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Undurchschaubarkeit
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| Donnerstag, 13. April 2006Harald Staun (SZ-Magazin) entlarvt die Camouflage Reiner Calmunds: „Der Geheimnisvolle – das ist die Rolle, die Calmund meisterhaft beherrscht. Er hat gelernt, seine Figur zu tragen wie ein Kostüm, wie einen Panzer, der alles blockt, was ihm zu nahe kommt, er dreht und wendet seine Maske, je nachdem, was man gerade von ihm halten soll. Er spielte den Mann mit harter Schale, damit man ihm den weichen Kern unterstellt, er spielte den sympathischen Witzbold, damit man ihn ernst nimmt. Jetzt spielt er den Sprücheklopfer, das Großmaul, damit niemand seine prekären Aussagen beim Nennwert nimmt. Er sitzt die Sache aus wie einst ein anderer Dicker, an dem man dieselbe Haltung erkennen konnte, jene unzeitgemäße, paternalistische Machtgeste bundesrepublikanischer Provinzfürsten. Wie ein Schild schiebt er seine breiten Schultern vor den Dreck und die Lügen, vor all die Machenschaften, die im deutschen Fußball notwendig sind, aber besser unsichtbar bleiben. Transparenz mag das Credo der Stunde sein – Reiner Calmund bleibt die Undurchschaubarkeit in Person.“
SZ: Der Fußball ist ein Sündenpfuhl: In ihren Calmund-Ermittlungen bekommt die Kölner Staatsanwaltschaft einen Einblick, was in der Branche alles üblich ist
Kein Lebensgefühl, sondern ein Job
Rüdiger Barth (Stern) stellt uns Michael Ballack als autonomen Sportler vor: „Wenn man mit Uli Hoeneß redet, ist Bedauern zu spüren, Ballack in fast vier Jahren nicht nahe gekommen zu sein. Nun nüssen sie ihn ziehen lassen, nach der WM, sie kriegen keinen Cent für ihren Star. Ein Desaster. Hoeneß lebt den FCB, für die Spieler steht seine Tür stets offen, er will, dass sich die Profis ihm anvertrauen. Dieser Klub liebt nur Spieler, die sich vereinnahmen lassen, Kahn, Scholl, Jeremies. Ballack ist anders. Für ihn ist der FC Bayern kein Lebensgefühl, sondern ein Job, aus guten Gründen. 2004 sah er sich als Sündenbock hingestellt, nach einer titellosen Saison. ‚Wenn Du als Spieler deine Leistung nicht mehr bringst, wirst du fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel.‘ (…) 2004 machte ihn Klinsmann zum Kapitän der Nationalelf. Er sei stolz darauf, sagt er. Er fühlt sich stärker, mit der Binde am Arm. Der Vorwurf, Ballack halte sich zu sehr zurück, er ist seitdem seltener zu hören. Keiner, der ihn kennt, behauptet, er sei am Ende seines Weges angelangt. Vielleicht wird Ballack auch deswegen nach der WM ins Ausland gehen, es spielt weniger Romantik mit, als sich Romantiker wünschen mögen, aber auch weniger Geldliebe, als seine Kritiker gern behaupten. Er will mit den Besten der Welt spielen. In Deutschland geht das nicht.“ Roland Zorn (FAZ) schließt aus den beleidigten Reaktionen der Bayern-Verantwortlichen: „Dennoch hat Ballack lange geschwankt, ob er nicht doch bei Bayern verlängern soll. Erst als die Münchner ihn im November ultimativ unter Druck setzten, ihr Vierzig-Millionen-Euro-Angebot für die nächsten vier Jahre anzunehmen, und diese Offerte bei der Mitgliederversammlung des FC Bayern unter viel Getöse zurückzogen, kühlten die gegenseitigen Geschäftsbeziehungen ab. Den Gang nach ‚Canossa‘, den ihm Hoeneß für den Fall des Scheiterns seiner Vertragsgespräche mit Real Madrid prophezeit hatte, braucht Ballack gewiß nicht anzutreten. (…) Diesmal bietet sich Ballack angesichts der augenblicklich nicht gerade optimalen Bayern-Form als Sündenbock wohl auch deshalb an, weil er den Verein zum Saisonende verläßt.“
Kein Mensch für Punkte
Dirk Kubjuweit (Spiegel) beschreibt die Widersprüchlichkeit und Zerfahrenheit Franz Beckenbauers am Beispiel der gemeinsamen Pressekonferenz mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der letzten Woche: „Nun spricht der Korrespondent von Reuters, hörbar ein Engländer, also einer, der 1990 und 1996 nach den Halbfinals ganz schön trauern musste. Er will uns die reine Freude verderben. Er sagt: Zuletzt habe es in Deutschland ‚mehr Nörgelei und Pessimismus gegeben als auf der ganzen Welt zusammen‘. Das lässt sich Franz Beckenbauer, der Sieger von 1990, nicht bieten: ‚Ich kenne keinen Nörgler. Alle Leute sind nett und freundlich.‘ Er erzählt sehr schön von der versöhnenden Kraft des Fußballs. In der Elfenbeinküste etwa ‚war es ein ständiges Bekriegen, aber der Fußball hat alle an einen Tisch gebracht‘. Dann kommt der Satz, der zeigt, dass alles gut ist in Deutschland. Er kommt von Beckenbauer: ‚Ich vertraue Jürgen Klinsmann, dass er es fertigbringt, die Mannschaft topfit ins Rennen zu schicken.‘ So muss es sein. Von ausländischen Fußballmächten herausgefordert, schließt Deutschland die Reihen. So kann man Weltmeister werden. Es ist 15.05 Uhr, die Pressekonferenz ist zu Ende. Steinmeier und Beckenbauer signieren drei Bälle, und dann ist noch etwas Zeit für Fernsehinterviews. Sofort bildet sich ein Pulk von Journalisten um Beckenbauer. Er wird gefragt, ob nicht die Torwartfrage endlich entschieden werden müsse? ‚Ich bin nicht der Bundestrainer‘, sagt Beckenbauer. Hinter diesen Satz könnte er einen Punkt machen und schweigen, aber er macht keinen Punkt, Beckenbauer ist kein Mensch für Punkte. Wenn man ihn fragt, antwortet er ohne Punkt und Komma. Die Sache beginnt schiefzugehen. ‚Die Torwartfrage hätte schon längst entschieden sein müssen‘, sagt Beckenbauer. Was nun folgt, ist ein kleines Duell zwischen RTL und DSF, wer dem Kaiser die besseren Vorlagen gibt. Und Beckenbauer, der keinen Nörgler kennt, nimmt diese Bälle auf und knallt sie in Klinsmanns Fresse, wenn man das mal so sagen darf. Es ist 15.10 Uhr. Der Versuch ist gescheitert. Um 15.26 Uhr kommt die erste Depesche von dpa zum Treffen der beiden Außenminister Steinmeier und Beckenbauer. Es geht nur um die Kritik an Klinsmann. Deutschland ist wieder ein zerstrittenes, unfrohes Land. Jetzt hilft nur eins: Beckenbauer muss wieder los, nach Afrika, in die Elfenbeinküste. Er muss sich das noch einmal erklären lassen, wie das ist mit dem Fußball und der versöhnenden Kraft. Wenn er es verstanden hat, kommt er wieder – und dann versuchen wir es noch mal mit der reinen Freude.“