Ball und Buchstabe
Egozentrik
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| Samstag, 24. Juni 2006Unter dem Titel „Menschenfeind“ – Peer Schader (FAZ/Medien) ist von Oliver Pochers WM-Sendung angewidert: „Mag ja sein, daß es ganz originell ist, während der Fußball-WM durch das Land zu reisen und sich gemeinsam mit ganz normalen Menschen die Spiele anzugucken: in Kleingartensiedlungen, auf Feuerwachen, in der Hotelküche. Beim Sender haben sie nur übersehen: Pocher ist der falsche Mann dafür. Er kann nicht mit Menschen umgehen, er kann sich bloß über sie lustig machen. Nirgendwo ist das offensichtlicher als bei ‚Pocher zu Gast in Deutschland‘, das Pro Sieben tatsächlich live sendet, was Pocher dazu nutzt, während der Sendung bei wildfremden Leuten zu klingeln, den Fernseher einzuschalten und seine Opfer damit zu erschrecken, daß man ihr Wohnzimmer gerade im Fernsehen sieht. Den Rest kann man sich schenken: Pocher macht Ratespielchen mit gelangweilten Zuschauern, Pocher verschenkt CDs, auf die er einen Fußball-Song gegrölt hat, Pocher nimmt ein Bad in der Menge. Soviel Egozentrik stört nicht nur, man müßte sie verbieten. Zumindest während der WM. Was sollen nur die Gäste denken?“
Klinsmann kann uns die Türken repräsentieren
taz-Interview mit dem Filmemacher Neco Çelik über den neuen Patriotismus der Deutschtürken
taz: Was ist bloß in den türkischen Communities passiert?
Çelik: Ja, unglaublich! Ich bin auch überrascht. Bei der letzten WM war es völlig normal, für die Türkei zu sein – aber das fühlt sich weit weg an. Wahnsinn, wie alle für Deutschland jubeln.
taz: Woher kommt die plötzliche Begeisterung?
Çelik: Ich glaube, das liegt an Jürgen Klinsmann. Dieser Mann strahlt eine Sympathie aus, die sogar den Türken auf der Straße erreicht. Rudi Völler verkörperte noch den Deutschen von nebenan, die Mannis oder Kalles. Deshalb fanden ihn die Deutschen ja so toll. Türken dagegen hatten das Gefühl: Der kann uns nicht repräsentieren. Bei Klinsmann ist das anders.
taz: Womit spricht er denn die Türken an?
Çelik: Er ist ein Held, der sich gegen die Reaktionäre beim DFB erhoben hat, der in Kalifornien lebt und sein Ding macht, der den Kahn vom Thron gestoßen hat …
taz: … die ewige Torwart-1 Oliver Kahn, der ja auch für den Urteutonen steht?
Çelik: Unter anderem, ja. Aber Kahn steht auch für etwas, das absolut nicht zu ändern war. Bis Klinsmann kam. Genauso wie er Odonkor hervorgeholt hat, also den jungen Leuten und den Migrantenkindern eine Chance gab.
taz: Das ist schon die Erklärung für all die Fähnchen an Döner-Buden und Autos?
Çelik: Nicht nur. Entscheidend ist, dass die WM in Deutschland stattfindet und die Immigranten sich plötzlich als Gastgeber fühlen.
taz: Warum lachen Sie? Weil Türken schon immer die besseren Gastgeber waren?
Çelik: Ja, das ist ein wenig absurd. Aber schön. Auch Deutschtürken fühlen sich angesprochen von dem Motto ‚Zu Gast bei Freunden‘, und das ja zu Recht. Selbst wenn wir uns lieber lokal definieren – ich bin eben Berlin-Kreuzberger – repräsentieren wir ein anderes Deutschland. Und das aus eigenem Selbstbewusstsein heraus, nicht weil es jemand angeordnet hätte.
taz: Welches Interesse haben denn die Jugendlichen, etwa auch die gute Gastgeberrolle?
Çelik: Ehrlich gesagt, ich hätte nicht gedacht, dass sie jetzt Deutschlandfähnchen an ihre aufgemotzten BMWs stecken – und davon nicht nur eine oder zwei. Ich glaube, das ist eher ein Trendphänomen. Nach dem Motto: Ah, Ali hat eine Fahne, dann will ich auch.
taz: Mit Nationalgefühl hat das Ganze demnach nichts zu tun.
Çelik: Nationalismus spielt keine Rolle.
taz: Was halten Sie von den Interpretationen, dass das ein Zeichen des Integrationserfolges sei?
Çelik: Ach, Blödsinn. Das Schlagwort Integration, das ist eh für den Arsch. Die Politiker haben vierzig Jahre nichts dafür getan. Dabei könnten Türken hier Berge versetzen, man muss sie nur ansprechen. Das passiert bei der WM.
taz: Diedrich Diederichsen über die WM-Party
NZZ-Interview mit Klaus Theweleit („Tor zur Welt“) über die Risiken des WM-Patriotismus
FR: Über die Schwäche Afrikas
SZ: Alles läuft streng nach Plan, wie am Reißbrett eines Organisationsweltmeisters entworfen. Keine besonderen Vorkommnisse, überraschend nur, dass es keine Überraschungen gibt
FAZ-Interview mit Michel Platini
FR: Allzu große Einkommensunterschiede drücken angeblich auf die Leistung von Fußballspielern, wie eine aktuelle Studie von Schweizer Wissenschaftlern zeigt