ich sage den Trainern in solchen Situationen immer: Das ist Eure Entscheidung.
SZ: Zu den Verschwörungstheorien gehört auch, dass es in Ihrem persönlichen Interesse gewesen sei, Lehmann auszuwählen, weil sie beide beim Sportartikelhersteller Nike unter Vertrag stehen.
Bierhoff: Davon habe ich noch nie gehört. Wer glaubt, dass solche Dinge eine Rolle spielen könnten, liegt schief. Die Partnerschaft mit Nike besteht seit zehn Jahren, und ich hänge persönlich an diesem Partner. Der Vertrag ist jedoch wirklich klein. Und ich kann zwischen dem DFB und der Person Oliver Bierhoff bestens unterscheiden. Es ärgert mich, wenn solche Dinge hervorgeholt werden. Im Nationalteam habe ich die Interessen von adidas immer optimal vertreten. Ich habe Christian Wörns verboten, in Nike-Schuhen zu trainieren, ich habe Jens Lehmann verboten, mit überklebten Nike-Handschuhen zu spielen. Und ich habe adidas weit mehr Zeit für Werbeaktivitäten eingeräumt, als vertraglich vereinbart war.
SZ: In der Branche wird immer wieder der Name André Gross genannt. Der Schweizer Anwalt ist Berater von Klinsmann und Lehmann zugleich, er soll auch die Verhandlungen für Joachim Löw und Andreas Köpke mit dem DFB geführt haben. In ihm wird ein Drahtzieher für Lehmann vermutet.
Bierhoff: Ich frage mich, woher solche Dinge kommen. Diese Unterstellungen kann ich nur mit Nachdruck zurückweisen.

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

112 queries. 0,552 seconds.