WM 2006
Ein unglaublich ungerechtes Luxusproblem
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| Donnerstag, 20. April 2006Bonzen-WM? Birgit Dengel (FTD/Agenda) schildert die Probleme mancher Sponsoren, ihre Tickets loszuwerden: „Tickets sind nach wie vor zu haben – nur nicht für alle und nicht zu jedem Preis. Und nicht jeder, der eine WM-Karte bekommen könnte, will sie auch tatsächlich haben. Wie verquer die Vergabe gelaufen ist, zeigt sich insbesondere bei den Kontingenten, die Unternehmen erhalten haben. Etwa 490.000 Karten bekommen die fünfzehn internationalen Sponsoren wie Coca-Cola oder Adidas sowie die sechs nationalen Förderer wie die Deutsche Bahn oder Obi. Weitere 347.000 Karten erhält der Ticketvermarkter ISE Hospitality, der von der Fifa für etwa 170 Millionen Euro das Recht erworben hat, VIP-Tickets inklusive Bewirtung und Parkplätzen zu verkaufen. Aus dem ISE-Topf schöpfen Firmen, die nicht zu dem Sponsorenkreis gehören, aber dennoch Geschäftspartner zu den Spielen in eine Loge einladen möchten. Viele Firmen sitzen auf Tausenden von Tickets – wissen aber nicht immer, an wen sie die Karten überhaupt verteilen sollen. Der Energieversorger EnBW beispielsweise tut sich schwer damit, seine Karten loszuwerden. Dem Unternehmen steht als nationalem WM-Förderer ein Kontingent an Sponsorentickets zu. EnBW-Chef Utz Claassen wollte sie unter anderem Ministern und Parlamentariern zukommen lassen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts der Korruption. Juristen sprechen mittlerweile von ‚Vorteilsgewährung‘ und ‚Vorteilsannahme‘. Deshalb sind sich Mitarbeiter, die Karten geschenkt bekommen, nicht sicher, ob sie auf die Freikarten Lohnsteuer zahlen müssen. Die unklare Rechtslage ist absurd: Entweder die Bedachten schreckten vor dem Geschenk zurück, weil ihnen der Wert zu hoch erscheine. Oder sie hätten bereits mehrere Tickets für dasselbe Spiel angeboten bekommen – ein unglaublich ungerechtes Luxusproblem in den Augen jener Millionen Fans, die leer ausgegangen sind. Inzwischen fürchten die Beteiligten, dass wie bei der WM 2002 ganze Blöcke in den Stadien leer bleiben.“
Jörg Nauke (StZ) spöttelt: „Die Schweizerische Ise Hospitality AG, die die weltweiten Exklusivrechte für die superteuren Logen und Tribünenplätze erwarb, hat eine gute Nachricht für alle Fans: Es gibt noch genügend WM-Karten – man muss sie sich nur leisten können. Wer Geschäfte in erstklassigem und privilegierten Ambiente anbahnen oder sich privat eine exquisite Sicht auf das Spielfeld gönnen will, für den stehen die Stadiontore weit offen. Sperrangelweit sogar, wenn man bedenkt, dass der gemeine Fan Tickets nur mit Angabe seiner persönlichen Daten erhält, der Logengastgeber neben seinem Ticket aber Blankokarten erhält mit der Aufschrift ‚Gast von Herrn/Frau xy‘. Wenn das kein Schlupfloch für Verfassungsfeinde ist …“
Nichtsnutzige Hysterie
Heribert Prantl (SZ/Meinungsseite) kritisiert die WM-Sicherheitspolitik: „Das, was von den Sicherheitsbehörden im Verein mit dem WM-OK aufgezogen wird, ist zum Teil unsinnig, zum Teil rechtswidrig; nicht selten beides. Wenn nun von allen Hooligans und denen, die man dafür hält, genetische Fingerabdrücke genommen werden sollen, dient dies weniger der Sicherheit denn der Produktion von Schlagzeilen für die, die das vorschlagen. Man braucht wirklich kein Mitleid mit Fußballrowdys zu haben, aber: Abgesehen davon, dass die Strafprozessordnung eine genetische Pauschalregistrierung nicht hergibt, bringt sie auch keinen Sicherheitsgewinn. Dieser Fingerabdruck dient der Suche nach unbekannten Straftätern. Die gefährlichen Hooligans kennt man aber, dank guter Polizeiarbeit, genau. Um sie an Randale zu hindern, sind andere Maßnahmen geboten – Polizeibesuche am Arbeitsplatz, Meldepflichten. Das wird schon intensiv gemacht. Der genetische Aktionismus ist ein Exempel für nichtsnutzige Hysterie. In diese Kategorie fällt auch die uferlose Datenerhebung und -speicherung im Zuge des Ticketing-Verfahrens und bei der Akkreditierung von Journalisten, Wurstverkäufern, Sanitätern, Fußballspielern und Begleitmannschaften. Der Erwerb der Tickets setzt voraus, dass der Bewerber eine Vielzahl persönlicher Daten offenbart. An zusätzlicher Sicherheit bringt das fast nichts: An den Nadelöhren der Stadioneingänge lässt sich eine Ausweiskontrolle nur aleatorisch vornehmen, so dass Gewalttäter unerkannt mit fremden Tickets in die Stadien kommen können. Im Ergebnis geschehe, sagt der Kieler Datenschützer Thilo Weichert, eine gewaltige Datenerfassung argloser Zuschauer und deren elektronische Überwachung. Lukrativer Nebeneffekt: Die gesammelten Daten fließen an die WM-Sponsoren.“
Tsp: Heute entscheidet ein Gericht, ob Fans WM-Tickets weiterverkaufen dürfen