indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Es werden noch einmal Wunder von ihm erwartet

Oliver Fritsch | Dienstag, 13. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Es werden noch einmal Wunder von ihm erwartet

Ralf Itzel (FTD) freut sich auf die Abschiedstour Zinedine Zidanes: „Jetzt kann man ihn nochmal live beobachten, den genialsten Fußballer seit Maradona, den elegantesten seit Beckenbauer, den teuersten der Geschichte. Er ist eine Ikone, und die Nostalgie der Bewunderer, angetrieben durch das nahe Adieu, verklärt seine Heldentaten zusätzlich. Und so werden noch einmal Wunder von ihm erwartet. Er ist immer noch für Kostbarkeiten gut, vielleicht vier, fünf pro Halbzeit. Aber die gesamte Partie bestimmen wie früher? Das kann er wohl nicht mehr. Man wird bei dieser WM einen anderen Zidane sehen. Nicht mehr jeder Spielzug läuft jetzt über ihn; des öfteren lässt er sich den Ball schon weiter hinten geben, weil vorne zu viel Betrieb ist und er sich nicht mehr so vom Gegner lösen kann; Dribblings wagt er weniger. Der Kapitän ist jetzt auch auf andere Art wertvoll für die Mannschaft. An einem wie ihm, der alles erlebt hat, richten sich die Kollegen auf in den schwierigen Momenten. Die wird es geben bei diesem Turnier, auch für ihn. Wie schön, dass er nochmal dabei ist.“

Gescheiterter Revolutionär

Christian Eichler (FAZ) schildert die Wende in der Strategie des französischen Trainers: „Raymond Domenech hat sich für Barthez als WM-Torwart entschieden und damit gegen den zuletzt besseren Gregory Coupet, der vor Wut aus dem Trainingslager abreisen wollte und nur mit Mühe von einem Eklat abgehalten werden konnte. Man kann diesen Vorgang leicht als Kapitulation des früheren Idealisten Domenech interpretieren, der sich, ganz die klassische Geschichte des gescheiterten Revolutionärs, mit den Figuren und Strukturen, die er einst ändern wollte, arrangiert hat. Tenor: Die Alten haben ihn kleingekriegt, den fröhlich angetretenen Innovator. (…) Nun hoffen viele Franzosen auf den 23jährigen Franck Ribery, der bei drei Einwechslungen in den Vorbereitungsspielen als mutiger Tempodribbler begeisterte und dem viele eine WM-Rolle in der Startelf wünschen und nicht nur eine als Joker. Endlich ein neuer Impuls für das erstarrte französische Angriffsspiel, als Ersatz für Zidane? Domenech winkt ab: Ribery müsse noch warten. Was so viel heißt wie: bis nach der WM; bis nach Zidane. Denn den einst weltbesten Spieler, den er zurückgewann fürs Team, kann Domenech nicht auf die Bank setzen, ohne sich selbst zu demontieren. Der Mann, der antrat, das Team zu verjüngen, klammert sich nun an den großen Alten.“

Jahrfünft der Einmaligkeit?

Die Neue Zürcher Zeitung blickt gespannt auf den Einstand ihrer „Nati“: „Über den Schweizer Fussball wölbt sich ein Spannungsbogen. Zwischen 2004 und 2008 nimmt das Nationalteam an drei grossen Turnieren teil – eine Konstellation, die einmalig oder zumindest aussergewöhnlich ist. Trainer Köbi Kuhn, der Architekt des Projekts, liegt gegenüber dem 2003 entworfenen Bauplan zeitlich im Vorsprung. (…) Was wohl geschähe, würde das Schweizer Team in Deutschland kalt geduscht? Die Gewissheit, als Gastgeber an der EM 2008 dabei zu sein, mag Planungssicherheit vermitteln; und die Vorstellung, Kuhn werde Ende Juni nicht mehr fest im Sattel sitzen, scheint derzeit abenteuerlich. Doch ist eine Mannschaft einmal gescheitert, betritt sie einen Weg mit gar vielen Unwägbarkeiten. Dem Frieden bedingungslos zu trauen, ist selten klug. Die kühnsten Träume in Ehren – die Achtelfinal-Qualifikation bedeutete für die Schweiz einen grossen Erfolg. Will die SFV- Auswahl die Grenzen weiter nach oben verschieben, muss sie allerspätestens im Viertelfinal einen ‚Grossen‘ besiegen – was ihr seit 1993 und dem 1:0 gegen Italien nie mehr gelungen ist. Erst das Ende dieser Serie würde spürbar machen, dass sich im Jahrfünft 2004-2008 aus Schweizer Sicht eine Situation der Einmaligkeit verbirgt.“

Knorrig

Gregor Derichs (FAZ) stellt die Arbeit des südkoreanischen Trainers vor: „Die Arbeit mit seiner neuen Mannschaft gefällt ihm. Fast nichts mehr erinnert Dick Advocaat an seine vorletzte Trainerstation, obwohl er wieder in Gladbach ist. Allerdings nicht in Mönchengladbach, sondern in Bergisch Gladbach. ‚Die Arbeit in Korea ist für einen Trainer einfacher als bei einer europäischen Mannschaft. Die Spieler sind sehr diszipliniert‘, sagt Advocaat. In Europa hingegen sei es eine Lieblingsbeschäftigung der Spieler in Vereins- und Nationalmannschaften, ständig mit dem Trainer zu diskutieren, ‚in Korea folgen sie dem Trainer und machen ihren Job‘. Diesen Gehorsam schätzt der Mann. Bei seinem nicht einmal sechs Monate dauernden Gastspiel als Trainer von Borussia Mönchengladbach lernte Advocaat diesen von ihm kritisierten Wesenszug der Profis, ihren Coach zu hinterfragen, zur Genüge kennen. Der Holländer, den sie in der Heimat den ‚kleinen General‘ nennen, trat mit einem Erziehungsauftrag im November 2004 an. ‚Man muß mit Fußballprofis sprechen wie zu Kindern, sie müssen machen, was ich sage. Wenn nicht, dann kriegen sie ein Problem. Ich bin ein Disziplinmann‘, warnte er. Im April 2005 war das Regiment der strikten Richtlinien beendet. (…) Die Koreaner fragen sich, ob Dirk Nicolaas Advocaat wirklich ein Landsmann von Guus Hiddink sei. Der weltläufige, freundliche und redselige Hiddink hatte im Lande des Mitgastgebers der WM 2002 einen Heldenstatus erlangt, als er das südkoreanische Team in das Halbfinale führte. Hiddink wurde zum Liebling der Massen. Er ist vom Charakter und Wesen der Gegenentwurf zum knorrigen, oft verbissen wirkenden Advocaat.“

Er verkrampft vor lauter Wille

Ronald Reng (taz) schreibt über den Hintergrund der dauerhaften Formschwäche Ráuls: „Real Madrids Verpflichtung von Ronaldo vor vier Jahren nahm ihm seinen natürlichen Platz. Ronaldo braucht Raum und den Pass in die Tiefe, dann rollt er. Rául, eigentlich ein klassischer, lauernder Strafraumstürmer, musste sich für ihn aus der ersten Reihe zurückziehen, später krallte sich der Misserfolg Real, ein Trainer nach dem anderen hantierte an der Taktik herum und schob Raúl hin und her, bis ins linke Mittelfeld. Ronaldo aber behielt immer seine Position, Ronaldo, der feiern ging und die Arbeit scheinbar nicht so wichtig nahm. Raúl hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, man könnte auch sagen, er ist nachtragend. Seine Abneigung gegen Ronaldo ist ein offenes Geheimnis. Aber er hat nie vehement dagegen protestiert, dass er für Ronaldo geopfert wurde. Raúl hat sich in die Rolle des Staatsmannes des spanischen Fußballs drängen lassen, er fühlt sich bei Real für alles verantwortlich – er traut sich nicht mehr, zuerst an sich selbst zu denken. Er glaubt, er müsse immer für die Mannschaft einstehen. In einem Verein, der seit drei Jahren täglich für seinen Misserfolg unter Beschuss steht, ist das eine Position, die einen zerdrücken muss. In seiner Unbedingtheit, die alte Form zurückzuholen, scheint es ein Hindernis zu sein: Er verkrampft vor lauter Wille.“

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

112 queries. 0,540 seconds.