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Deutsche Elf

Wir brauchen starke Hierarchien

Oliver Fritsch | Montag, 19. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Wir brauchen starke Hierarchien

Joachim Löw im SZ-Interview
SZ: Zu den Abstimmungsproblemen gehört wohl, dass ein Abwehrspieler sagt, man würde auf Abseits spielen und ein anderer sagt, man würde es nicht.
Löw: Wir wollen nicht auf Abseits spielen, das muss man jetzt mal klar sagen. Man hat Arne Friedrich ja vorgeworfen, er sei gegen Costa Rica zweimal zu spät rausgelaufen und hätte damit die Abseitsstellung aufgelöst. Das ist einfach nicht wahr. Da haben sich eindeutig die Innenverteidiger falsch verhalten. Beim zweiten Tor steht Arne völlig richtig, nur ein Innenverteidiger steht falsch. Beide rennen raus, einer hätte bleiben müssen. Wir haben der Mannschaft noch mal eingebläut: Wenn einer rausrückt, müssen sich die anderen zur Absicherung fallen lassen. Wenn Gefahr droht, erst mal zurückweichen! Den Rücken stärken! Das ist das Grundprinzip, nichts anderes. Auf Abseits spielen, das kann vielleicht eine Vereinsmannschaft, die das ein Jahr lang einstudiert.
SZ: Zuletzt war immer wieder auffällig, dass die deutschen Gegner durch Löcher im Mittelfeld spazieren konnten.
Löw: Deswegen haben wir der Mannschaft auch gesagt: Das Zentrum muss zu sein! Wenn außen mal einer frei steht, ist die Situation zunächst mal weniger gefährlich. Aber ein Pass in die Mitte kann, wie man gegen Costa Rica gesehen hat, sofort tödlich sein.
SZ: Sie haben gegen Costa Rica auf Michael Ballack verzichtet. Das wurde gelegentlich als Strafaktion interpretiert und als Versuch, die Hierarchie noch flacher zu machen, nach dem Motto: Du, Michael, bist auch nur einer von 23.
Löw: Auf keinen Fall. Die Hierarchie flacher zu machen, wäre bei unserer jungen Mannschaft das Falsche. Wir brauchen eher stärkere Hierarchien. Aber in Michaels Fall hat der Arzt eben am Spieltag nach der Kernspin gesagt: Vorsicht, der Muskel ist noch nicht in Ordnung, auch wenn Michael vielleicht nichts mehr spürt. Der Arzt hat gesagt, ein Einsatz sei ein hohes Risiko, und deshalb haben wir gesagt: Michael, nein!
SZ: Wenn man Sie über Taktik reden hört, drängt sich die Frage auf: Ist Deutschland überhaupt eine Klinsmannschaft? Oder ist es nicht eher eine Löw-Mannschaft?
Löw: Das kann man nicht beantworten. Diese Mannschaft ist ein Produkt gemeinsamer Arbeit.
SZ: Aber Sie sind ja nicht mehr der klassische Assistent. Zumindest ist in der Nationalmannschaft noch nie so viel über Taktik gesprochen worden.
Löw: Mir geht es darum, dass wir in Deutschland lernen müssen, im Training noch seriöser zu arbeiten. Das sind oft einfache Dinge: Wenn ich als Trainer sage, der Ball muss flach gespielt werden und er kommt in 30 Zentimeter Höhe angeflogen, dann ist das falsch. Dann muss ich sagen: Fehler, Übung nicht korrekt ausgeführt. Ich habe vor drei Jahren bei Barcelona hospitiert, und da gab’s eine Übung: Ein Abwehrspieler spielt einen 20-Meter-Flachpass ins Mittelfeld, ein Mittelfeldspieler nimmt den Ball an, aber natürlich nicht mit dem Rücken zum Tor, und spielt ihn direkt weiter in die Spitze, scharf und flach. Der Stürmer nimmt den Ball an, macht eine Finte und schießt. Wenn diese Aktion abgeschlossen ist, geht’s hinten wieder los, und das machen die hundertmal. Hundertmal! Und im Spiel kommt der Ball nicht auf die Brust oder ans Knie, sondern?
SZ: Flach.
Löw: Flach, genau. Wer hier die Spanier gesehen hat, weiß, was ich meine.
SZ: Kann man das so einfach auf Spieler von Hannover 96 oder Hertha BSC Berlin übertragen?
Löw: Wir versuchen das. Klar gab’s am Anfang der Vorbereitung mal das eine oder andere Problem. Wir haben den Spielern gesagt: Wir wollen das aber so, das ist unsere Vorstellung, und wenn wir verschieben, dann bitte nicht so, sondern anders. Wir sind von unserem Ansatz überzeugt, und deswegen arbeiten wir dran. Und ich glaube, dass die Spieler inzwischen mehr Fußball denken. Sie spielen weniger intuitiv, sie machen mehr Dinge bewusst. Und unterm Strich laufen sie dann in einem Spiel weniger und sparen mehr Kraft, als wenn sie vor sich hin kicken. Natürlich war unsere Fitness gegen Polen vor allem deshalb gut, weil wir daran viel gearbeitet haben – aber auch, weil wir strukturierter spielen. Das geht noch nicht immer, siehe Costa Rica, das war nicht immer diszipliniert, da war viel Überschwang und Nervosität. Aber im Prinzip wird das immer besser.
SZ: Sollte die deutsche Elf eine gute WM spielen, würde das auch Ihnen als Erfolg angerechnet. Ist diese WM Ihre große Karrierechance?
Löw: Ich fühle mich in der gegenwärtigen Konstellation sehr wohl. Mein Arbeitsbereich ist absolut zufriedenstellend, und ich habe Verantwortung.
SZ: Machen Sie Ihre Karriere von Jürgen Klinsmann abhängig oder haben Sie eigene Pläne?
Löw: In erster Linie mache ich meine Entscheidung von Jürgen abhängig. Ich habe erstmals in meinem Leben keinen Zukunftsplan. Die Situation ist eben so, dass erst nach der WM entschieden wird, und Jürgen wird mein erster Ansprechpartner sein. Wir werden uns fragen: Was wurde erreicht, wie geht’s weiter?

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