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Europas Entwicklungslabor

Oliver Fritsch | Samstag, 13. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Europas Entwicklungslabor

Stefan Hermanns (Tsp) hält den Uefa-Cup für unterschätzt: „Der Uefa-Cup ist in den vergangenen Jahren immer mehr zu einer Art Entwicklungslabor für technisch und taktisch anspruchsvollen Fußball geworden. Völlig zu Unrecht gilt der Wettbewerb weiterhin als Abfallprodukt der Champions League, in Wirklichkeit ist er die perfekte Vorbereitung auf die Champions League. (…) Der kleinere der beiden Europapokalwettbewerbe ist von der Uefa vorsätzlich dem Verfall preisgegeben worden, er leidet – als Folge der allgemeinen Geldgier – an einem verkopften Modus, unter idiotischen Anstoßzeiten und dem daraus folgenden Desinteresse der Fans. Doch punktuell kann der Uefa-Cup immer noch seinen alten Zauber entfalten.“

Ein mögliches Markenzeichen im europäischen Fußball

FC Sevilla–FC Middlesbrough 4:0 – Roland Zorn (FAZ) sah im Finale zwei Welten aufeinanderprallen: „Der FC Sevilla schwang sich heraus aus der internationalen Anonymität. Wenn er mit seinem technisch hochklassigen Tempofußball über die Flügel so weitermacht, kann auch er zu einem Markenzeichen im europäischen Fußball werden. Der FC Middlesbrough ist sogar schon 130 Jahre alt – und so altertümlich agierte er auch in der ersten Halbzeit. Erst danach nahmen die Engländer die Chance, wenigstens einmal dem sonst rund um diesen Klub üblichen Mittelmaß zu entfliehen, offensiv an. Dabei wollten die Spieler ihrem Coach McClaren, der nach der WM englischer Nationaltrainer wird, das allerschönste Abschiedsgeschenk nach fünf gemeinsamen Jahren machen. Daraus wurde nichts. ‚Das darf nicht das Ende sein‘, lautete das Vermächtnis des rotwangigen, rotblonden McClaren, ‚das ist erst der Anfang, eine Plattform, von der aus die Spieler noch mehr erreichen können. Sie müssen nur daran glauben.‘ Doch das mit dem Glauben ist so eine Sache. Zumindest in der Unterabteilung Aberglauben. Als nämlich Middlesbrough seinen bisher einzigen Erfolg in der Vereinsgeschichte feierte, steckten sich Spieler und Trainer zur Feier des Tages eine rote Rose ins Knopfloch. Als sie auch in Eindhoven im Namen der Rose auftraten, wirkte der Zierat welk.“

Zwingend logisch und doch verwunderlich

Raphael Honigstein (SZ) prophezeit Sevilla eine gute Zukunft: „Ein derart einseitiges Endspiel hat man selten gesehen. Sevilla führte die Engländer mit immens variablem, technisch hochwertigem Kombinationsfußball von Anfang bis Ende nach allen Regeln der Kunst vor. Der Ball rollte vorne intuitiv, also vollkommen unberechenbar. Ein Chaos-System, nahe am Ideal. Wahrscheinlich spielt die Truppe in der nächsten Saison da, wo sie hingehört – in der Champions League. Zwingend logisch war der Triumph, aber doch verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Sevilla jedes Jahr seine besten Spieler abgibt.“ Auch Michael Jahn (BLZ) sieht Sevilla als das dominante Team: „Selten hat eine Mannschaft in einem Europacup-Endspiel die andere so dominiert wie Sevilla die ausgelaugt und ideenlos wirkenden Profis aus Middlesbrough.“

Ordnung muss sein

Andreas Morbach (FTD) würde deustchen Schiedsrichter gerne den Hemdkragen lockern: „Herbert Fandel darf bekanntlich nicht bei der WM pfeifen, deswegen wollte er es allen zeigen. Und tatsächlich: Groß war sein Spiel, weil erfrischend frei von der für ihn typischen Kleinlichkeit. Der Musiklehrer ließ, wenn es nur irgendwie ging, das Spiel weiterlaufen, er fiel auf keinen einzigen falschen Faller ein und verteilte die gelben Karten spärlich und sehr spät, erst als gutes Zureden nichts mehr half. Kurz: Sein Stil war international, die Qualität auch. Doch mit dem Abpfiff, als Zehntausende Sevilla-Fans sich die Stimmbänder in einem Rausch kaputtsangen, verwandelte sich Fandel auf einmal wieder in den alten Bundesligaschiedsrichter zurück. Ein halbes Dutzend siegreicher Spanier sprach bei ihm im Mittelkreis vor, um den Spielball mitzunehmen: Fandel wies sie allesamt kühl ab. Da half kein Bitten und kein Flehen. Sevillas größter Erfolg in der 100-jährigen Vereinsgeschichte, die vielen vor Freude weinenden Menschen – das berührte ihn nicht. Sollte vor lauter Lärm seinetwegen ruhig das Stadion auseinander klappen. Den Ball behielt er. Ordnung muss sein.“

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