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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Typisch für dieses Jahr

Oliver Fritsch | Montag, 24. April 2006 Kommentare deaktiviert für Typisch für dieses Jahr

Roland Zorn (FAZ) bedauert, daß sich die Spannung auf den Abstieg beschränkt – und damit auf das Verlieren und das Verlierenvermeiden: „Die Mehrklassengesellschaft Bundesliga hat den Punkt erreicht, da ihre, über die gesamte Spielzeit gesehen, fade Dramaturgie dabei ist, sich zu verdichten. Der Zuschauer schaut mit wachsender Spannung auf das Ende der Tabelle. Was in den drei letzten Akten dieser spielerisch öden, vergleichsweise spannungsarmen und eher vom Reiz der neuen Stadien denn der Attraktivität der sportlichen Aufführungen geprägten Spielzeit passiert, läuft auf die immer wieder heißbegehrten Gemeinschaftsbilder zwischen trunkener Freude und tränenreicher Traurigkeit hinaus. Fußball ist Glückssache, Fußball ist Nervensache – und deshalb wird so mancher, der am Wochenende so tat, als sei für ihn das Ärgste überstanden, noch weiche Knie bekommen. Der finale Countdown dieser 43. Saison, die wenig dazu beitrug, die Vorfreude auf die Weltmeisterschaft zu steigern, läuft – gesucht wird, typisch für dieses Jahr, nicht mehr nach den großen Gewinnern, sondern nach den großen Verlierern.“

Hamburger SV–Bayer Leverkusen 0:2

Chance um Chance

Jörg Marwedel (SZ) fragt sich, wie der HSV dieses Spiel verlieren kann: „Das Paradoxe war: Der Sieg Leverkusens im Duell der beiden erfolgreichsten Rückrunden-Teams stand im Grunde zur Pause fest – nach den besten 45 Minuten, die der HSV in diesem Jahr vorgeführt hatte. Man ahnte zu diesem Zeitpunkt schon, dass es außerirdischer Kräfte bedürfen würde, um dieses Pensum nach dem 0:1 zu steigern, denn die ohne fünf verletzte Stammspieler angetretenen Hamburger hatten schon alles in die erste Halbzeit gelegt. 17 Torschüsse hatten sie bis dato gegen die schwindelige Bayer-Defensive abgegeben und für diese Bestmarke den Beifall des Publikums eingeheimst.“ Frank Heike (FAZ) fügt hinzu: „Für den zuletzt minimalistisch ausgerichteten HSV war es ein Stilwandel ohne Erfolg, daß er in der schönsten ersten Halbzeit dieser Serie Chance um Chance erarbeitete, trotzdem aber zurücklag. Was Jörg Butt hielt, war großartig; daß die HSV-Fans ihn als ehemaligen Hamburger Profi auspfiffen, schien Butt nur noch mehr zu motivieren. (…) Aus Leverkusener Sicht ist es schade, daß die Saison bald vorbei ist.“

FR: Jens Nowotny zeigt in Hamburg nur selten, warum er der Nationalmannschaft helfen könnte

Arminia Bielefeld–VfL Wolfsburg 0:1

Fußballstadt

Achim Lierchert (FAZ) faßt die Erdung Wolfsburgs in dieser Saison zusammen: „In Wolfsburg hat man sich vom Schönspielen schon lange verabschiedet. Wieder einmal verstreicht ein Jahr, in dem es nicht gelang, den seit langem erhofften Sprung ins obere Drittel der Liga zu vollziehen. Wenn nun der Klassenverbleib gelingen sollte, wird dieser kleinstmögliche ‚Erfolg‘ womöglich dazu dienen, die großen Defizite zu kaschieren. Getreu dem Motto ‚Geschichte schreibt man nicht nur mit Jubel, sondern auch mit Tränen‘ gewinnt Klaus Fuchs der Emotionalisierung des Umfeldes in der Automobilstadt viel Positives ab. Die lautstarke Unterstützung beim Heimspiel gegen Bremen sowie die für Wolfsburger Verhältnisse stolze Zahl von 1500 eigenen Fans in Bielefeld wertet der Manager als klares Zeichen: ‚Wir sind auf dem Weg zur Fußballstadt.‘ Was es freilich weiterhin nachhaltig zu beweisen gilt.“

1. FC Kaiserslautern–Hannover 96 1:0

Kein Ort des Schreckens mehr

Oliver Trust (FAZ) protokolliert das Kaiserslauterer Fußballgericht: „Florian Fromlowitz berichtete im Zeugenstand vom ausgefahrenen Ellenbogen Michael Tarnats und bekam Rückendeckung von Schiedsrichter Perl, der sich die strittigen Bilder nicht einmal mehr anschauen wollte, bevor er sein Urteil aus der Schlußphase der weitgehend niveaulosen Begegnung bestätigte. Ohne Chance, an den Ball zu kommen, sei Tarnat in das Duell gegangen. Deshalb sei unerheblich gewesen, daß die Widersacher außerhalb des Fünfmeterraumes ihre Kräfte maßen. Die lange müde und fast teilnahmslos wirkenden Spieler aus Hannover aber wollten sich der Argumentation partout nicht anschließen. Wer am Ende nun tatsächlich irrte, mag abschließend nicht zu beurteilen sein. Fest steht allerdings, daß Peter Neururer bei seinem Versuch der Erklärung tief in der Vergangenheit kramte. Der Betzenberg mit seinem Fritz-Walter-Stadion ist entgegen Neururers Vermutung längst kein Ort des Schreckens mehr, und inzwischen strahlen auch die Zuschauer nicht länger jene Kraft und Entschlossenheit aus, die früher die Vermutung nährte, daß sich davon mancher Schiedsrichter beeinflussen lasse. Im Frühjahr 2006 hält sich die Angst der Konkurrenz vor dem Ambiente in überschaubaren Grenzen. Die Lauterer bibbern in ihrem Stadion meist mehr als ihre Gegner.“

VfB Stuttgart–Eintracht Frankfurt 0:2

Lahmender Esel

Mathias Schneider (StZ) pfeift auf den VfB: „Der VfB Stuttgart legte noch einmal ein dermaßen umfängliches Zeugnis seiner Unzulänglichkeiten ab, dass selbst den Protagonisten der Atem stockte. Er verweigerte seinem treuen Anhang wieder einmal neben allen technischen und taktischen Fertigkeiten auch jede Form von Leidenschaft und Kampf. Selbst die Cannstatter Kurve entzog nach den 90 Minuten ihren Lieblingen die Zuneigung. Unermüdlich hatte der Block zuvor versucht, bei Blitz und Donner die Elf nach vorn zu peitschen – ein aussichtsloses Unterfangen. Ein lahmender Esel bleibt chancenlos auf einer Galopprennbahn.“

1. FC Köln–MSV Duisburg 3:1

Erstklassiger Jubel

Stefan Osterhaus (taz) forscht nach der Ursache der – überwundenen – Formschwäche Lukas Podolskis: „An wem lag es, dass von Podolski über Monate nicht mehr allzu viel zu sehen war? Vielleicht waren es ja die Folgen seines Machtkampfs mit Uwe Rapolder. Der Volkstribun Podolski gewann, Rapolder musste gehen. Kein Verlust für die Liga, wie überhaupt auch die Arbeit seines Nachfolgers in Bielefeld, Thomas von Heesen, die Dampfplauderei des aufgeblasenen Systemtheoretikers um diesen und jenen Schachzug auf dem Spielfeld ins rechte Licht rückt. Denn nicht erst seit Podolski weiß man: Das System und der Hochbegabte können, aber müssen sich nicht vertragen, wenn Letzterer derart korsettiert über das Spielfeld schleicht, dass er im Begriff ist zu schwinden, beraubt jeder Möglichkeit, Dynamik zu entwickeln. Und vielleicht ist es ja jene Eigendynamik, die Köln im Schlussspurt noch rettet.“ Christoph Biermann (SZ) läuft’s kalt den Buckel runter: „Unstrittig erstklassig war der Jubel der Fans nach dem 2:0. Die Dankbarkeit für so wenig ist gigantisch in Köln. Das Publikum feierte die endlich einmal sicher erscheinende Führung wie anderswo Meistertitel nicht bejubelt werden.“

Provinzialität

Christoph Biermann (SZ) rät dem Duisburger Oberhaupt, gute Mitarbeiter einzustellen und ihnen Befugnis einzuräumen: „Um direkt nach oben zurückzukehren und mittelfristig wieder ein etablierter Bundesligist zu werden, wird Walter Hellmich seine bisherige Haltung überdenken müssen. Der Segen-und-Fluch-Präsident des MSV hat während der letzten Jahre unbestritten fast im Alleingang die Renaissance des Klubs geschafft. Der Bauunternehmer hat für ein konkurrenzfähiges Stadion gesorgt und auch dadurch zur Rückkehr in die Bundesliga beigetragen, dass seine Treue zum in Duisburg immer wieder angefeindeten Trainer Meier unerschütterlich war. Dennoch überschätzte der Selfmademan seine sportliche Kompetenz und lernte kaum etwas dazu. Denn das Beharren auf dieser Idee von One-Man-Show führt im heutigen Spitzenfußball in die Provinzialität.“

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