Ball und Buchstabe
Beim Kerner-Gucken LSD genommen
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| Donnerstag, 4. Mai 2006Im WM-Jahr versucht die Kunst, sich auf die Schultern des Riesen Fußball zu stellen; Alex Rühle (SZ/Feuilleton) verdreht die Augen: „Seit André Heller von Franz Beckenbauer zum Fußballkulturbeauftragten der WM bestallt wurde, möchte man sich hin und wieder als Schriftführer beim Jahrestreffen unsportlicher Philatelisten eintragen lassen oder zu den Freunden des mittelalterlichen Madrigals flüchten, zu Menschen im Pullunder, die sich in abgeschatteten Räumen zu gediegenem Gespräch versammeln. Während rings umher der Irrsinn tobt: Man bekommt in der Redaktion Anrufe von durchaus renommierten Autoren, die einem raunend von eigenen Texten vorschwärmen, ‚wenn Sie das gelesen haben, werden Sie grundlegend anders denken über die Beziehung zwischen Fußball und Raum!‘ Jeden Tag landet eine Wanne Bücher an zur Poetik, Weltgeschichte oder Soziologie des Fußballs. Haben denn die Lektoren sämtlicher deutschen Verlage gemeinsam beim Kerner-Gucken LSD genommen? Im Zentrum des Irrsinns aber waltet die DFB-Kulturstiftung. 48 Veranstaltungen zum Thema Fußball wurden unter geistiger Führung des ‚geprügelten Grenzüberschreiters und manischen Verwirklichers‘, wie Heller sich selbst nennt, organisiert (…) Und plötzlich ist da dieser Freiheitstraum: 10. Juli, Finale vorbei, ein morgendlicher Spaziergang durch die menschenleeren Straßen, vorbei an den vergilbten Plakaten der DFB-Kulturstiftung, vorbei an einer Wiese, auf der ein paar Jungs stumm vor sich hin kicken. Und das Wissen darum, dass jetzt auf zwanzig Jahre kein Buch mehr kommen wird und keine Ausstellung, kein Film, kein Ausdruckstanz und keine Fußballoper, hat etwas ungemein Erhebendes.“
Effekthascher
Fritz Tietz (taz) ist scheinbar von dem Nachtmahr heimgesucht worden, an seinen Fernsehsessel gefesselt zu werden: „Je früher die deutsche Mannschaft ausscheidet, desto erträglicher dürfte die Berichterstattung aus den angeschlossenen TV-Anstalten ausfallen. Die ständigen Schalten zu irgendeinem vor dem Mannschaftsquartier herumlungernden Waldi oder Töppi, die öden Live-Übertragungen von der täglichen Pressekonferenz des Trainerstabs, die ellenlangen Interviews mit den dabei, außer ihren Kaugummis, nichts Wesentliches begnatschenden Spielern. Von dem ausgewalzten deutschen TV-Expertentum ganz zu schweigen. Dazu dieser ganze boulevardeske Tand ‚rund um die Mannschaft‘: der launige Hintergrundbericht über die Spielerfrauen, die investigative Reportage aus der Quartiersküche, die topaktuelle Programmunterbrechung, weil ‚die medizinische Abteilung‘ bei einem Spieler einen eingeklemmten Furz diagnostiziert hat oder so was. Scheiterte die DFB-Auswahl bereits in der Vorrunde, wären diese sportjournalistischen Heimsuchungen allenfalls eine Woche lang durchzustehen. So leid es einem auch um die junge Mannschaft tun mag. Aber deren Vereinnahmung durch so offenkundig scharlatane Effekthascher in Politik, Wirtschaft und TV und der damit bereits einhergehende und noch zu erwartende Belästigungsgrad sind ein leider sehr triftiger Grund, ihr ein möglichst frühes Ausscheiden an den Hals zu wünschen.“
Wurstschnappen
Mathias Schneider (StZ), der arme Tropf, mußte die Bundesliga im DSF schauen: „Wer nicht eingeschaltet hat, hat etwas verpasst. Das DSF hat Fußball aus Liga eins übertragen. Knapp zwei Stunden, wie der Moderator Gronewald verkündete, was nicht falsch war. Es sind in dieser Zeit vier Spiele vorgekommen. Also alles korrekt gelaufen. Leider gibt es noch immer Nörgler, die behaupten, es sei gar nicht um Fußball gegangen. Vielmehr dränge sich folgender Verdacht auf: Eine Fernsehanstalt plant eine zweistündige Werbesendung, dabei ergeben sich zwischen den monumentalen Blöcken immer so hässliche Lücken. Also rein mit dem Fußball! Der boomt. Das läuft. Und vier Spiele macht rund 40 Minuten Fußball in knapp zwei Stunden. Da kann man nichts sagen. Außerdem ist das doch ein nettes Spiel – das Wurstschnappen. Immer wenn man glaubte, das Ding namens Bundesliga-Fußball schon zwischen den Zähnen zu haben, ups, ist es wieder rausgerutscht und man biss auf einen Werbeblock – zum Beispiel auf eine Holzlatte aus dem Hagebaumarkt von Mike Krüger.“
Tagesspiegel: Eine Berliner Ausstellung beschreibt das prekäre Verhältnis zwischen Fußball und Fernsehen