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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Entspannt

Oliver Fritsch | Montag, 12. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Entspannt

Unter dem etwas altfränkischen Titel „Sause mit Witz“ gratuliert Roland Zorn (FAZ) den Gastgebern zum WM-Einstand: „Machen die Deutschen so weiter wie zu Beginn des Turniers, werden sie manches Vorurteil fürs erste widerlegen können. Das fängt schon bei der deutschen Mannschaft an, die sich einer offenen Spielweise befleißigt wie kein deutsches WM-Team zuvor. Zwar ist noch nicht geklärt, ob man auch ohne Abwehr im klassischen Sinn weit kommen kann. Andererseits eröffnen muntere Begegnungen wie die vom Freitag, die gezeichnet sind vom wechselseitigen Geben und Nehmen, völlig neue Perspektiven. ‚Oh, it was Basketball‘, sagte ein amerikanischer Kollege nach dem deutsch-costaricanischen Tag des offenen Tors erfreut. (…) Die Massen, die in Deutschland einig Fußball-Land feiern wollen, stören sich auch nicht lange an Ergebnissen, die den Anhängern dieser oder jener Mannschaft nicht passen. Wer verloren hat, gewinnt vielleicht beim nächsten Mal. Fußballfans von heute sind, ob in Deutschland oder aller Welt, längst nicht mehr so verbohrt, witzlos oder gar nationalistisch wie in der Vergangenheit. Schon daß so viele junge Frauen mitmachen bei den Freiluftfeten, entspannt die Atmosphäre. Daß selbst der Fußball auch nur ein Spiel ist, wurde zum Glück schon an diesem ersten WM-Wochenende offenbar.“ Richard Meng (FR) lobt die Polizei: „Auch der Staat präsentiert sich in diesen Tagen – vor allem durch das Auftreten der Polizei. Selbst da war der Start gelungen. Derart gelassen, umsichtig und mitunter sogar in Mitfeierlaune, wie die Polizisten weithin agierten, könnte auch dies zur Visitenkarte eines zivilen, fröhlichen Landes werden. Ordnungsmacht einmal anders. Nicht als Verhinderer, möglichst als Förderer von guter Laune. Normalerweise ist die ja nicht gerade deutsche Spezialität.“

Sache des Westens

Wird sich Deutschland in der WM finden, wen und was symbolisiert sie? Dirk Kurbjuweit (Spiegel) befaßt sich mit deutscher Selbstdefinition: „Identität und Deutschland sind Widersprüche. Dafür war das, was Deutsch hieß, zu lange Reich mit unbestimmten oder ständig veränderten Grenzen und Bevölkerungen. Dafür ist der Holocaust zu sperrig. Man kann sich mit ihm nicht in einer Identität einrichten, schon gar nicht ohne ihn. Alle Versuche, dies in absehbarer Zeit zu tun, werden scheitern. In Wahrheit ist die Suche das Ziel. Sich suchen, ohne sich finden zu können – das ist deutsch, das ist auch ein deutsches Vergnügen. Leider hat die Weltmeisterschaft im Vorfeld nichts geleistet, um dem Deutschlandbild etwas Wichtiges hinzuzufügen. Vor allem das größte Projekt dieses Landes, die Einheit, hat keinen Fortschritt gemacht, eher im Gegenteil. Die WM ist eine Sache des Westens, nicht nur weil die Gäste den Osten meiden. Elf von zwölf Spielorten liegen in den alten Bundesländern. Und die ganze sportliche Mythologisierung des Fests basiert auf den drei WM-Titeln, die westdeutsche Mannschaften errungen haben. Das Land wirkt in diesen Tagen gespaltener denn je seit 1990. Der Westen erprobt sich in Weltoffenheit, der Osten sieht sich bestärkt im ewigen Verdacht, nicht dazuzugehören. Es ist nun Sache der Nationalmannschaft, ein Einheitsgefühl herzustellen. Das geht nur über Erfolge. Anders als bei den Olympischen Spielen 1972 in München ist es auch nicht gelungen, eine Ästhetik zu schaffen, die etwas sagt über das Land der Spiele. Das Olympiastadion in München war und ist ein Monument der Offenheit und Leichtigkeit. Die Piktogramme Otl Aichers schufen eine neue Klarheit und machten endgültig Schluss mit der Sütterlin-Seligkeit. Die lichten Farben auf den Fahnen verwandelten München in eine Stadt des Frohsinns. Diese lichten Farben gibt es nun als Zitat auf den WM-Fahnen. Etwas Neues, Eigenes ist jedoch nicht entstanden. Die krachbunten Lachhysteriker auf dem Emblem verweisen auf nichts anderes als eine allgemeine Infantilität, die ihren Ursprung eher im amerikanischen Comic hat. Die neuen Stadien sind gesichtslose Zweckbauten, mit Ausnahme der Münchner Arena von Herzog und de Meuron. Anders als das Olympiastadion ist sie ein geschlossener Raum, fast eine Muschel, aber auch darin liegt keine gesellschaftliche Aussage. In der Ästhetik der WM geht es nicht um Repräsentation, sondern um Präsentation. Die Industrie kann die WM konkurrenzlos als Hintergrund für Werbebotschaften nutzen. Es sind ökonomische Zeiten, nicht politische. Und Ökonomie ist international, nicht national. Diese WM ist eher ein Beispiel für die Hilflosigkeit der Nationen als für deren Triumph.“

SZ: Public-Viewing – Friede, Freude, Fußballgucken

SZ: Franz sei Dank: Die WM ist auch eine Leistungsschau der deutschen Promis

NZZ: Weshalb Film und Fußball ein schlechtes Team bilden – im Unterschied zu Fernsehen und Fußball

BLZ: Ballacks Wade, Calmunds Späße und immer wieder James Blunt: Die ersten WM-Tage im Fernsehen

taz: Jan Tomaszewski ist Polens größter Torhüter aller Zeiten. Vor dem WM-Spiel Deutschland – Polen klagt er die Zustände im polnischen Verband an

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