Ascheplatz
Berechtigter Streik
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| Montag, 12. Juni 2006Christoph Biermann (SZ) billigt den Prämienstreik der togoischen Spieler: „Der Fall hat nichts mit der latent rassistischen Wahrnehmung zu tun, dass die Afrikaner halt so seien und immer so ein lustiges Durcheinander produzieren. Die größte Behinderung beim Fortschritt des Fußballs in Schwarzafrika ist vielmehr genau jene, die auch den sozialen oder wirtschaftlichen Entwicklungen im Weg steht. In vielen Ländern sind gerade die sozialen Eliten die größten Ausbeuter ihrer Völker. Das Beispiel Togos macht anschaulich, wie so etwas funktioniert: Das Geld von der Fifa und von Sponsoren, das Togos Kicker durch gute Leistungen für ihren Verband eingespielt haben, landet nicht einmal zu einem Teil bei ihnen. Der Verband ist durch dieses Geld plötzlich zu einer interessanten Adresse für alle geworden ist, die sich etwas in die Tasche stecken wollen. Es mag nachvollziehbar sein, dass der ein oder andere die Gelegenheit nutzen will, auf diese Weise zu einer Reise nach Europa zu kommen. Genau so verständlich ist es aber, dass Togos Spieler solchen WM-Tourismus nicht finanzieren wollen, indem sie auf zugesagte Prämien verzichten. Zumal längst nicht alle Spieler aus dem armen Land so hoch dotierte Verträge haben wie Stürmerstar Adebayor. Ihr Streik ist berechtigt gewesen.“
SZ: Pfister verlässt wegen eines seit Monaten offenen Prämienstreits die Mannschaft
Das sind gute Jungs, die haben nichts falsch gemacht
Otto Pfister, der zurückgetretene Trainer Togos, im Interview mit Andreas Burkert (SZ)
SZ: Am Samstag haben die Verantwortlichen des togoischen Fußballverbandes den Wunsch geäußert, Sie mögen Ihren Rücktritt vom Freitag bitte noch einmal überdenken. Spieler und Verband meinten, vielleicht sehe alles wieder anders aus, wenn Sie eine Nacht drüber geschlafen hätten. Konnten Sie überhaupt schlafen?
Pfister: Natürlich konnte ich schlafen! Obwohl mich in beiden Nächten nach meinem Rücktritt mehrere Spieler zuhause angerufen haben. Mein Entschluss steht allerdings, ich habe ihnen gesagt, dass ich nicht zurückkomme. Außerdem hat niemand aus dem Verband Kontakt mit mir aufgenommen. Natürlich bin ich deshalb am Boden zerstört, denn das wäre meine erste WM gewesen. Aber ich habe eine rein professionelle Entscheidung getroffen, und dazu stehe ich.
SZ: Mitten in der Nacht haben Sie also mit WM-Spielern Togos telefoniert?
Pfister: Ja, aber ich werde jetzt keine Namen nennen. Ich muss jetzt das Leben der Spieler schützen, denn Sie wissen ja, was sie mit Pierre Womé gemacht haben, dem Nationalspieler aus Kamerun von Inter Mailand …
SZ: … der mit einem verschossenen Elfmeter in der Nachspielzeit der letzten Relegationspartie die WM-Qualifikation Kameruns verhinderte. In seiner Heimat haben sie sein Haus zerstört.
Pfister: Genau, und ich weiß doch, was jetzt in Togo los ist. Aber wenn Leben gefährdet sind oder Kinder verletzt werden können, dann ist sofort Schluss bei mir. Und das ganze Land wird jetzt leider erstmal auf die Spieler losgehen, obwohl sie gar nichts dafür können. Deshalb habe ich den Spielern am Telefon auch gesagt, dass sie professionell denken müssen, und dass sie an ihre Zukunft und an ihr soziales Umfeld denken sollen. Genau so habe ich denen das wortwörtlich gesagt, diese Passage habe ich extra aus meinen Teamsitzungsunterlagen herausgeschrieben. Sie müssen an sich und ihre Familien denken, an ihre Sicherheit. Deshalb müssen sie die WM auch spielen.
SZ: Wieso zahlt der Verband partout nicht die verabredeten Prämien?
Pfister: Wie so vieles in einem armen Land dreht sich natürlich alles ums Geld. Dabei wollten die Spieler doch gar nicht das Geld dieses armen Landes haben! Sondern sie wissen natürlich, dass schon eine Tranche aus dem Antrittsgeld der Fifa geflossen ist. Die Spieler sind nicht unverschämt, sie verlangen keinen Pfennig, für den dieses arme Land aufkommen müsste. Und sie haben ja auch nicht das ganze Geld von der Fifa verlangt, sondern nur einen Teil davon. Es gibt ja auch noch Sponsorengeld vom Ausrüster, das ist noch einmal erhöht worden, und von einer italienischen Getränkefirma, oder für ein Testspiel in Saudi-Arabien. Die Spieler wissen, dass dieses Geld geflossen ist, und jetzt fragen sie sich: Wo wandert das viele Geld hin? Verschwindet es in dunklen Kanälen? Das ist alles sehr schade, denn schon beim Afrika-Cup im Januar waren die Prämien für die WM-Qualifikation offenbar ein Problem.
SZ: Jetzt ist die Sache eskaliert.
Pfister: Meine Einstellung ist ja immer: Ich gehe nicht an Politik und an Geld heran. Ich habe in Afrika oft darum kämpfen müssen, dass die Infrastruktur stimmte; meine Mannschaften und ich mussten das Minimum haben, damit wir arbeiten konnten. Aber dass jetzt die Spieler vor einer Weltmeisterschaft gestreikt haben, da muss ich sagen, das ist die tollste Sache, die ich erlebt habe – dass alles an einem Menschen hängt.
SZ: Sie meinen sicher Herrn Gnassingbe, der ein Bruder des Staatspräsidenten von Togo ist?
Pfister: Ja, von ihm sind doch dort alle abhängig. Da sitzen zwanzig Leute im Hotel rum, auch der togoische Botschafter, und wenn einer einen Pieps macht und dem Botschafter vielleicht dieser Pieps nicht passt, dann ist er weg. So geht das dort zu.
SZ: Was kann die Mannschaft bei der WM nach diesem Chaos noch erreichen?
Pfister: Durch diese drei Tage Trainingsverlust wird man sicherlich einen physischen Abfall spüren, das ist gar nicht anders möglich. Von der Psyche her ist die Mannschaft in Ordnung, und wir sind ja wirklich eine gute Einheit gewesen. Es hat doch auch niemals einer von ihnen auf dem Trainingsplatz gefehlt. Das sind gute Jungs, die haben nichts falsch gemacht. Ich werde ihnen jetzt am Fernseher zusehen.
FR: Die Zuschauer brauchen keinen Ausweis, um in die WM-Stadien zu kommen