Deutsche Elf
Aufgepaßt! Dies ist kein Laternenumzug!
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| Donnerstag, 22. Juni 2006Zwei Texte aus El País, die belegen, daß alte Stereotype über deutschen Fußball in Spanien tief verwurzelt sind – erstes Beispiel: „Es ist eine Phrase, eine von vielen, aber verdammt nochmal, sie stimmt einfach fast immer! Fußball ist ein Spiel elf gegen elf, und am Ende gewinnt Deutschland. Beinahe, zumindest. An ihrer WM hat Jürgen Klinsmanns Mannschaft trotz viel negativem Gerede drei von dreien gewonnen. So. Deutschland spielt außerdem zuhause, was erwiesenermaßen hilfreich ist (außer bei der lächerlichen Darbietung Spaniens in Spanien 82). Sie sind über den schnellen und überzeugenden Weg ins Achtelfinale gekommen. Und sie haben Leute ganz oben wie Klose, Neuville, Podolski oder Ballack. Es muß ganz klar mit ihnen gerechnet werden. So wie es normal ist, und wie es an der Mehrheit von uns Kritikern vorbeigegangen ist. Ich sehe sie zu allem bereit. Klar, sie sind Deutschland. Die ohne wenigstens Taba [ein Kinderspiel, d. Übersetzerin] gespielt zu haben ins Finale von Japan und Südkorea 2002 kamen – wie konnte mir das entgehen? Man muß eben jedes noch so kleine Detail erkennen.“
Auch der zweite Textausschnitt belegt die Mischung aus Respekt und Abneigung: „Deutschland geht mit denselben Waffen wie immer und großer Entschlossenheit durch diese WM. Eine Augenweide bieten sie nicht, nein. Ihr Spiel ist sehr mechanisch, wie das Räderwerk eines Fahrrads. Dennoch macht sie diese Einfachheit, dieser Pragmatismus, dieses Es-gut-machen zu einem der stärksten Kandidaten auf den Meistertitel. Rufen wir uns einmal die Titel in Erinnerung, die sie in Italien und bei der EM 96 errangen: ohne Glanz, ohne Schnörkel, aber schrecklich effektiv. Der deutsche Stürmer ist der treue Reflex seiner Mannschaft. Er scheint gar nicht da zu sein, aber in dem Moment, in dem er auch nur über die kleinste Chance verfügt, versetzt er den entscheidenden Schlag. Im reinen Tyson-Stil. Klose ölt die deutsche Maschinerie. (…) Wenn der Funke nicht übersprang, zeigte Michael Ballack seine Führungsqualität und sein Wissen darüber, daß über ihn diskutiert wird. Er baute auf und lenkte, um den Rest seines Teams brillieren zu lassen. (…) Freilich ein Spiel ohne Ahs und Ohs über seine Schönheit, mit der sich andere schmücken, aber dafür mit anderen, gleichwertigen Vorteilen. Die drei Siege der Vorrunde sind eine einfache Warnung: Aufgepaßt! Dies ist kein Laternenumzug! Wenn die deutsche Maschinerie zu rollen beginnt …“
Glaube
Turniermannschaft Deutschland, mythische Zauberworte – Michael Horeni (FAZ) spürt alten Wurzeln nach: „Die Kombination aus Siegen, vielen Toren, Teamgeist und einer riesigen Begeisterungswelle im Lande wirkt auf die Gegnerschaft nicht unbedingt beruhigend. Schweden und Engländer kämpften in ihrem Gruppenspiel bis zur allerletzten Minute, um nicht als Zweiter auf die Heimmannschaft dieses Turniers treffen zu müssen. Aus anderen Ländern sind inzwischen hochachtungsvolle Meinungsäußerungen zu hören. Vergessen erst einmal die zögerliche, fast erniedrigende Haltung der vergangenen Jahre. Als Rudi Völler bei der Europameisterschaft 2004 vor dem Abwehrbollwerk Lettlands warnte, gegen das etwas mehr Torgefahr ausgehen müsse, um ‚vielleicht‘ zu gewinnen. Bekanntermaßen schied die verunsicherte deutsche Mannschaft vor den K.-o.-Spielen aus -gegen die Letten stand am Ende ein zähes wie grausames 0:0. Oder als 2000 bei der EM ein indisponierter Erich Ribbeck den für das von Hochleistung geprägte Fußballgeschäft unmöglichen Satz sagte: ‚Ich hoffe, ich kann meinen Spielern begreiflich machen, daß es für uns gegen Portugal noch um sehr viel geht.‘ Wie nicht anders zu erwarten folgte damals das Debakel mit einem 0:3 gegen eine Ersatzmannschaft der Portugiesen und der absolute Tiefpunkt der deutschen Fußballgeschichte. Sechs Jahre weiter ist wieder ein Hauch zu spüren von ‚la Mannschaft‘ oder ‚die Mannschaft‘, wie die Franzosen oder Holländer in besseren Zeiten ehrfurchtsvoll der deutschen Fußballauswahl huldigten. Um wirklich zu einer Turniermannschaft zu werden, muß Klinsmanns Mannschaft erst einmal viele Spiele in diesem Turnier bestreiten. Die alte Tradition oder den alten Mythos würde ein Sieg im Achtelfinale weiter aufleben lassen, doch nicht gänzlich zurückbringen. Aber so vorsichtig derzeit Spieler und Trainer sich äußern, sie glauben zu spüren, daß eine große Chance vor ihnen liegt.“
Position der Stärke
Jan Christian Müller (FR) stellt Jürgen Klinsmann ein sehr gutes Zeugnis aus und vernimmt seine Kritik an der Bundesliga: „Es ist verblüffend, wie fehlerfrei der Jung-Trainer mit seinem umfangreichen Mitarbeiterstab bislang gearbeitet hat. Er gewann zum Eröffnungsspiel den Machtkampf mit Michael Ballack, ohne dass dieser erkennbare Schrammen davontrug; er wechselte gegen Polen perfekt aus und noch perfekter ein, er gab Lukas Podolski gegen Ecuador das Vertrauen, das der Junge brauchte und mit einem Tor zurückzahlte, er ließ den angeschlagenen Christoph Metzelder zuschauen und den zuvor auffällig miesepetrigen Robert Huth mitspielen, ehe dieser vom Lagerkoller erfasst worden wäre. Er demonstrierte Sebastian Kehl im Eröffnungsspiel und Gerald Asamoah in der letzten Vorrunden-Begegnung einfühlsam, dass sie nicht abgeschrieben sind. Er gibt sich sogar bei seinen öffentlichen Auftritten inzwischen wieder entspannter. Siege, man sieht das an Klinsmann, sind Balsam für die Seele. Nun kann der monatelang kritisierte Bundestrainer aus einer Position der Stärke argumentieren. Gestern ließ er durchblicken, dass er sich bei seiner Mission nicht ausreichend unterstützt fühlte. ‚Wir hatten es nicht einfach die letzten Jahre. Denn teilweise wurden unsere Nationalspieler in den Vereinen auf die Bank gesetzt. Wir haben sie durchgepusht.‘ In der Bundesliga, deren Manager inzwischen brav in die nationalen Jubelorgien einstimmen, wird man solche Worte sensibel zu deuten wissen. Klinsmann ist auch in der Stunde des Erfolges nicht daran gelegen, sich neue Freunde zu machen. Er hat das jetzt noch weniger nötig als je zuvor. Erstmals offenbarte er gestern, dass die vier Leistungstests, die auf seine Initiative hin zwischen September 2004 und Mai 2006 durchgeführt wurden, zu Ergebnissen geführt hätten, ‚mit denen wir nicht zufrieden waren‘.“
Vor dem break even
Philipp Selldorf (SZ) ehrt Klinsmanns Gelassen- und Bescheidenheit im Sieg: „Für Bundestrainer Klinsmann und seine Leute bestünde jetzt Gelegenheit, alle berufsmäßigen Nörgler und Besserwisser für ahnungslos und vogelfrei zu erklären. Aber dem negativen Reflex der ‚Genugtuung‘, der ein typisches Element für Akteure im kommerziellen Spitzensport ist, versagt er sich. Er liegt nicht in seinem Interesse, vielleicht auch nicht in seiner Natur – und schon gar nicht würde diese Art der Aggression in sein psychologisches Konzept passen. Unfrieden kommt darin nicht vor, deswegen befindet er sich seit der WM-Vorbereitung in einem Verhältnis harmonischer Neutralität zu allen notorischen Widersachern aus früheren Tagen (bis dahin ‚Feinde fürs Leben‘ genannt). Klinsmanns beinahe beiläufige Siegerlaune nach dem Sieg gegen Ecuador folgte kluger Einsicht in die Qualität der Herausforderung (‚dieses Spiel war kein Maßstab‘) und weiser Ahnung dessen, was bevorsteht.“ Peter Heß (FAZ) gibt zu bedenken: „So schön diese Weltmeisterschaft bisher für Deutschland verlaufen ist, gewonnen wurde noch nichts. Weder Klinsmann noch irgendein anderer leitender Angestellter des DFB könnte die WM als sportlichen Erfolg verkaufen, wenn Schweden der deutschen Kampagne ein Ende setzte. Erst mit dem Einzug ins Viertelfinale wäre das erreicht, was in der Wirtschaft break even heißt. Jeder weitere Triumph rechtfertigte dann das Lob, mit dem Klinsmann schon jetzt überschüttet wird.“
BLZ: Fitnesstests – Klinsmanns deutliche Kritik an den Bundesligavereinen
FAZ-Bericht und Fotostrecke vom 3:0-Sieg gegen Ecuador
faz.net: Zwischenzeugnis
FR-Portrait Arne Friedrich