Deutsche Elf
Vorurteile gegen Deutsche abgebaut
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| Sonntag, 18. Juni 2006Michael Ashelm (FAS) adelt Jürgen Klinsmann als Impulsgeber der deutschen WM-Party: „Deutschland ist weiter, als die vielen Warner und Diskutanten meinen. Der völkerverbindende Charakter des Massenerlebnisses zeigt sich auch beim gemeinsamen Fernsehen, dem Public Viewing, wenn der Fußball aus dem begrenzten Raum des Stadions auf die öffentlichen Plätze hinausgetragen wird. Hier wird der Fan vom Konsumenten zum Mitspieler, hier erweist sich der Geist des Landes und der Menschen. Vielleicht hat Jürgen Klinsmann erst aus Sicht des Auslandsdeutschen diese lange verdeckten Potentiale erkannt. Der Amerikanoschwabe nutzt sie für seine Zwecke, verbindet geschickt die sportlichen Ziele der kleinen Einheit Nationalmannschaft mit dem Massenphänomen Fußball. Die Wahl des Mannschaftsquartiers in der Hauptstadt gehört zu diesem System der Symbole. Alles, was man vorbereiten kann, hat Klinsmann vorbereitet. Es wäre nicht verwunderlich, wenn er auch die deutsche Fußballbegeisterung auf dem Weg zum erhofften Titel eingeplant hätte. Wann hat das Land zuletzt so überschwenglich mit seinen Kickern mitgefiebert? Der mutige, dynamische, druckvolle, temporeiche und riskante Einsatz der Elf ist sicher der Ausgangspunkt der allgemeinen Begeisterung. Voran ging Klinsmanns selbstbewußter Weg der politischen Unkorrektheit gegenüber dem Fußball-Establishment, welches sich darauf verlegt hat, lieber alten Heldengeschichten nachzuhängen als Änderungen einzuleiten für die Zukunft. Klinsmann hat sich jetzt schon verdient gemacht am Abbau von Vorurteilen gegen Deutsche. Womit er und sein größter Kritiker Franz Beckenbauer, der ewig gutgelaunte WM-Oberbeauftragte, sich näher sind, als sie denken mögen.“
Gottheit mit dem Vornamen Jürgen
Radio- und TV-Moderator Jörg Thadeusz (BLZ) mokiert sich über den Beifall für Klinsmann von denen, die ihn bis vor kurzem auf den Mond schießen wollten, allen voran Franz Beckenbauers und der Bild-Zeitung: „Jetzt, wo Berliner Polizisten mit hochgekrempelten Kampfanzugshosen am Einsatzwagen lehnen, weil sie sich vor allem Sorgen um ihren Teint machen müssen. Wo sich in kunterbunten, rappelvollen Stadien kein Mensch um die Geldgier von Fifa-Blatter schert, weil die La Ola-Wellen dazu überhaupt keine Zeit lassen. Und wo ein Trainerteam offenbar in der Lage war, deutsche Verteidiger wirkungsvoll nachzuschulen. Im kaiserlichen Zentralorgan ist aus dem kalifornischen Gastarbeiter Klinsmann nach dem Polen-Spiel schon wieder ‚Klinsi‘ geworden. Seine Majestät selbst lässt sich mit den Worten zitieren, dass die Spieler ‚Jürgens Philosophie umgesetzt haben‘. Es geht also nicht mehr um Gummibänder, sondern um Gedanken, die sich ‚der Jürgen‘ gemacht haben könnte. Zum Beispiel auch über die Nachnominierung von Odo-Wer?, also von dem David Odonkor, der auf das Erlöser-Füßchen von Neuville flankte. Uns Medienmenschen bietet sich jetzt die wunderbare Gelegenheit in die entgegengesetzte Richtung zu übertreiben. Nach komplett ausgekosteter Miesmacherei jetzt die unkritische Verherrlichung des Personals. Wenn ein Oliver zum Titan werden konnte, muss es doch wohl eine Gottheit geben, die mit dem Vornamen Jürgen leben kann.“
Alles ist möglich
Ludger Schulze (SZ) mahnt seine Kollegen, das deutsche Spiel und den deutschen Trainer maßvoll zu beurteilen: „Die Anhängerschaft, die auf knapp 80 Millionen angeschwollen zu sein scheint, hat den schwer erkämpften Sieg emphatischer gefeiert als etwa die WM-Triumphe von 1954, 1974 oder 1990. Eine Steigerung auf der Jubel-Skala ist kaum noch denkbar, Deutschland befindet sich im schwarz-rot-goldenen Vollrausch, weswegen derzeit Mäßiger mancherorts als Miesmacher bezeichnet und als Partysprenger an den Pranger gestellt werden. (Natürlich von denen, die zuvor kaum ein gutes Haar am Bundestrainer und seiner Auswahl ließen.) Inhaltliche Debatten sind verpönt, weil sie als Verstoß gegen die deutsche Sache missgedeutet werden. (…) Klinsmanns Mannschaft hat einen wunderbaren Turnierstart hingelegt, wie es sich alle für ein Gelingen der Weltmeisterschaft gewünscht haben. Das Zeugnis ihrer Reife muss sie noch ablegen. Alles ist möglich – alles.“
Ohne Tradition
Michael Horeni (FAZ) schildert die schwierige Ahnensuche Philipp Lahms: „Der hiesige Medien- und Werbe- und Marketingzirkus bedient sich mit Vorliebe der zwei ‚Schweinoldis‘, um das Bild einer jung-dynamischen Mannschaft zu präsentieren. Schweinsteiger und Podolski sind Kult, wie man wohl sagt. Lahm ist ein Verteidiger. Abwehrspieler in Deutschland haben zudem die Schwierigkeit, daß für sie kein modernes Rollenbild bereitliegt, mit dem sie sich identifizieren können. Der Kultur des technisch versierten, spielerisch intelligenten und taktisch klugen Abwehrspiels fehlt in der Nation der Kohlers und Försters die Tradition. Es ist daher wohl auch kein Wunder, daß Lahm sein Vorbild auch in Paolo Maldini gefunden hat, dem italienischen Abwehrstrategen.“
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BLZ: Lahm weckt mit seinen großen Leistungen die Begehrlichkeiten der großen europäischen Vereine
FR: Lahm-Portrait
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fooligan: ein Jens-Lehmann-Video
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