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Internationaler Fußball

Patriotischer Cordon sanitaire

Oliver Fritsch | Mittwoch, 24. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Patriotischer Cordon sanitaire

Peter Hartmann (NZZ) erörtert die Quarantäne-Politik des kommissarischen Fußballpräsidenten Italiens Rossi: „Das Domino-Spiel der fallenden Funktionäre scheint vorderhand gestoppt. Der 75-jährige Professore Guido Rossi hat mit erstaunlichem Rückgrat den Forderungen nach einer Entlassung des umstrittenen Nationalcoachs Marcello Lippi widerstanden. Rossi will nicht als jakobinischer Aufräumer auftreten, sondern hat auch das Überleben des Calcio in den Zeiten der Cholera im Auge. Doch der Starrkopf Lippi bleibt ein unkalkulierbares Risiko. Er gehörte als äusserst erfolgreicher Trainer von Juventus acht Jahre lang zum ‚System Moggi‘, und dass er nichts gewusst hat von all den unsagbaren Machenschaften, deren Aufdeckung seit nun bald drei Wochen schockwellenartig in Form von Telefon-Abhörprotokollen über Italien hereinbricht, ist schlicht nicht glaubhaft. Ausserdem ist er belastet durch seinen Sohn Davide, der in der von Moggi junior geleiteten Makler-Agentur Gea World arbeitete und Spieler mit dem Argument köderte, sein Vater werde sie protegieren. Gegen die mafiose Gea ermittelt die Staatsanwaltschaft in Rom wegen des Verdachts auf eine kriminelle Vereinigung und wegen Erpressung. In diesem Skandal zeichnet sich jetzt ein patriotischer Cordon sanitaire um die Nationalmannschaft ab. Die Squadra Azzurra muss als Hoffnungsträger geschützt werden. Sie kann mit einem überzeugenden Turnier in Deutschland den moribunden italienischen Fussball wiederbeleben und die alten Leidenschaften wecken. Doch damit verbindet sich auch der unausrottbare Catenaccio des Aussitzens, des Leugnens und des Im-Sande-verlaufen-Lassens.“

Kleinmut

Der englische Schriftsteller Tim Parks („Eine Saison mit Verona“) klagt im Feuilleton der FAZ über die Feigheit der italienischen Schiedsrichter: „Wirklich aufschlußreich an diesem Skandal ist nicht das Verhalten von Luciano Moggi, der mehr oder weniger festlegte, wer welches Spiel mit welchem Ergebnis pfeifen würde. Es wird immer irgendeinen Boss geben, der seinen Willen rücksichtslos durchsetzt. Nein, bemerkenswert ist, daß sich kein einziger Schiedsrichter zu Wort gemeldet hat. Diese Männer, die so gern ihre entschiedene Autorität herauskehren, waren nicht bereit, auch nur ein Wort über den Druck zu verlieren, dem sie ausgesetzt sind. Seit Jahren. Alle wußten Bescheid, auch Collina. Collina war sich gewiß im klaren darüber, daß er dank seines Renommees eine Freiheit genoß, die seine Kollegen nicht hatten. Er war das Feigenblatt des Systems. Doch die Vorstellung, seine herausragende Stellung zu nutzen, um eine grundlegende Erneuerung herbeizuführen, war ihm offenbar fremd. Das Traurige daran ist natürlich, daß sich dieser Kleinmut nicht auf den Fußball beschränkt, sondern in jedem Bereich des öffentlichen Lebens in Italien anzutreffen ist. Immer wieder kommt es zu Situationen, in denen jeder ahnt oder vielleicht sogar weiß, daß die offizielle Version der Ereignisse lediglich Rhetorik ist, daß gegen die Regeln verstoßen wurde. Niemand macht den Mund auf, denn niemand glaubt, etwas bewirken zu können. Jeder befürchtet vielmehr, in irgendeiner Form bestraft zu werden. Diese Haltung ist typisch für die italienischen Skandale.“

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