Ball und Buchstabe
Instrument
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| Dienstag, 20. Juni 2006Thomas Kistner (SZ) fordert den Videobeweis in der Entscheidung über ein Tor und wundert sich über den Widerstand der Gegner: „Es mutet bizarr an, dass der Fußball in dieser Frage so zerrissen ist. Einerseits eine Milliardenbranche, die mit erkennbarem Vorsatz zur Ghettoisierung ihrer Konsumenten, der Fangemeinde, ansetzt. Andererseits ein letztes Traumreservat für menschliche Schwächen. Entsprechend inkonsequent wird mit dem Videobeweis verfahren, der zwar auch im Fußball längst angewendet wird, nur eben nicht dort, wo die gesamten Anstrengungen dieses Spiels ja allein hinzielen: in der Frage, ob der Ball die Torlinie überschritten hat. Es gibt Fragen, die sollten nicht Funktionären überlassen werden, sondern Fachleuten. Also nicht Leuten wie Fifa-Chef Blatter, der erst mit 39 Jahren in diesen Sport beruflich reinschnupperte, sich zu den Kernfragen aber trotzdem gern so äußert, als unterlägen sie nur seinem persönlichen Daumenzeichen. Der Ruf nach Hilfsmitteln wird von Experten erhoben, 2004 etwa regte Michel Platini die Einführung von Torrichtern an. Die Furcht vor dem unbestechlichen Auge eines Oberschiedsrichter ist eine Eigentümlichkeit des Fußballs. Sie fällt besonders auf in Zeiten, da die Schiedsrichter weltweit stärker in die Schlagzeilen geraten – mit Fehlern, die keineswegs Irrtümern entspringen und für die hierzulande der Name Hoyzer steht. Längst sind enorme Summen im Spiel. Wer da noch am Liebreiz des menschlichen Irrens festhält, ist ein Schwärmer. Oder er kalkuliert damit: Denn solange der Irrtum zum System gehört, bleibt er ein wunderbares Instrument darin.“
SZ: Hintergrund
Fanverarschung
Benjamin Henrichs (SZ) ärgert sich über Fanberichte: „Die Fanberichterstattung gehört bei dieser WM, wie bei jeder WM, zu den traurigen Tiefpunkten des Programms. Es sind immer die selben öden Szenen: Da steht ein armer Reporter, umringt, geschubst von entfesselten Fußballfans, und behauptet schreiend, dass ‚die Stimmung‘ hier bei den Fans absolut sensationell sei, und das schon in der Vorrunde! Hier geht die Post ab, hier ist der Bär los! Hier in Rio und erst recht hier in Görlitz. Der Reporter ist in Todesnot, der kreischende Fan gibt sein Bestes (denn er weiß, er ist jetzt auf Sendung), und nach ungefähr dreißig Sekunden ist die Posse vorbei. Der Fan hat seine Rolle als Pausenclown gespielt – und wir sind wieder zurück bei den bekannten Hauptdarstellern, beim knarzenden Netzer, beim säuselnden Kerner. Und wir fragen uns verzweifelt, wieso es immer noch Reporter gibt, die bei diesem Unsinn folgsam (oder sogar frohgemut) mitmachen. Und Redakteure, die Tag für Tag diesen Müll bestellen und in die Welt senden. Die Fanberichterstattung im WM-Fernsehen, wir wollen das jetzt einmal ganz fanmäßig formulieren, ist eine einzige Fanverarschung. Weil sie den Fan nur als brüllenden Statisten brauchen kann, als Fahnenschwenker und Maskenträger, nicht aber den Fan als Kenner und Liebhaber. Denn wenn man nicht die Bestie vor der Kamera mimen kann, dann hat man keine Chance im Fan-TV. Allenfalls als schöne Frau. Aber wer von uns ist das schon? Kurzum: Die Fans, die uns das Fernsehen zeigt, sind weniger Fans als fanatische Fan-Darsteller, gierig auf jene zehn Sekunden Unsterblichkeit, die ein Auftritt im Fernsehen angeblich bedeutet.“
taz: Netzer und Delling sind einfach nur noch Mitleid erregend
BLZ: Fußball bei RTL – Kritk an Littbarski, Lob für Geissen
taz: Bild gegen Manfred Breuckmann
BLZ: Die Weltmeisterschaft wird nicht nur in Schwarz-Rot-Gold gefeiert. Jeden Tag gibt es hier eine Völkerwanderung – mit Flaggen und Gesängen der Gäste
FR-Interview mit dem Kulturforscher Klaus Theweleit über das gemeinsame Brüllen im Stadion