Deutsche Elf
Beweis für die große Not
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| Sonntag, 21. Mai 2006Andreas Lesch (BLZ) hätte auf Jens Nowotnys WM-Nominierung nicht gewettet: „Die Rückkehr Nowotnys in den Klub der Besten ist die wohl schrägste Pointe, die der deutsche Fußball in den vergangenen Jahren zu bieten hatte. Sie zeigt die Irrungen und Wirrungen, die den Weg des deutschen Nationalteams geprägt haben, und sie beweist, welche Umwege der Fußball hier zu Lande manchmal nimmt. 2000, als Nowotny der beste deutsche Verteidiger war, schnell, technisch stark, modern, da wurde er unter Erich Ribbeck zum Manndecker degradiert. Da musste er mit ansehen, wie Ribbeck, beeinflusst von der Bild-Zeitung, den Uralt-Libero Lothar Matthäus reaktivierte, da wurde er ein Opfer des verschnarchten, überkommenen deutschen Systems. Jetzt, sechs Jahre später, da die deutsche Abwehr unter Jürgen Klinsmann stets als jugendliches Viererkettchen daherkam, da die Zeit von Nowotny unwiderruflich vorbei zu sein schien, ausgerechnet da kehrte der Verteidiger ins DFB-Team zurück. Seine Nominierung darf als Indiz dafür gelten, dass der Reformer Klinsmann wie viele seiner Vorgänger vor einem Turnier ein bisschen vorsichtiger und konservativer geworden ist. Er hätte Manuel Friedrich berufen können; der ist unerfahrener und frischer. Nowotnys Nominierung zeigt aber auch, wie groß die Not in der deutschen Innenverteidigung ist.“
SZ: Wiedersehen mit der Vergangenheit – bei seiner Rückkehr reiht sich Jens Nowotny gleich in einer gehobenen Position ein
Die perfekte Projektionsfläche
Stefan Osterhaus (NZZaS) erkennt im Trainer Klinsmann den Spieler Klinsmann: „Immer gab es talentiertere als ihn, aber keiner ist je so erfolgreich gewesen wie er. Durchschnittlich begabt für einen Spitzenspieler, keineswegs von dieser sonderbaren Grandezza wie das italienische Intuitionswunder Baggio oder von der frappierenden Geschmeidigkeit des Holländers van Basten. Als es um den Weg zum WM-Titel ging, mobilisierte Klinsmann alles, machte das Spiel seines Lebens, übertrumpfte Hollands Jahrhundert-Stürmer. Das sind die Bilder, die von ihm geblieben sind: Ein Mann mit einer Lunge wie ein Blasebalg, der im Augenblick der Not selbst eine Eisenbahnschiene durchträte, wenn sie ihm den Weg versperrte. Seit damals weiss man, dass es ein schwerwiegender Fehler ist, Klinsmann zu unterschätzen. Seine massgebliche Qualität ist weniger das taktische Know-how eines Experten, noch ist es das psychologische Feingefühl eines brillanten Manipulators. Es ist sein Wille. Klinsmann lernt schnell. Er ist einer, der sich nach dem Trial-and-Error-Prinzip durch die Wirrnisse des Fussballs schlängelt, keinen Fehler fürchtet und ihn selten zweimal begeht. So entspricht es seinem öffentlichen Profil, dass sich die Meinung ihm gegenüber sehr schnell ändert. Denn Klinsmann hat nie ein sonderlich scharf konturiertes Bild abgegeben. Er ist ein Meister der Mimikry, die perfekte Projektionsfläche. Jeder konnte sehen, was er wollte: den emphatischen Kicker (keiner jubelte so ausgiebig wie Klinsmann), den weltgewandten Professional, der in jedem Klub Erfolg hatte, Interviews konsequent in der jeweiligen Landessprache gab. Und eben auch den ‚Killer‘, wie es sein alter Mitspieler Lothar Matthäus einmal formulierte, einen Mann ohne Loyalität ausser sich selbst gegenüber. In England, so hiess es, habe er das Publikum von Tottenham nach anfänglicher Skepsis für sich eingenommen. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite stand der Klubpräsident Alan Sugar, der ein Trikot Klinsmanns in der Hand hielt und erklärte, er würde damit nicht einmal sein Auto waschen. Uli Hoeness nannte die Verhandlungen mit Klinsmann die unangenehmsten, die er je geführt habe. Noch heute, so geht die Legende, soll den Bayern-Manager bei Wetterumschwung der Fuss schmerzen, weil er wutentbrannt während des Feilschens aufgesprungen sei und gegen die Tür getreten habe. Einen Stammplatz liess sich Klinsmann als Angstellter Tottenhams in den Vertrag schreiben. Ziele, so Klinsmanns Einstellung, müssen mit allen Mitteln realisiert werden. So ist seine Unnachgiebigkeit für manche der Spiegel der eigenen Haltung, wenn es ums Eingemachte geht. Das provoziert. Dem Bundestrainer, der alles gewagt hat, bleibt nur ein Mittel, um alle ihn angehenden Lager zu versöhnen: der WM-Titel. Nie hat er es schwerer gehabt als heute.“
Mir fällt nüscht ein
Über ein Fußballdramolett von Moritz Rinke – Nils Minkmaar (FAS/Medien) erkennt die arme Quelle: „Vor einigen Wochen gab es in Bild eine nervtötende, sagen wir: Schwerpunktberichterstattung über Jürgen Klinsmanns amerikanischen Wohnort. Da wurden dann immer Temperaturen und Wetterverhältnisse verglichen, Klinsmann stand als vaterlandsvergessener Sonnyboy da, die fußballinteressierten deutschen Bild-Leser, was Bild ja immer mit ‚wir alle‘ übersetzt, als die Dummen. Und wie es mit solchen Bild-Geschichten ist: komplett überflüssig, aber vergehen auch wieder. Besser: Sie wäre vergangen, hätte nicht Deutschlands Nachwuchsdramatiker Nummer eins, Syltdichter a. D. Moritz Rinke, die Sache in das Pantheon der Künste bugsiert. In der neuen Park Avenue behelligt er die Leser mit einem ‚Dramolett‘ zur WM, und als wäre nicht das schon staunenswert genug, denn das Land braucht vielleicht die WM, aber sicher nicht noch irgend etwas ‚zur WM‘, tritt dort auch Klinsmann auf. Er ruft in Rinkes Werk also bei Bierhoff an und sagt: ‚Hallo Jungs. Wie isses? Schneit’s in Deutschland?‘ Oder die DFB-Sekretärin sagt: ‚Herr Klinsmann hat eine SMS geschickt. Er bleibt noch zwei Tage länger in Kalifornien. Ist so schönes Wetter.‘ Oder Klinsmann sagt am Telefon: ‚Echt gutes Wetter heute! Ich bleib noch nen Tag länger.‘ Das alles läuft – nach ausgiebigen Anspielungen auf Sonnenschein, Badewetter, Strandleben und sofort – auf eine fulminante Schlußpointe hinaus. ‚Klinsmann: ‚Du, hast du dir schon mal die Frage gestellt, warum es immer regnet in Deutschland? Ich bin immer optimistisch und hab immer gutes Wetter. Die Deutschen sind immer pessimistisch und haben schlechtes Wetter‘.‘ Und dann: ‚Ich sag euch jetzt mal was. Ich komm gar nicht mehr nach Deutschland.‘ Da giert man doch schon nach den nächsten Rinke-Dramoletten mit folgenden Dialogzeilen: ‚Merkel: ‚Her mit der Steuerkohle, du armer deutscher Michel! Denn mein Friseur ist so teuer.'‘ Oder: ‚Hund: ‚Wuff, wuff, Herrchen, ich beiße dich jetzt!'‘ Oder ‚Rinke: ‚Mir fällt nüscht ein, hol mir mal ne Bild!'‘“
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