WM 2006
Gruppe G
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| Dienstag, 20. Juni 2006Verhöhnt
Nur 1:1 gegen Südkorea – Peter Heß (FAZ) verurteilt den französischen Trainer Raymond Domenech: „Vielleicht mag das Verhältnis der meisten Spieler untereinander in Ordnung sein. Sie kennen sich schließlich schon lange genug. Das französische Team gehört zu den ältesten des Turniers. Aber auch die Beziehung zum Trainer muß stimmen, um erfolgreich Fußball spielen zu können. Und in dieser Hinsicht herrscht seit Beginn der Zusammenarbeit ein Mangel. Domenech kam im Juli 2004 als Junioren-Nationaltrainer zu den Stars, er sollte den Umbruch mit jungen Spielern schaffen. Der Theaterfreund und Hobby-Astrologe versuchte mit einer unnahbaren Art seine Autorität aufzubauen: Mit gruppendynamischen Gesprächen zu nachtschlafener Zeit, mit kurzen Erklärungen, warum es jemand in die Mannschaft gebracht hat, und noch kürzeren, warum er wieder herausgeflogen ist. Die Medien verhöhnte er, indem er zugab, sich vor den öffentlichen Auftritten eine Rolle zurechtzulegen. Seine Aussagen spiegelten nicht seine wahre Meinung, sondern was er sich vorher ausgedacht habe. Wenigstens eine Journalistin nahm er immer ernst – seine Lebensgefährtin. Ihr gewährt er Exklusivinterviews und privilegierten Zugang zu seinen Spielern. (…) Französische Reporter konnten sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt den Medien in einem Punkt recht gegeben hätte.“
Öffentlicher Prozess
Michael Horeni (FAZ) verachtet Domenech für die Auswechslung Zinedine Zidanes beim Stand von 1:1: „Mit der Grande Nation fragt sich die gesamte Fußballwelt, ob diese traurige 90. Minute, in der Zinedine Zidane ausgewechselt wurde, tatsächlich der letzte Auftritt eines ihrer größten Helden gewesen sein sollte. Wenn es Frankreich nicht ins Achtelfinale schafft, war es das letzte Spiel für den gegen Togo gesperrten Fußball-Genius. Diesem Moment nicht gerecht worden zu sein wird Domenech wohl noch lange wie ein Fluch verfolgen. Eine sofortige Entlassung, sozusagen honoris causa, wäre eine zu geringe Strafe für das bittere Schlußbild, das Domenech zum möglichen Ende der Ära des großen Zidane geliefert hat. Es war ein trauriger Moment für den Fußball, nicht nur für Frankreich. Auch um den anderen galaktischen Weltstar der vergangenen Jahre steht es beim Pflichtprogramm der WM nicht viel besser. Ronaldo, wie Zidane über viele Jahre eines der Zentralgestirne des Fußballs, erlebte einen weiteren schweren Tag. Als er nach 72 Minuten den Platz für den jugendlich-frischen Robinho räumen mußte, wurde sichtbar, welch ungeheure Menge an Loyalität sein Trainer Parreira wird aufbringen müssen, um bei der WM weiter an Ronaldo festzuhalten. Die Schwerfälligkeit, mit der sich Brasilien durch die Vorrunde schleppt, trägt längst seinen Namen. Zidane raus! Ronaldo raus! Die Zeit der Galaktischen geht in diesen Tagen zu Ende.“ Stefan Osterhaus (NZZ) klagt über die Anmaßung Domenechs: „In Leipzig wohnten 43.000 Zuschauer einem öffentlichen Prozess bei, in dem Domenech Kläger und Richter gleichermassen war. Er senkte den Daumen, demontierte Zidane, den Weltmeister, den Europameister, den besten Mittelfeldspieler, den Frankreich je hatte. Wahrscheinlich war es sein letztes Spiel.“
Dissonanzen
Frankreich spielt, und Andreas Rüttenauer (taz) verzieht das Gesicht: „Frankreich hatte geplant, noch ein paar großartige Konzerte zu spielen. Das Turnier in Deutschland sollte die Abschiedstournee eines Ensembles werden, von dem jeder weiß, dass seine Zeit abgelaufen ist, dessen Musik aber noch in den Ohren vieler Fans nachklingen wird. Im ersten Spiel der WM haben sie den Ton nur allzu selten getroffen. Hochkonzentriert gingen sie ihren zweiten Auftritt an. Gegen Südkorea war es wieder zu sehen, jenes besondere Gespür für das Spiel. Das Orchester harmonierte, 45 Minuten lang lief das Spiel der Franzosen rund. Das Tempo war nicht hoch, es war wohl dosiert. Und dennoch war etwas anders. Die erste Geige wurde nicht mehr von Zinedine Zidane gespielt. Thierry Henry gab den Ton an. Und er war es auch, der am Ende am traurigsten darüber war, dass das Konzert trotz eines harmonischen Beginns mit vielen Dissonanzen endete.“ Frank Hellmann (FR) pflichtet bei: „Frankreich hat nicht nur den falschen Anführer, sondern scheint grundsätzlich fehlgeleitet; in der Personalauswahl, in der Spielweise. Es ist fatal, sich allein darauf zu verlassen, dass eine gute defensive Grundordnung und Klasseleute im Abwehrzentrum genügen, einen Vorsprung zu verwalten.“
Masochismus
Christof Kneer (SZ) stellt die Kennzeichen südkoreanischen Spiels heraus: „Vor vier Jahren, bei der WM im eigenen Land, haben sich die südkoreanischen Fans noch nicht so irritieren lassen vom Fußball. Sie haben sich selbst gefeiert, und am Ende hat der Stadionsprecher gesagt, dass sie gewonnen hatten. Immer wenn Korea spielt, erinnert man sich an 2002, aber es ist vieles anders geworden seitdem. Das beginnt bei der Mannschaft, die eine Lightversion jener heldenhaften Vorgängerelf ist, die es vor vier Jahren bis ins Halbfinale schaffte. Es war ein dominantes Gewusel damals, aber davon ist nur noch das Gewusel übrig geblieben. Immer noch lassen sie den Ball hin- und herkreiseln, aber zehn Kreisler sind ein paar zu viel. Es gibt keinen ordnenden Fuß in dieser Elf, keinen prägenden Spieler, und sie trauen sich auch deshalb nicht mehr so viel Angriffslust zu, weil sie sich nicht mehr so auf ihre Abwehr verlassen können. Vor vier Jahren haben sie ja extra die Liga ein halbes Jahr geschlossen und die Spieler vom heiligen Hiddink kasernieren lassen, und aus der Kaserne heraus kam ein Kollektiv, in dem jeder wusste, was der Nebenmann als übernächstes macht. Diesmal kamen die Wusler aus Wolverhampton, Manchester oder Japan angereist, aber eines hat ihnen auch diesmal keiner nehmen können: jene asiatische Gabe, 90 Minuten an die eigenen Grenzen zu gehen – egal, wie hoffnungslos die Lage ist. Diese Mannschaft hat mehr noch als ihr Vorgängermodell eine Geduld, die an Masochismus grenzt.“
Michael Reinsch (FAZ) schreibt über Koreas Fans: „Die Red Devils zeigten dennoch Bescheidenheit. Als der Morgen graute, räumten sie auf der Fan-Meile die leeren Flaschen und Hamburgerschachteln in die Mülleimer und zogen zum Hauptbahnhof. Nicht die Spieler sind die roten Teufel, obwohl sie nun schon bei der dritten WM in roten Trikots antreten. Die Fans waren es, die sich Mitte der neunziger Jahre den Namen geben – in Anspielung auf die koreanischen Junioren, die bei der WM 1983 das Halbfinale erreichten und als ‚rote Furien‘ in die Geschichte eingingen. Der frühdemokratischen Gesellschaft Südkoreas war die Farbwahl suspekt – rot hatte einen Anklang von Kommunismus und Nordkorea. Das änderte sich erst, als Verband und Mannschaft sich ihren Fans anschlossen. Mit ihrer Choreographie, ihren Gesängen und Tribünenbildern aus Pappschildern waren die Fans den Spielern wenn schon nicht voraus, so doch ebenbürtig an Engagement und Einfallsreichtum.“