Deutsche Elf
Ich hatte manche schwierige Situation zu bewältigen
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| Samstag, 15. April 2006Jens Lehmann im Interview mit Jörg Kramer (Spiegel)
Spiegel: Uli Hoeneß behauptet, Sie hätten seit eineinhalb Jahren gewusst, dass Sie bei der WM spielen. Wie kann das sein?
Lehmann: Da hätte ich schon sehr optimistisch oder Hellseher sein müssen. Vor eineinhalb Jahren war ich von der Nummer 1 im Nationalteam weit entfernt, weil ich in London auf der Bank gesessen habe. Daraufhin habe ich einiges geändert, auch den Trainingsrhythmus. Wenn man aus Deutschland kommt, ist man es gewohnt, ein paar Monate sehr hart zu trainieren – bis zur Winterpause, in der man sich erholen kann. In England gibt es die Winterpause nicht. Ich musste lernen, dort von Ende November an mehr Gewicht auf die Qualität des Trainings zu legen, weniger auf Intensität. So bleibt man frisch. Seit jenem Winter habe ich so konstant gespielt wie nie zuvor. Das hat meinen Optimismus gestärkt.
Spiegel: Wirkten Sie deshalb im Endspurt um die Gunst Klinsmanns so gelassen?
Lehmann: In meinem Fußballerleben hatte ich manche schwierige Situation zu bewältigen. Bei Schalke standen wir auf dem letzten Tabellenplatz, und der Verein hatte jede Menge Schulden. Da war ich 18. Da fing der Druck an. Dann kam der Trainer Aleksandar Ristic, der mir vor jedem Spiel aufs Neue sagte: Wenn du heute wieder einen Fehler machst, bist du weg. Später kam Jörg Berger, der mich in seinem ersten Spiel zur Pause auswechselte und anderntags meinte: Besser, du suchst dir einen neuen Verein.
Spiegel: Sie galten in Ihrer Karriere nie als Publikumsliebling. Vor einem Länderspiel in Kaiserslautern pfiffen die Zuschauer Sie sogar schon aus, als die Mannschaftsaufstellung durchgesagt wurde. Erhoffen Sie sich nun, als WM-Torwart der Nation, mehr Unterstützung?
Lehmann: Natürlich. Wie jeder andere auch werde ich gern gemocht. (…)
Spiegel: In der Premier League ist das Tempo höher, und als mitspielender Torwart, der Angriffe ahnen und oft weit vor dem Tor abfangen muss, sind Sie stets hochkonzentriert und wirken angestrengt. Hat Ihnen diese Schule den Platz im WM-Tor eingetragen?
Lehmann: Wegen dieser Spielweise bin ich damals von Arsenal gekauft worden. Wie viele Kilometer, glauben Sie, laufe ich im Spiel?
Spiegel: Drei? Vier?
Lehmann: Etwa fünf bis sechs in 90 Minuten. Das ist einiges, wenn man weiß, dass Mittelfeldspieler in der Regel auf zehn bis elf Kilometer kommen, Stürmer auf acht bis neun. Aber ich denke, auch das Training bei Arsenal kam mir zugute. Man trainiert hier ständig das Spielsystem, auch mit dem Torwart. Das ist in Deutschland noch nicht überall üblich. Doch Jürgen Klinsmann und Joachim Löw denken wohl ähnlich: Auch sie haben eine genaue Vorstellung davon, was jeder Spieler auf dem Platz zu tun hat. Daher ist Arsenal für mich ein Geschenk des Himmels. Ich weiß, wie das Spiel funktioniert. Und ich bin topfit.
Spiegel: Es heißt, Sie hätten einen Wettbewerbsvorteil genossen, weil Sie mit dem Bundestrainer den Berater teilten.
Lehmann: Mit dem Anwalt André Gross, den Sie meinen, habe ich seit vier Jahren nicht mehr zusammengearbeitet.
Eremit
Rüdiger Barth (Stern) fragt, was aus dem kommenden Manager Oliver Kahn geworden ist: „Vor Jahren sagte Uli Hoeneß, 2006 höre er auf, und als möglichen Nachfolger nannte er Kahn. Die Idee wurde im Lauf der Zeit klammheimlich begraben. Es werden nicht viele Worte darum gemacht, aber es ist klar: Die Bayern trauen es Kahn nicht mehr zu. Weil er, und das muss man als Manager, keine Menschen für sich gewinnen kann. Kahn gilt den meisten in seinem Klub als Berg Missmut, er lebt nur nach seinen eigenen Regeln, immer weiter, durch die Wand. Was ihn so stark gemacht hat, auf dem Platz, macht ihn außerhalb zum Eremiten. Vielleicht war es Kahn bislang nicht klar: Für ihn hat die Zukunft längst begonnen. Und sein größter Kampf steht erst bevor. Es ist der Kampf zurück zu den Menschen. Besiegen muss er den härtesten Brocken: Oliver Kahn.“
Im Editorial der Sport Bild liest man im ersten Satz: „Jens Lehmann verdient als Torwart der Nationalmannschaft allen Respekt, daß seine Leistungen fair und vorurteilsfrei beurteilt und analysiert werden.“ Dem läßt sich schwer widersprechen. Allerdings ist es immer sehr aufschlußreich, wenn jemand eine Selbstverständlichkeit betont. Zur Erinnerung: Der Sport-Bild-Autor und Oliver-Kahn-Schoßhund Raimund Hinko hat letzte Woche im DSF die Ernennung Lehmanns zum Nationaltorhüter auf angebliche Geschäftsbeziehungen Lehmanns zu Jürgen Klinsmann zurückgeführt und einige andere Theorien ersponnen.
Für hochkarätig erklärt
Christof Kneer (SZ) erforscht Auf- und Abstieg Tobias Raus: „Tobias Rau kommt von weit her, das muss man wissen. Er kommt aus einer Zeit, in der ihn fast alle Experten in jene virtuelle Elf einsortierten, die 2006 mit heldenhaftem Fußball den WM-Titel erringt. In dieser Elf verteidigt vor einem Torwart Kahn eine Viererkette Hinkel-Friedrich-Metzelder-Rau, und allein an dieser Viererkette kann man schön erkennen, dass es leichtere Aufgaben gab, als im Herbst 2003 ein WM-Held von 2006 zu sein. (…) Wenn es stimmt, dass eine Nation für eine WM im eigenen Land ein paar Opfer bringen muss, dann heißt eines dieser Opfer Tobias Rau. Es war sein Glück und sein Pech, dass er genau in die Goldgräberstimmung hineingewachsen ist, die das Land nach der Vergabe der WM verrückt machte. Es war die Zeit, als jedes Talent auf die Gold-Waage gelegt und umgehend für hochkarätig erklärt wurde. Heute kann man sagen, dass es jene heillose Euphorie fürs Personal gewesen ist, die Rau in eine Karriere hineingeschleudert hat, zumal er auch noch jene linke Abwehrflanke bespielte, die nach Andreas Brehme nie mehr verlässlich bespielt worden war. Es war wie eine Erlösung, als dem Land dieser Rau erschien, und so ist der Frechdachs aus Wolfsburg auf der linken Spur durchgerauscht bis München. (…) Tobias Raus Geschichte ist die von einem jungen Mann, der Deutschland hätte retten sollen und der jetzt froh sein kann, wenn sie ihn bei Arminia in Bielefeld wieder hinkriegen.“