Ball und Buchstabe
Schatz, es ist ein Fußball
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| Donnerstag, 11. Mai 2006Christian Eichler (FAZ) hofft darauf, daß die WM auch ein Straßenereignis wird und die Wehen Deutschlands bald enden werden: „Im Idealfall kann es eine Verbrüderung zwischen deutschen und ausländischen Besuchern geben. Denn sie haben etwas, das sie verbindet: keine Tickets. Fast jeder deutsche Fußballfreund (auch mancher, der sich gar nichts aus Fußball macht) hat sich um ein WM-Ticket bemüht. Fast jeder kennt einen, der eines bekam; oder hat zumindest von einem gehört. Fast keiner hat eines. Die WM in den Städten, den Fußgängerzonen, den Gärten, nicht in den Stadien, das könnte der eigentliche Stimmungsfaktor, die eigentliche Überraschung und Neuigkeit der Weltmeisterschaft werden. Dort, wo man sich nicht mit dem knallharten Marketing-Regime der Fifa herumärgern muß und Bier mit Biergeschmack trinken kann. Dort, wo nicht, wie rund um den Spielball, alles perfekt geplant und organisiert ist, von der Sponsoren-Bewirtung bis hin zur ‚Nationalen Service- und Freundlichkeitskampagne‘; sondern wo Stimmung und Gastfreundschaft noch ganz ungeplant funktionieren. Wäre doch schon WM, seufzen die einen – wäre doch nie WM, die anderen. Und die vielen dazwischen finden, dass man die paar Wochen und die paar tausend Werbebotschaften bis zum Anpfiff auch noch übersteht. Deutschland, eine Nation im neunten Monat; ein Land wie eine Hochschwangere, in deren Denken und Handeln sich alles wahnhaft nur noch um das eine, eine Schwangerschaft und Geburt, um Last und Leiden der werdenden Mutterschaft dreht. Am 9. Juni ist Geburtstermin. Wenn der Ball rollt, wird das wie der Säuglingsschrei nach langer, schwerer Tragezeit sein. Und wie das im wahren Leben auch so ist, wird dann all die überstandene Last vergessen sein. Nur das Baby wird wichtig sein und sein rundes, rosiges Glück. Schatz, es ist ein Fußball.“
Hart aber herzlich
Draußen nur Kännchen? Die NZZ hält einen Fortbildungskurs „Lächeln“ für Berliner schon lange für angebracht: „Die ‚Rüpel-Hauptstadt‘, als die sie kürzlich der bürgerliche Tagesspiegel bezeichnete, soll sich dank einer Charmeoffensive zur Hauptstadt des Lächelns wandeln. Wenngleich die gemeinsam von der Fifa und der Deutschen Zentrale für Tourismus initiierte ‚Nationale Service- und Freundlichkeitskampagne‘ ausdrücklich alle deutschen WM-Städte im Blick hat, so ist es kein Geheimnis, dass vor allem die Berliner Nachhilfe nötig haben. Denn in der deutschen Hauptstadt lebt man nach dem Credo: Wir sind hart aber herzlich. Schon für Goethe war der ‚verwegene‘ Berliner Menschenschlag ein Thema. Dessen rauer Charme, so der Dichter, führe dazu, dass man hier ‚mitunter etwas grob sein muss, um sich über Wasser zu halten‘. Die Geschichte von der Kellnerin, die dem Gast das falsche Gericht brachte und, von diesem auf das Malheur aufmerksam gemacht, entnervt entgegnete, ob er denn diese Pizza nicht einfach essen könne, weil sie sonst alles neu in Kasse eingeben müsse, zählt zu den Lieblingsbeispielen aus einer ansehnlichen Liste gesammelter Anekdoten. Im Fussballjahr 2006 soll aber alles anders werden: Die Besucher aus der ganzen Welt sollen sich wohl fühlen dank einer Drei-Millionen-Kampagne, die von der Bundesregierung unterstützt wird. (…) Dienen sei in Deutschland seit 1945 einfach nicht positiv besetzt, glaubt die Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe Petra Retz. Deshalb tue sich der Deutsche grundsätzlich mit der Dienstleistung schwer. Die jüngere Generation sei da eindeutig lockerer.“
Puh, das ist ja anstrengend
Susanne Schäfer (SZ/Reise) erzählt ihr Erlebnis bei einem Reiseveranstalter, der mit Blick auf die WM einen Fußballferienkurs für Frauen anbietet: „Unser Trainer Fredy ist anders als andere Fußballtrainer. Er hat keine Schweißflecken unter den Achseln und keinen fetten Bauch. Sein Kopf ist nicht rot vom vielen Brüllen am Spielfeldrand. Der Trainer spricht mit sanfter Stimme, und wenn wir etwas fragen, zieht er die Augenbrauen über den Brillenrand hoch und sieht uns mit großen Augen an. Ihr könnt alles fragen, sagt der Blick. Als Fredy darüber spricht, dass Fouls im Strafraum besonders verboten sind, nimmt eine das Angebot an und fragt: ‚Ist der Strafraum auch eingezeichnet?‘ Der Trainer stutzt kurz, dann lächelt er mild, stellt seine Stimme auf samtig und sagt: ‚Ja klar, das wär ja luschtig, wenn der nicht eingezeichnet wäre.‘ Er bewegt den Laserpointer so, dass der rote Punkt auf der Leinwand an den weißen Linien um das Tor entlang fährt. Die meisten von uns hören heute nicht zum ersten Mal vom Strafraum, und doch sind wir froh, dass Fredy uns die Dinge erklärt, die wir Freunde und Kollegen lieber nicht fragen. Wir lernen: Es gibt keinen Libero mehr. Anspucken wird mit Rot geahndet. Freistoß ist nicht gleich Freistoß. Wir lernen, was Abseits ist: eine Regel, von der man immer vermutete, dass man sie nicht lernen kann. (…) Als wir die Grundlagen beherrschen, dürfen wir endlich auf den Platz. Wir führen den Ball mit der Innen- und Außenseite des Fußes, Feld auf und Feld ab. Eine von uns hat jetzt zwar verstanden, wo der Strafraum ist, sagt aber nach fünf Minuten: ‚Puh, das ist ja anstrengend.‘ Team Gelb gegen Team Rot-Grün. Abstoß. Gelb drischt auf den Ball, der prallt an Rot-Grün ab, Eigentor. Jetzt das Trikot über den Kopf stülpen? Fußball ist Emotion. Nächster Versuch: Aus dem Hintergrund könnte Rot-Grün schießen. Und Rot-Grün schießt, Tor, Tor, Tor – wenn auch noch nicht ganz so elegant wie 1954 Helmut Rahn: Der Ball eiert vor sich hin, Trainer Fredy ist jetzt auch Torwart, streckt die Finger, streift den Ball, entscheidet sich aber, ihn unauffällig weiterkullern zu lassen ins Tor. Jetzt also das Netz küssen? Der Ball ist wieder im Spiel. Gewusel, Fredy ruft: ‚Hier ist das Tor.‘ Rot-Grün will den Ball treten, stellt dabei Gelb ein Bein, Foul. Rot-Grün mault, Platzverweis wegen Beleidigen des Schiedsrichters. Rot-Grün spuckt auf den Boden. Nach einer Stunde ist alles vorbei. Zu früh, denn unsere Füße verstehen sich noch nicht mit den Bällen. Im Moment fühlt es sich noch so an, als würden Hände einfach besser zu Bällen passen als Füße.“
FAZ: Sportphilosophie – was Frauen an Fußball interessiert
Wir halten zu dir!
Christian Gottwalt (SZ-Magazin) hält Goleo für unterbewertet: „Betrachtet man sich die veröffentlichte Meinung zu Goleo, so fällt auf, dass an dem zotteligen Tier seit seinem Erscheinen nicht ein gutes Haar gelassen wurde. Da war viel Häme im Spiel. Eine schlechtere Presse als Goleo hatte in jüngster Zeit wohl nur der Kannibale von Rotenburg. Kein guter Start für einen, der als Sympathieträger angetreten ist. Höchste Zeit also für ein paar rehabilitierende Worte. All diejenigen, die ernsthaft monieren, dass er keine Hose trägt, übersehen, dass das ein Marketing-Gag war, um ihn bekannt zu machen. Ein gelungener übrigens. Dafür trägt er Schuhe aus Herzogenaurach und kurbelt die deutsche Wirtschaft an. Und dass sein Mund offen steht, seine Zunge raushängt und er deshalb ein bisschen dämlich guckt? Gott, er ist doch nur ein Fußballer. Ein behäbiger zwar, aber so sind wir Deutschen halt. Verglichen mit den Wappentieren vergangener Turniere schneidet Goleo außerdem gar nicht so schlecht ab. Man betrachte nur das unsinnliche grün-weiß-rote Würfelmännchen aus Italien. Oder die durchgeknallten Fußball-Aliens aus Japan. Und Tip & Tap von 1974 schwimmen doch auch nur auf der Retro-Welle. Nein, unser Goleo verdient es nicht, in die Pfanne gehauen zu werden. Go for Goal, Goleo! Wir halten zu dir!“
Klinsmannsch
Das Streiflicht (SZ) wünscht sich von Klinsmann karge Prosa: „Als er gerade als Bundestrainer bestallt worden war, hielt Klinsmann vor der Nationalmannschaft einen Vortrag beziehungsweise er kommentierte, was sein Laptop an die Wand warf. Da standen dann ‚drei Schlagworte, um die uns die Welt beneidet: Totale Aufopferungsbereitschaft – Niemals aufgeben – Allen Nörglern das Gegenteil beweisen.‘ Klinsmann sagte dazu: ‚Das ist es, was uns stark macht.‘ Damals dachten wir noch: ‚Halt das Feuer brennend, Jürgen, einer muss in dem verschnarchten DFB ja mal aufräumen!‘ Seit aber das Zeitfenster, durch das alle in Richtung WM krabbeln müssen, immer kleiner wird, und seit wir deshalb täglich mit blitzblank cleanem Klinsmannsch bombardiert werden, beschleicht uns mehr und mehr das Gefühl, als hause unsere eigene Seele auf einem feuchten, fensterlosen Speicher. Und so wie man sich in Kalifornien nach sechs Monaten beinharter Sonne wahrscheinlich ab und an nach zartem deutschem Nieselregen sehnt, so hoffen wir bisweilen auf einen hingenuschelten Satz voll verborgener Schönheit, etwas depressiv Umflortes, bitte, bitte, einmal nur: ‚Ooch, wissen Sie, das 1:4 war ein Gurkenspiel, und außerdem hab ich ein Loch im Strumpf.‘ Aber nein, schon kommt das nächste Interview, in dem Klinsmann statt freundlich verspulter Argumente wieder nur Powerpoints präsentiert: ‚Wir haben eine Prioritätenliste, und da führen wir die Medienarbeit nicht in den Top 5.‘“
FAZ: Besprechung einer Berliner Ausstellung über Fußball und Fotografie
BLZ: Der Fußball-Weltreisende Otto Pfister will dem Nationalteam Togos neues Leben einhauchen
Welt: Fifa-Studie belegt: Testosteron treibt Spieler zum Heimsieg
FAZ: WM-Rasen – es darf längs oder quer gemäht werden
taz: Oliver Kahn liest Rilke – ein 3sat-Portrait
BLZ: Ein Porträtfilm über Oliver Kahn, in dem er behauptet, auch verlieren zu können
taz: Die Sammler von WM-Fußballbildchen plagt ein Problem: Nationaltorhüter Jens Lehmann fehlt im Album. Was nun? Die taz fragt bei Panini nach
FAZ: Bilanzfäschung? Schalker Ein-Euro-Geschäft beschäftigt Staatsanwalt