WM 2006
Gruppe G
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| Mittwoch, 14. Juni 2006Geringschätzung abgelegt
So weit ist die Schweiz schon – Felix Reidhaar (NZZ) weiß nicht, ob er mit dem 0:0 gegen Frankreich zufrieden sein soll: „Ein Remis gegen die Franzosen an einer Weltmeisterschaft: Wer dies vor gut einem halben Jahrzehnt einer Schweizer Nationalauswahl angeboten hätte, wäre mit schrägem Blick betrachtet worden. Heute sind die Ansprüche, ist der Appetit mit zunehmendem Erfolg und Selbstvertrauen gestiegen und hat die internationale Gegnerschaft ihre Geringschätzung gegenüber jahrzehntelang marginalen Mannschaften aus unserem kleinen Land abgelegt. Als Team der Youngster mit erheblichem Potenzial wird Köbi Kuhns Team inzwischen weitherum ernst genommen. Jetzt ist dieses Unentschieden – und man weiss nicht so recht, ob man sich nun darüber freuen oder ärgern soll.“
Große Erwartungen
Roland Zorn (FAZ) berichtet das Spiel auf der Folie Zukunft gegen Vergangenheit: „Jakob Kuhn vertraute seiner Jugendmannschaft, einem Team mit einer Reihe von Spielern knapp jenseits der Zwanzig, und der sollte die Hitze von 32 Grad im Schatten eigentlich nichts ausmachen. Sein Kollege Raymond Domenech dagegen setzte auf das letzte Hurra der 98er Alt-Weltmeister jenseits der Dreißig mit dem nationalen Superheros Zinedine Zidane vorneweg. Andererseits muteten große Teile der ersten Halbzeit so an, als drängte es gleich mehrere Franzosen in den vorzeitigen Kicker-Ruhestand. Maitre Zidane, dem eine exzellente Vorlage glückte, fiel deswegen mit seinem Go-slow-Rhythmus nicht weiter unangenehm auf. Um ihn herum bauten sich ebenfalls so manche Standbilder auf. Ein Glück für die behäbigen Franzosen, daß auch die Schweizer nicht gerade im Temporausch waren. Da die Eidgenossen außerdem von großem Respekt gegenüber den großen Namen ihres Gegners erfüllt schienen, dösten viele Zuschauer gefahrlos vor sich hin.“ Andreas Burkert (SZ) reibt sich den Schlaf aus den Augen: „Zwischen zwei Favoriten auf den Gruppensieg entwickelte sich früh jenes zähe Strategiespiel, das sie bereits in den beiden ohne Sieger beendeten Duellen der WM-Qualifikation aufgeführt hatten. Der Herausforderer wirkte lange noch nervöser als die Franzosen. Groß sind die Erwartungen im kleinen Nachbarland, sich bei diesem Turnier womöglich endgültig emanzipieren zu können als wettbewerbsfähiger Spielpartner der Großen. Wohl mehr als 40.000 waren in die Stadt gekommen und lärmten mit ihrem unvermeidlichen Hopp Schwyz!, gut die Hälfte von ihnen besaß ein Ticket und sorgte für Heimspielatmosphäre im sehr heißen Cannstatter Brutkästle.“
Gruppe H
Land der vielen Wahrheiten
Warum lesen wir so wenig über die Ukraine, eins der spannendsten Länder unter den 32 Teilnehmernationen? Andreas Rüttenauer (taz) befaßt sich mit dem Identifikationsangebot der ukrainischen Nationalelf und ihres Trainers: „‘Alles Diebe!‘ Diese zwei Wörter bekam man im Sommer 2005 in Lemberg oft zu hören, wenn von der ukrainischen Obrigkeit die Rede war. Der Hass zielte vor allem auf die Abgeordneten des Parlaments. Einer von ihnen war Oleg Blochin. Der ehemalige sowjetische Fußballnationalspieler sitzt bis heute für die Sozialistische Partei im Kiewer Parlament. Noch immer wird er von den Reformern deswegen heftig kritisiert. Die Politiker aus der vorrevolutionären Zeit gelten bei vielen als korrupt. Ein Antikorruptionsgesetz hätte Blochin beinahe den Job als Trainer der Nationalmannschaft gekostet. Kein Abgeordneter, heißt es in dem Regelwerk, dürfe einer zweiten offiziellen Tätigkeit nachgehen. Zu viele Deputierte hatten sich am Staat bereichert. Blochin wollte Abgeordneter bleiben, legte kurzzeitig sein Traineramt nieder. Nachdem er erklärt hatte, er wolle ehrenamtlich Nationaltrainer sein, durfte er wieder für den Fußballverband arbeiten. Umstritten ist er bei den Reformern immer noch – auch weil er als Politiker die Westorientierung Juschtschenkos ablehnt und eine enge Anbindung der Ukraine an Moskau befürwortet. (…) Die Ukraine ist ein gespaltenes Land, ein Land, in dem es viele Wahrheiten zu geben scheint. Auch wenn die Nationalmannschaft von allen verehrt wird, so wird sie kaum die große nationale Einigung auslösen können. Das liegt auch an der Person des Trainers: Oleg Blochin.“
FR: Blochin ist ruppig, aber erfolgreich
Hirngespinst von Journalisten und Intellektuellen
Ronald Reng (SZ) entlarvt den Mythos von der zersplitterten Fußballnation Spanien, der oft als Grund für das frühe Ausscheiden bei großen Turnieren herhalten muß. Spanien sei schlicht nicht besser und lange nicht so gut wie seine Vereinsmannschaften: „Die Erfolge seiner Vereine lassen den Kontrast nur stärker erscheinen: Warum gewinnt die Nationalelf nie etwas? Spanien war einmal, 1964, Europameister, seitdem hat sich seine Auswahl als permanente Enttäuschung im kollektiven Gedächtnis festgesetzt. Nie kam sie bei einer Weltmeisterschaft über das Viertelfinale hinaus. Spaniens Elf wird von beinahe absoluter Erwartungslosigkeit begleitet. Man glaubt doch schon zu wissen, wie es ausgeht: Spanien ist die Schönheit, die am Ende im Staub liegt. Zu Recht? Mit jedem neuen Viertelfinal-Ende gewann das Argument mehr Kraft, Spanien könne gar keine starke Nationalelf stellen, sei es doch nicht einmal eine einige Nation. Regionen wie das Baskenland oder Katalonien gebärdeten sich autonom, da mangele es an Identifikation mit der seleccion. Tatsächlich kann im Baskenland noch immer kein Länderspiel ausgetragen werden, auch wenn die Terrorgruppe Eta nun den Waffenstillstand ausgerufen hat. Und mittlerweile veranstaltet jede Region in Spanien zweimal im Jahr ihr eigenes Pseudo-Länderspiel. Da spielt dann Katalonien gegen Paraguay oder gar die Mini-Provinz Murcia gegen Kamerun. Doch die Idee, die Leistung der Nationalelf leide unter diesem Provinzialismus, ist ein Hirngespinst von Journalisten und Intellektuellen, die den Fußball mit gesellschaftlichen Interpretationen überhöhen wollen. Die Unterstützung der Fans ist so feurig wie anderswo. (…) Die tragische spanische WM-Bilanz lässt sich auch anders betrachten: Bei den jüngsten fünf Turnieren erreichten die Teams dreimal das Viertelfinale; wie viele Länder können das von sich sagen? Es sind die prächtigen Erfolge der Vereine, die Spaniens Auswahl schlecht aussehen lassen, doch spanische Vereine verlassen sich schon wegen der historischen Verbindung zu Südamerika traditionell stark auf ausländische Stars. Ein einziger Spanier wurde je Europas Fußballer des Jahres, Luis Suárez im Jahr 1960. Man lässt sich zu leicht von ihrem Stil täuschen. Spanier behandeln den Ball mit Zuneigung, die jetzige Elf ist ein Prachtbeispiel: Mit olé! bewegt sich der Ball im Mittelfeld. Schön spielende Mannschaften sehen meist besser aus, als sie sind. Diesem Spanien etwa fehlen Kälte und ein überragender Torjäger.“
Geteilte Meinung
Elisabeth Schlammerl (FAZ) schildert die schwierige Aufgabe, Saudi-Arabien zu trainieren: „Fußball ist in Saudi-Arabien eine Angelegenheit der Königsfamilie. Elf Prinzen sind in Deutschland dabei, haben feine Suiten in feinen Hotels bezogen. Die Familie läßt sich die wichtigste Sportart des Landes einiges kosten, die Nationalspieler werden reichlich entlohnt. Die Angaben für die Höhe der Prämien bei dieser WM sind unterschiedlich, für das Erreichen des Achtelfinales soll es für jeden Spieler 126.000 Euro geben. Der Trainer verdient natürlich auch sehr gut. Allerdings hat sich bisher kaum einer sehr lange auf dem Posten gehalten. In elf Jahren wurden 15 Trainer entlassen. Die Qualifikation für die WM ist noch lange keine Garantie, dann auch bei der Endrunde noch auf der Bank zu sitzen. Manchmal reichen schon ein paar schlechte Testspiele aus, um sich den Zorn der ungeduldigen Königsfamilie zuzuziehen – und davongejagt zu werden. So ist es zuletzt dem Argentinier Gabriel Calderon ergangen, der Marcos Paqueta vor einem halben Jahr weichen mußte. Auch Paqueta weiß, was ihm blüht, wenn die Mannschaft nicht die Erwartungen der königlichen Familie und des stolzen Volkes erfüllt. Und die Erwartungen sind immer hoch seit dem guten Abschneiden bei der WM 1994 in den Vereinigten Staaten, als Neuling Saudi-Arabien in der Vorrunde Marokko und Belgien bezwang und ins Achtelfinale einzog. Die Meinung über Paqueta in Saudi-Arabien ist ohnehin geteilt. Zum einen, weil der 63 Jahre alte Brasilianer keine internationale Erfahrung hat. Sein größter Erfolg war der Meistertitel im vergangenen Jahr mit dem saudischen Klub Al-Hilal aus Riad, zuvor hatte er mit dem Nachwuchs in Brasilien gearbeitet. Zum anderen, weil es auch unter ihm in den Vorbereitungsspielen keine guten Resultate gab. Unentschieden gegen Schweden, Finnland und Europameister Griechenland genügen den hohen Ansprüchen in Saudi-Arabien eben nicht.“
SZ-Portrait Roger Lemerre, Trainer Tunesiens
FR: Ein Sieg gegen Saudi-Arabien ist Pflicht – Tunesien will im vierten Anlauf zum ersten Mal die zweite Runde eines WM-Turniers erreichen