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Ball und Buchstabe

Lebenslügen

Oliver Fritsch | Dienstag, 9. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Lebenslügen

Hans Leyendecker (SZ/Medien) kritisiert werbende Journalisten der öffentlich-rechtlichen Sender: „Über Moral und Regeln im Journalismus halten die Intendanten der ARD und des ZDF kluge Vorträge – und nach handfesten Skandalen um Schleichwerbung im gebührenfinanzierten Programm haben sie auch allerlei Gebote und Verbote neu formuliert. Spätestens aber in diesen Tagen dämmert den Hierarchen, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit Riesen-Unterschiede bestehen. Zwei der bekanntesten Gesichter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Moderatoren Reinhold Beckmann und Johannes B. Kerner fielen auf, weil sie Grenzen zwischen Journalismus und Werbung verwischten oder sich für riskante Aktienabenteuer einspannen ließen. Beckmann und Kerner – beide arbeiteten einst bei ran und sind heute freie, fürstlich bezahlte Unternehmer-Moderatoren, die aber vom Publikum wie selbstverständlich den jeweiligen öffentlichen Sendern zugerechnet werden. (…) Die Zeichen der neuen Zeit sind eindeutig: TV-Größen wie Thomas Gottschalk, Günther Jauch, Harald Schmidt oder Beckmann und Kerner inszenieren ihre Auftritte auf eigene Rechnung mit eigenen Firmen und sind für Werbung attraktiv. Mancher von ihnen, auch Beckmann, spendet einige Sonder-Einkünfte für gemeinnützige Zwecke – fürs Publikum aber ist der Journalist nicht von der Werbefigur zu unterscheiden. So wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk von Lebenslügen geplagt. Die Sender gehen einerseits gegen Schleichwerbung an – andererseits aber kassierte NDR-Sportchef und Hauptabteilungsleiter Gerhard Delling den Großteil seines außertariflichen Gehalts von einer ARD-Werbetochter. Und im WM-Jahr wird Fußball-Unternehmer Günter Netzer wie gehabt im ARD-Studio als Chefanalyst auftreten, während beim ZDF die Werbe-Ikone Franz Beckenbauer wenig auslässt.“

Handlanger

Andreas Platthaus (FAZ/Feuilleton) ärgert sich über das Günter-Netzer-Portrait der ARD: „Einfallsreich ist nichts in dieser Sendung. Darf man denn wenigstens einen kritischen Umgang mit ihrem Gegenstand erwarten, etwa betreffs Netzers Rolle als Übertragungsrechtehändler im Dienste der Fifa? Natürlich nicht, außer daß Gerhard Delling zu Wort kommt, der seinen Ko-Kommentator als ‚total ehrlich‘ beschreibt, weil dieser auch an Spielen, deren Ausstrahlung die eigene Firma vermittelt habe, herumgekrittelt habe. Für wie naiv hält man uns eigentlich? Solche Kritik hat doch nichts anderes zum Ziel, als die Spieler zu besseren Leistungen anzuspornen, auf daß später guten Gewissens wieder ähnlich viel Geld oder gar mehr für die Übertragungsrechte zu erzielen ist. Netzers Geschäftstalent brachte ihn dazu, schon als Spieler eine Versicherungsagentur zu gründen. Heute beschreibt er es als sein größtes Talent, Arbeit delegieren zu können. Die ihm gewidmete ‚Legenden‘-Folge ist der beste Beweis dafür. Wozu selbst am Mythos arbeiten, wenn es dazu Handlanger gibt?“

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Vorbehalte

Frankreichs Weltmeistertitel 1998 wurde als Symbol der gelungenen Integration überhöht – Johannes Wilms (SZ/Feuilleton) über eine Illusion: „Die Euphorie, die sich vor allem mit dem eingängigen Slogan ‚Black-Blanc-Beur‘ verband, der die Nationalfarben Frankreichs mit der Hautfarbe der Spieler in der Fußballnationalmannschaft in Einklang zu bringen suchte, hat den Triumph im WM-Finale von 1998 nicht lange überdauert. Erst unlängst erklärte Jean Tigana, er sei wegen seiner schwarzen Hautfarbe 2004 nicht für den Posten des Nationaltrainers nominiert worden, weil es schon genug ‚Dunkelhäutige‘ in der Mannschaft gebe. Die ‚Beurs‘, die Kinder von Einwanderern aus den Maghrebstaaten, werden ebenso wie die ‚Noirs‘, die Franzosen mit dunklem Teint, von ihren weißen Mitbürgern kaum als ‚Brüder‘ angesehen. ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‘ ist dessen ungeachtet das heilige Motto der V. Republik, doch die gesellschaftliche Wirklichkeit Frankreichs widerspricht ihm entschieden. (…) Politik und Gesetzgebung vermögen nur sehr bedingt in der Gesellschaft herrschende Vorbehalte zu verändern. Wie stark diese Vorurteile und Abneigungen gegenüber ‚Noirs‘ und ‚Beurs‘ ausgeprägt sind, wird nach wie vor unwiderleglich dadurch belegt, dass diese Dunkelhäutigen, vom Fußball im besonderen und vom Sport im allgemeinen abgesehen, in öffentlichen Funktionen, ja selbst in der öffentlichen Wahrnehmung in Frankreich im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung weit unterrepräsentiert sind.“

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