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Ball und Buchstabe

Alle sind erschrocken

Oliver Fritsch | Donnerstag, 18. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Alle sind erschrocken

Claus Christian Mahlzahn (SpOn) stimmt dem ehemaligen Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye bedauernd zu, der Ausländer vor bestimmten Gebieten im Osten Deutschlands warnte (was er inzwischen zurückgenommen hat): „Heye hatte recht. In vielen Landstrichen Ostdeutschlands, bei weitem nicht nur Brandenburgs, herrscht für Ausländer – präziser gesagt: für Menschen mit dunkler oder dunklerer Hautfarbe – Ausnahmezustand. Das größte Problem ist der ganz gewöhnliche Rassismus, der Ausländern in der Ex-DDR entgegenschlägt. Spätestens seit den Pogromen von Hoyerswerda (1991) und Rostock Lichtenhagen (1992) aber ist klar, dass diese mitunter regelrecht terroristische Gewalt gegen Nicht-Deutsche (oder die man dafür hält) nicht nur vom rechtsradikalen gesellschaftlichen Rand stammt. Der braune Mist stinkt im Osten oft in der gesellschaftlichen Mitte. Das macht die Sache so gefährlich. Es ist eben auch kein Zufall, dass die NPD in Sachsen der Sprung ins Parlament gelang – dort sind die Rechtsextremen heute fast so stark wie die Sozialdemokraten. (…) Über die Ursachen dieses spezifisch ostdeutschen Problems wird seit langem heiß diskutiert. Die einen machen die DDR, die anderen vor allem postsozialistische Probleme für das Debakel verantwortlich. Tatsächlich war die DDR nicht der antifaschistische Staat, für den sie sich ausgab. Nach innen war der autoritäre Sozialismus das Gegenteil einer multikulturellen Gesellschaft. Die Grundlagen für die ostdeutsche Xenophobie haben Ulbricht, der schon gegen Jeans und Rock‘n'Roll polemisierte, sowie Erich Honecker und Erich Mielke gelegt. Doch es reicht nicht, den rassistischen Mob im Osten immer nur mit historischen Verweisen auf eine untergegangene Diktatur zu erklären. Seit der Wende sind sechzehn Jahre ins Land gegangen, manche Skinheads und Neo-Nazis, die Schwarze verprügeln oder vietnamesische Imbissbuden anzünden, sind jünger als das neue Deutschland. Das bedeutet auch: sechzehn Jahre wurde in der Bundesrepublik viel zu wenig getan, um des Problems Herr zu werden.(…) Wir haben uns alle daran gewöhnt. Nun hat es mal jemand laut verkündet. Und alle sind erschrocken – auch der, der es aussprach.“

Michael Reinsch (FAZ) notiert die Ansicht des ehemaligen Fußballprofis Anthony Baffoe zu Heyes Sorge: „Baffoe unterstützt die Warnung vor rassistischen Übergriffen in den neuen Ländern, mit denen Heye in Brandenburg helle Empörung ausgelöst hat. (…) Der aus einer ghanaischen Familie stammende Baffoe hatte Heye längst vorgegriffen. ‚Ich rate afrikanischen und türkischen Spielern davon ab, in Ostdeutschland zu spielen‘, sagte er vor wenigen Tagen bei der Veranstaltung ‚Football for all‘. Selbst wenn sie auf dem Fußballplatz nicht beleidigt würden, so sei doch die Lebensqualität der Spieler durch den alltäglichen Rassismus erheblich eingeschränkt. (…) Baffoe gerät in Rage, wenn er vom WM-Slogan ‚Die Welt zu Gast bei Freunden‘ zu dessen Gegenteil kommt, Rassismus. Fußballspieler bekämen ihn vor allem in den unteren Ligen und vor allem im Osten zu spüren. Seine Empörung – gipfelnd in dem Ruf ‚Wo sind die Strafen?‘ – gilt auch dem wiederholten Hitlergruß des Roma-Spielers Paolo di Canio in der Serie A und den rassistischen Ausfällen des spanischen Nationaltrainers Luis Aragones gegenüber Thierry Henry; sie wurden mit eher nicht bemerkenswerten Geldstrafen sanktioniert.“

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