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Ball und Buchstabe

Es gibt auch eine Würde in der Traurigkeit

Oliver Fritsch | Mittwoch, 17. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Es gibt auch eine Würde in der Traurigkeit

Ausschnitt eines Spiegel-Interviews mit dem spanischen Schriftsteller Javier Marías
Spiegel: Sie haben Spaniens Nationaltrainer Luis Aragonés zuletzt verteidigt, als der Thierry Henry im Gespräch mit dem Stürmer José Antonio Reyes einen ‚Scheißneger‘ nannte. Warum?
Marías: Erstens war es ein privates Gespräch zwischen den beiden. Zweitens ist die Übersetzung problematisch, für viele Spanier ist der Begriff kein rassistischer Anwurf. In der spanischen Umgangssprache werden Beleidigungen manchmal liebevoll verwendet: Wie gut spielt dieses Arschloch! Hätte Aragonés sich auf den Tschechen Pavel Nedved bezogen, hätte er auch bloß gesagt: Zeig dem Scheißblonden, dass du besser bist! Ich erzähle Ihnen zum Verständnis eine Geschichte: Vor zwanzig Jahren, als ich in den USA einen Kurs leitete, sprach ich mit einem Kollegen an der Uni über eine Gruppe Studentinnen, die in der Nähe stand. Er sagte: Die mit den Jeans ist intelligent. Es trugen aber drei von den vier Mädchen Jeans. Ich fragte: Welche denn? Er antwortete: Die das Haar offen trägt. Es hatten aber drei ihr Haar offen. Das ging so hin und her, er versuchte einfach zu vermeiden zu sagen: die Schwarze. Dabei wäre der Begriff rein deskriptiv gewesen – wie der Blonde oder die Dünne. Für mich war der Kollege ein Rassist.
Spiegel: Ihr Urteil fällt oft hart aus. Als der FC Valencia 2001 im Elfmeterschießen das Champions-League-Finale gegen Bayern München verlor und Torwart Santiago Cañizares hemmungslos heulte, fanden Sie das zum Schämen. Darf ein Geschlagener nicht weinen?
Marías: Jeder, der in der Niederlage eine würdige Haltung einnimmt, kann einen bewegen. Aber nicht einer, der vor unseren Augen zusammenbricht, ein Handtuch um das Gesicht schlägt und so eine hysterische Nummer aufführt. Es gibt auch eine Würde innerhalb der Traurigkeit. Auch die Mitspieler ließen den Torwart links liegen, während sein Gegenüber Oliver Kahn ihn tröstete. Sie mochten dieses Protagonistentum nicht. Cañizares war ja nicht der Einzige, der verloren hatte.
Spiegel: Müssen die Stars Vorbilder sein?
Marías: Es reicht, wenn sie Fußball spielen und vermeiden, dem Gegner die Knochen kaputtzutreten. Andererseits gibt es Dinge, die es früher im Fußball nicht gab und die mich heute sehr nervös machen. Dass die Spieler einander der Schauspielerei bezichtigen, gelbe oder rote Karten für den Gegner fordern. Oder dass sie, wenn Elfmeter gepfiffen wird, schon anfangen zu jubeln, bevor geschossen ist. Früher gab es mehr Würde, mehr Edelmut, auch mehr Respekt gegenüber dem Gegner. Vielleicht bin ich aber auch schon ein etwas antiquierter Zuschauer.

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