indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Gruppe G

Oliver Fritsch | Freitag, 23. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Gruppe G

Einsamer Trainer

Frankreich fehle viel, am allermeisten ein guter Trainer, findet Ralf Itzel (StZ): „Wenn sie wenigstens einen starken Trainer mit klarer Linie hätten. Aber Domenech fährt einen Zickzackkurs. Nach der EM drängte er die Alten zum Rücktritt, was im Prinzip richtig war, doch ohne Eleganz passierte. Er setzte auf die Talente, und die Ergebnisse waren zwar nicht überragend, aber auch nicht schlecht. Trotzdem ruderte er zurück, stieß diesmal die Jungen vor den Kopf und reaktivierte drei Veteranen, die trotz ihm, nicht wegen ihm einwilligten. Gegen die Schweizer waren einige schlecht. Der Trainer hatte vorher gesagt: ‚Bei einer WM kann man nicht warten. Wenn einer neben sich steht, muss er beim nächsten Spiel auf die Bank.‘ Doch nichts geschah. Überraschendes fällt ihm nie ein. Oder doch: In der 90. Minute ersetzte er Zidane durch Trezeguet und verärgerte beide. Der Stürmer lächelte ironisch, als ihm der Kapitän die Binde hinhielt, und hatte dann in drei Minuten keinen Ballkontakt. Zidane blickte starr am Coach vorbei und warf sein Schweißband zu Boden. Domenech operierte vor dem Turnier mit einem 4-4-2-System, um bei der WM auf ein 4-2-3-1 zu setzen. Es fiel kein Tor. Warum stellte er nicht wieder um, obwohl einige Spieler das vorschlugen? Trezeguet forderte mehr Offensive, fragte, warum man nicht wie Brasilien auflaufen könne? ‚Wie Brasilien‘, sagte Domenech, ‚in Gelb?‘ (…) Um den Trainer wird es ist immer einsamer, keiner glaubt, dass er im Amt bestätigt wird. Außer Frankreich wird Weltmeister. Das ist immer noch möglich, rein theoretisch.“

Konservatives Land

Christian Tretbar (11 Freunde) analysiert die anhaltende Schwächephase Frankreichs: „Fußball ist in Frankreich mittlerweile zwar die Sportart Nummer eins. Doch Frankreich ist keine Fußballnation wie England, Brasilien oder Deutschland. Rugby, Petanque und vor allem Radsport waren lange beliebter. Erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Fußball populärer. Entscheidend dafür war die Generation um Michel Platini. Ihre Erfolge Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre haben dem Fußball einen Schub verliehen. Höhepunkt ihrer Generation war der Gewinn der EM 1984 – im eigenen Land. Doch die Franzosen konnten sich nicht von ihren Idolen trennen. Damals wie heute. Frankreich ist nun mal im Herzen ein konservatives Land. Änderungen gibt es nur unter Zwang. So warten alle, bis die Alten abtreten. Die Folge damals wie heute: eine Krise des französischen Fußballs. 1990 und 1994 konnten sie sich nicht für die WM qualifizieren und das, obwohl sie Spieler wie Eric Cantona und Jean-Pierre Papin hervorbrachten. Marseille gewann in dieser Zeit sogar den Europapokal der Landesmeister. Aber der Neuaufbau der Nationalmannschaft dauerte lang. Erst 1998 war es so weit. Es musste im eigenen Land passieren. Getragen von der Euphorie wurde Frankreich zum ersten Mal Weltmeister. Und seither scheint es, als wiege der Stern über dem Hahn auf dem Trikot zu schwer. Die Erwartungen sind seitdem fast ins Unermessliche gestiegen. Die ‚Grande Nation‘ tut sich schwer damit, ihren Status wieder herzugeben – im Fußball nicht anders als in der Politik. Fußball wird seit dem Gewinn der ‚Multikulti-Mannschaft‘ 1998 zudem mit gesellschaftlicher Symbolik überfrachtet. Nach dem Sieg 1998 gab es drei neue Nationaltrainer, und wieder hat es keiner vermocht, einen echten Neuanfang zu wagen. Wieder warten sie, bis die alten Stars von alleine gehen. Das hat nicht nur zur Folge, dass die Jungen nicht nachrücken können, sondern auch, dass sie sich nicht mehr weiterentwickeln. Was nützt da eine gute Ausbildung? Fußball verläuft in Frankreich nie kontinuierlich, sondern immer zyklisch. Das war nach der Ära Platini so, als Frankreich direkt von einem großen Hoch in ein tiefes Loch fiel, und es ist auch jetzt beim Abschied der Ära Zidane so.“

Vertrauenskrise

Jürg Altwegg (FAZ) ergänzt: „Das Spiel der ‚Bleus‘ ist so orientierungslos wie die französische Politik, und der Fußball, der keine gesellschaftlichen Probleme löst, ist der gültige Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse geblieben. Domenech selbst verkörpert die lähmende Verfilzung von Macht und Medien. Seine Frau ist Fernsehjournalistin und hat einen bevorzugten Zugang zu den Spielern. Zusammen machen sie Nebengeschäfte. Ein früheres intimes Verhältnis von Frau Domenech mit Gregory Coupet, dem Torhüter, soll der Grund sein, daß dieser nur die Nummer zwei hinter Fabien Barthez wurde – der zudem auch die Unterstützung seiner WM-Kollegen von 1998 hatte. Die Elite des Fußballs wurde wie jene der Politik nicht erneuert und ist dem Volk fern und fremd geworden. In Stuttgart waren die französischen Fans sehr viel weniger zahlreich und auch leiser als jene aus der Schweiz. Beim Spiel gegen Südkorea war das Mißverhältnis noch bedeutend größer. Der Soziologe Christian Bromberger macht eine ‚Vertrauenskrise‘ zwischen den Fans und der Nationalmannschaft aus. Sie entspricht jener in der Politik. Die aufständischen Jugendlichen in den Vorstädten verspotten ihre einst vergötterten Idole und Hoffnungsträger. Während der Eröffnungsfeier machten die Kommentatoren des Privatsenders TF1 anzügliche Sadomaso-Witze über die Lederhosen. Inzwischen erkennt man in Deutschland eine ganz ähnliche Dynamik, wie sie 1998 Frankreich zur Weltmeisterschaft antrieb. Der historische Heimvorteil spricht diesmal für Deutschland, das nun auch Spieler mit polnischer Muttersprache und schwarzer Hautfarbe in ‚la mannschaft‘ integriert und wie Frankreich 1998 einen Kontrapunkt zur Geschichte setzt.“

taz: Erreicht Südkorea das Achtelfinale, würden die Spieler vom Militärdienst befreit

BLZ: Kapitän Johann Vogel ist der effiziente und unverzichtbare Organisator im Spiel der Schweizer Nationalmannschaft

Gruppe H

BLZ: In der Ukraine ist der Fußball mit politischen Inhalten überfrachtet, die Akteure werden mitunter zu Wahlkämpfern erhoben

FR: Englische Kampfkraft tut Spanien gut – Fußball-Profis bringen von der Insel Tugenden mit, die das Team von Aragonés soweit wie nie zuvor bei einer WM bringen sollen

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