Am Grünen Tisch
Ich bin nicht der Buhmann
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| Donnerstag, 20. April 2006Joseph Blatter im Interview mit Marc Brost und Moritz Müller-Wirth (Zeit)
Zeit: Sobald Sie ein deutsches Fußballstadion betreten, werden Sie ausgepfiffen. Wie fühlt sich das an, allein gegen 60.000?
Blatter: Angenehm ist es nicht. Das Motto lautet ja: ‚Die Welt zu Gast bei Freunden‘. Und ausgerechnet die Nummer eins der Fußballwelt wird unfreundlich behandelt.
Zeit: Die Deutschen sind schlechte Gastgeber?
Blatter: Nein. Es pfeifen ja auch nicht alle 60.000 Menschen im Stadion. Die Fans, die pfeifen, sehen nur das Feindbild Blatter, das seit Jahren von den Medien aufgebaut wurde. Da ist es nur logisch, dass sie auf diese Weise reagieren. Ich kann nur versuchen, den Leuten klar zu machen, dass ich nicht der Buhmann bin.
Zeit: Sie gelten als letzter Diktator Europas…
Blatter: … das ist mir neu.
Zeit: …weil Sie den Weltfußballverband vom Stammsitz Zürich aus wie ein Alleinherrscher führen. Karl-Heinz Rummenigge hat das vor kurzem so zusammengefasst: Blatter diene dem Fußball nicht, aber der Fußball diene Blatter.
Blatter: Es verletzt mich, wenn ein Fußballer, den ich sehr gut kenne, so etwas sagt. Er sollte es besser wissen. Die Fifa hat 207 Mitgliedsländer, mehr als die Vereinten Nationen, und jeder Landesverband vertritt seine eigene Meinung. Da gibt es keine allgemein gültige Doktrin. Es ist doch vielmehr so: Der Präsident der Fifa wird von der Generalversammlung gewählt, die anderen Mitglieder des Exekutivkomitees – meiner Regierung, wenn Sie wollen – werden aber von den verschiedenen Konföderationen gewählt. Die vertreten ihre Meinung, und ich stehe allein da. Da muss man ab und zu eine Entscheidung treffen. Soll das diktatorisch sein?
Zeit: Am Ende setzt sich Ihre Meinung durch.
Blatter: Nicht immer, aber meine Meinung setzt sich durch, wenn es um etwas Wesentliches geht. An der Spitze muss eben jemand stehen, der ja sagt oder nein.
Zeit: Die Fifa hat die Rechtsform eines eingetragenen Vereins und gibt gleichzeitig viel Geld für Spesen, Bezüge und Privilegien ihrer Funktionäre aus. Wie passt das zusammen?
Blatter: Als wir noch kein Geld hatten, waren die Spesen gering. Heute haben wir mehr Geld, weil der Umsatz höher ist und damit natürlich auch die Arbeit umfangreicher geworden ist. Also sind auch die Spesen höher. Früher beschäftigte die Fifa nur 11 Angestellte, heute sind es 300. Früher gab es nur einen einzigen Wettbewerb, die Weltmeisterschaft. Der deutsche Trainer Dettmar Cramer kümmerte sich damals allein um unsere Entwicklungsprogramme. Und dann gab es noch einen ehemaligen Schiedsrichter, der schon am Stock ging, aber für uns um die Welt reiste und die Schiedsrichter schulte. Heute gibt es eine Vielzahl von neuen Wettbewerben, unter anderem den Confederations Cup, die Frauen-WM, zwei olympische Turniere, eine Indoor-Weltmeisterschaft. Wir haben in den verschiedensten Ländern Büros eröffnet, um vor Ort Entwicklungshilfe zu leisten. Nur die Zahl der Fifa-Verantwortlichen in der Exekutive ist annähernd gleich geblieben, früher waren es 21, heute sind es 24. Sie müssen heute viel mehr reisen, viel mehr arbeiten. Da ist es nur korrekt, sie auch zu entschädigen.