Ball und Buchstabe
Wandlung
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| Donnerstag, 8. Juni 2006Michael Horeni (FAZ) stimmt uns auf die nächsten vier Wochen ein: „Wenn nicht alles trügt, dann erwartet Deutschland in diesem Sommer eine wundersame Wandlung. Der Rohstoff Fußball hat das Zeug dazu, die schwer aus der Reserve zu lockenden Deutschen zu einer fröhlichen Fußball-Erregungsgemeinschaft zu machen. Die Bedenkenträger im öffentlichen Diskurs geraten auf der Zielgeraden zur WM jedenfalls überall in die Defensive. (…) Weltmeister? Das ist für Millionen ein schöner Sommertraum, keine einklagbare Erwartung. Nicht zuletzt aus diesem Grund dürfte es schwer werden, auf Straßen und Plätzen der guten Laune zu entkommen. Die Deutschen, die sich mit Fanartikeln wie nie zuvor für den Spaß an der Weltmeisterschaft hochgerüstet haben, scheinen wild entschlossen, sich ein paar Wochen Urlaub vom Alltag zu verschreiben. Wer das für eine unglaubliche Infantilisierung der Gesellschaft hält, liegt vielleicht gar nicht falsch. Aber es hat schon schlimmere Gemütszustände zwischen Nordsee und Alpen gegeben. Man darf alles in den nächsten Wochen ein bißchen entspannter und spielerischer sehen. Die nächste großkoalitionäre Arbeitsmarktreformdiskussion kommt bestimmt. Aber erst einmal muß Ballacks Wade heilen.“
Der Fußball in den USA hat eine unglaubliche Entwicklung gemacht
Ein sehr schönes Interview mit Kasey Keller, dem Torhüter der USA (Christoph Biermann, SZ)
SZ: Wie unterscheiden sich amerikanische Fußballprofis von ihren europäischen Kollegen?
Keller: Sicher dadurch, dass es in den USA keine zweite oder dritte Liga als Unterbau gibt, sondern Universitätsmannschaften. Deshalb haben die meisten Spieler zumindest ein wenig studiert.
SZ: Haben Sie Ihr Studium beendet?
Keller: Nein, aber zum Abschluss in Soziologie fehlt mir nur noch ein Semester. Im Studium habe ich einen Aufsatz über „Untreue bei Profisportlern“ geschrieben, und da konnte ich wunderbar mit meinen Kollegen in Nachtklubs recherchieren.
SZ: Das Interesse an Soziologie dürfte auch bei Ihrem ersten europäischen Klub befriedigt worden sein, dem für gewalttätige Fans bekannten FC Millwall.
Keller: Oh ja, da konnte ich gut asoziales Verhalten untersuchen. Zugleich waren die Fans aber unglaublich freundlich und warmherzig, auch zu meiner Frau oder wenn amerikanische Freunde zu Besuch kamen. Allerdings hatte das mitunter seltsame Formen. In meiner ersten Saison waren wir zu Weihnachten Tabellenführer und sind doch noch abgestiegen. Nach dem letzten Spiel in Ipswich sind einige Fans zu meiner Frau gekommen und haben gesagt: „Mrs. Keller, es ist wohl besser, wenn Sie jetzt gehen.“ Dann wurde sie von ihnen herausgeführt, und die Jungs sind wieder rein, um das Stadion zu zerlegen. Wir kannten auch einen Fan gut, der Familienvater und wahnsinnig nett zu uns war. Allerdings war er im Gefängnis gewesen, weil er bei einer Schlägerei einen gegnerischen Fan angezündet hatte.
SZ: Gab es im amerikanischem Sport etwas, das Sie darauf vorbereitet hat?
Keller: Absolut nicht, und ich habe bis heute nicht verstanden, warum man sich ein Fußballtrikot anzieht und sich gegenseitig vermöbelt.
SZ: Verstehen Sie Menschen, die Trikots anziehen, während eines Spiels singen und bei Niederlagen todtraurig sind?
Keller: Ja, und deshalb gefällt es mir in Mönchengladbach so gut. Ich habe in vier Ländern in einem halben Dutzend unterschiedlicher Vereine gespielt, aber nur bei der Borussia habe ich eine Intensität wie bei Millwall erlebt – glücklicher Weise ohne die Gewalt.
SZ: Warum gibt es im amerikanischen Sport keine Fankurven?
Keller: Es hat mit den Sportarten selbst zu tun. Im Baseball oder American Football gibt es nämlich immer nur kurze Abschnitte von zehn Sekunden, in denen etwas passiert. Danach kann man wieder essen oder quatschen, also ist die Aufmerksamkeit nie länger am Stück auf das jeweilige Match konzentriert.
SZ: Hat das Rückwirkungen aufs Publikum beim Fußball?
Keller: Oh ja, die meiste Zeit geht es relativ ruhig zu. Wenn ein Tor fällt, schreien alle, aber danach ist es wieder ruhig. Vor fünfzehn Jahren, als Fußball vielen Zuschauern noch weniger geläufig war, fiel das noch mehr auf.
SZ: Sind die US-Fußballer demnach ein Team ohne echte Fans?
Keller: Nein, das wäre übertrieben. Man muss auch wissen, dass sich Fans in den USA sowieso nicht nur für eine Sportart interessieren, weil sich die Saison in Baseball und American Football nicht überschneidet. Es gibt schon sehr viel Interesse an uns.
SZ: Was hat sich in den sechzehn Jahren verändert, in denen Sie nun der Nationaltorhüter der US-Fußballer sind?
Keller: Der Fußball hat eine unglaubliche Entwicklung gemacht. Vor der WM 1990 haben wir mit dem US-Team in Stadien gespielt, die nur 5.000 Plätze hatten, um wenigstens etwas Atmosphäre zu schaffen. Heute wären wir ausgesprochen enttäuscht, wenn zu einem interessanten Qualifikationsspiel nicht mindestens 40.000 Zuschauer kämen.
SZ: Von denen die Hälfte Guatemalteken oder Puerto Ricaner sind.
Keller: Wir müssen die Spielorte schon sorgfältig aussuchen. Los Angeles ist die zweitgrößte Stadt Mexikos, von Honduras oder El Salvador. New York dürfte sogar die zweitgrößte Stadt von gut 30 Ländern sein. Wo immer wir unsere Heimspiele austragen, werden wir also einen Teil des Publikums gegen uns haben. So wie es in Deutschland bei Spielen gegen die Türkei ist. Aber inzwischen gibt es dabei ein Crossover. Wenn wir etwa gegen El Salvador spielen, unterstützt ein Viertel der salvadorianischen Zuschauer die Gastmannschaft. Aber die 10.000 Mexikaner im Stadion drücken uns die Daumen, weil sie uns als ernst zu nehmendes Fußballland akzeptieren. (…)
SZ: Ist es wirklich ein Nachteil, Fußballprofi mit amerikanischem Pass zu sein?
Keller: Vielleicht ist Nachteil zu hart ausgedrückt. Aber besser wäre es schon, Holländer zu sein. Giovanni van Bronckhorst ist ein Musterbeispiel. Er wechselte von den Glasgow Rangers zu Arsenal, fiel dort durch und wechselte wohin? Zum FC Barcelona. Dafür muss man wohl Holländer sein, als Amerikaner wäre man umgehend zu DC United geschickt worden.
Stetig und sachte vorangekommen
Anne Scheppen (FAZ) teilt mit, daß in Südkorea und Japan, den WM-Gastgebern von 2002, ein harter Kern an Fußballbegeisterten geblieben sei: „Das Fußballfest im eigenen Land bescherte Korea mehr Stadien, als es brauchte. Das auf der südlichen Insel Jeju fand erst dieses Jahr eine professionelle Heimmannschaft. In der Provinz hat der Fußball noch keine tiefen Wurzeln geschlagen. Die Zuschauerzahlen der K-League sanken, und die Mitglieder der Roten Teufel nahmen von 2.000.000 auf 350.000 ab. Die Legionäre Park Ji-sung oder Ahn Jung-hwan halfen höchstens den Fernsehsendern, die Spiele aus England oder Deutschland übertrugen. Was zählt, ist die Nationalmannschaft und ihre Stars. Südkoreas Nationalmannschaft hat sich nicht gerade bravourös für Deutschland qualifiziert: Zwei Trainer wurden verschlissen, nach hektischer Suche Dick Advocaat acht Monate vor dem Turnier verpflichtet. Die wahren Fans dürfte das jedoch nicht schrecken. Sie müssen wegen des Zeitunterschieds ohnehin schon reichlich Durchhaltevermögen beweisen: zwei Gruppenspiele, Anpfiff vier Uhr morgens Ortszeit. Arbeitgeber signalisieren schon wohlwollende Nachsicht. Studenten überredeten ihre Professoren, die Prüfungen vor Turnierbeginn abzuschließen, und das Militär paßte den Termin für eine Reserveübung dem Spielplan der Gruppe G an. Korea ist bereit – von Skeptikern, die anmerken, daß die Nationalmannschaft in fünf auswärtigen Weltmeisterschaften kein einziges Spiel gewinnen konnte, will man nichts mehr wissen. Der zweite Gastgeber von 2002 entsandte seine Mannschaft unter weniger emotionalem Erfolgsdruck nach Deutschland. Japan kommt als amtierender Asienmeister, der – im Stadtbild der Hauptstadt oder im Ton der Medien – die nahende WM weit gelassener honoriert als der nahe Nachbar. Gleichwohl ist der Fußball auf dem Archipel in den vergangenen vier Jahren stetig und sachte vorangekommen. Vor allem auf dem Land bieten zahlreiche neue Spielgemeinschaften und Schulmannschaften den großen Klubs ein ergiebigeres Talentreservoir. Nippons zehn WM-Stadien werden, trotz vieler pessimistischer Voraussagen, effektiv genutzt, teilweise mit respektablen finanziellen Überschüssen. Zur professionellen J-League kommen durchschnittlich fast 20.000 Zuschauer – zwei Jahre vor der WM im eigenen Land waren es gerade mal 11.000. Und gemessen an den Werbeeinnahmen der Spieler, dürfte Nippons Nationalteam inzwischen eines der erfolgreichsten der Welt sein. Nach vielen Jahren in Japan beherrscht Trainer Zico schon perfekt die japanische Tugend des vorsichtigen Understatements. Doch es waren andere, die den größten Druck von Nakata, Oguro & Co. genommen haben. Im März wurde Japan bereits Weltmeister – in seiner ersten Sportart Baseball.“
NZZ: Optimismus in England
taz: Der kanadische Bajuware Owen Hargreaves hat einen schweren Stand bei seinen englischen Teamkollegen. Dafür teilt er mit Trainer Eriksson, vermutet der Boulevard, ein schmutziges Geheimnis
Möchte wer tauschen?
Das Feuilleton der FAZ irrt durch die Stadt auf der Suche nach einem Panini-Album: „Wahrscheinlich haben sich auch bei den Alben skrupellose Fifa-Pfeffersäcke ihre Pfründe gesichert und so der Basis den Nachschub abgeschnitten. Für die Korruptionsthese spricht, neben Sepp Blatter, daß man in Frankfurter Broker-Bars schon Anzugträger beim Bildertausch im großen Maßstab beobachten konnte, als handelte es sich um Aktienoptionen. Oder daß der nordrhein-westfälische Bauminister gerade unter Beschuß steht, weil er während einer Landtagsdebatte über Hartz IV Panini-Bildchen einklebte – angeblich im Auftrag seines Sohnes. Offenbar hat sich längst eine Parallelwährung, ja eine Schattenwirtschaft entwickelt, in die allerhöchste Kreise verstrickt sind. Doch nehmen wir’s als gutes Omen, daß man mit der richtigen Einstellung auch gegen die Großen ‚ein Näschen vorn‘ (Klinsmann) sein kann: Ausgerechnet im profanen Supermarkt finden wir noch zwei Hefte! Die werden gleich beide gekauft. Erstens, weil man ja sonst nicht tauschen kann, und zweitens, weil die anscheinend auch unbeklebt Gold wert sind. Gleich in den ersten Tütchen finden sich: Michael Ballack, Ronaldinho und – der Cup, Objekt aller Tauschbegierden und, so die pausenhofgeschulte Tochter, ein höchst rares Exemplar. Dazu aber auch Owomoyela und Kuranyi. Möchte wer tauschen?“
taz: Die Polizei bereitet sich auf den Besuch gewaltbereiter Hooligans vor. Zwar sind viele bereits erfasst und werden beobachtet – dass es zu Gewalt kommen wird, gilt dennoch als sicher
FAS: Sportwissenschaft – gut zu wissen: Es gibt einen Heimvorteil
FR-Interview mit dem Sportpsychologen Bernd Strauß über den Heimvorteil
taz: Hormonexperte Bidlingmaier über Doping im Fußball, den ersten Epo-Fall auf dem Rasen und kleinwüchsige Spieler