Am Grünen Tisch
Inkompetenz
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| Dienstag, 4. Juli 2006Die deutschen Zeitungen wissen nicht so recht, was sie von der Sperre halten sollen, kritisieren aber im Einklang die Fifa für ihr Verfahren, weniger für die Strafe selbst.
Inkompetenz
Peter Heß (FAZ) stört sich an der Chronologie der Urteilsfindung: „Die Fifa hat sich bis auf die Knochen blamiert. Obwohl die Suche nach der Gerechtigkeit das höhere Gut ist als die Befindlichkeit des Täters, muß ein Sportverband alle Möglichkeiten ausschöpfen, die Suche nicht unnötig zu verlängern. Die Fifa hätte Klinsmann und seinen Spielern eine Menge Ungewißheit ersparen können, wenn sie die Tumulte nach dem Elfmeterschießen systematisch untersucht hätte. Dabei war die Beweisaufnahme ein leichtes.“ Ralf Köttker (Welt) fügt hinzu: „Wahrscheinlich hat die Fifa auch deshalb ein für alle Seiten akzeptables Urteil gefällt, um vom eigenen Dilettantismus abzulenken. Was gestern verhandelt wurde, hätte schon viel früher entschieden sein können, wenn die Funktionäre nicht so schlampig gearbeitet hätten. Das Verfahren wurde voreilig abgeschlossen, es vermittelt Inkonsequenz. Vor allem zeigt es die Inkompetenz der Disziplinarkommission.“
Im Zweifel für den Angeklagten
Auch Mathias Schneider (StZ) hält den Spruch für einen faulen Kompromiß: „Die Fifa hat entschieden. Und doch ist es keine echte Entscheidung. Sie hat nur ein Urteil gesprochen. Die Sperre gegen Frings mutet wie der Versuch an, einerseits nicht mit zweierlei Maß zu messen, andererseits aber auch eine Lappalie nicht unverhältnismäßig zu sanktionieren. Heraus kam ein Kompromiss, der keinem gerecht wird.“ Philipp Selldorf (SZ) kann der Urteilsbegründung nicht folgen: „Die Entscheidung besteht im Kern aus einem Widerspruch. Entweder handelt es sich um eine Tätlichkeit, die den schlechten Vorsatz bedingt. Dann müsste die Strafe härter ausfallen. Oder es wird – zumal bei Betrachtung und Anrechnung der chaotischen Umstände – eine erhebliche Provokation anerkannt. Dann müsste Frings wegen geringer Schuld freigesprochen werden.“ Christian Gödecke (SpOn) bringt es auf den Punkt: „In diesem Fall hätte eines der ältesten Rechtsprinzipien zur Anwendung kommen müssen. Im Zweifel für den Angeklagten.“
Frank Hellmann (FR) faßt zusammen: „Der Fall wirft ein schlechtes Licht auf die Fifa. Noch am Sonntag hieß es zunächst, kein deutscher Spieler habe eine Strafe zu erwarten. Wenn eine 19-köpfige Kommission Untersuchungen für abgeschlossen erklärt, wo doch längst nicht alle Bilder ausgewertet worden waren, ist das schlicht fahrlässig. Die Fifa hat sich nun in ein Urteil nach vertrackter Gemengelage geflüchtet: Das deutsche Lager ist aufgebracht, und das Ausland erhält nicht den Eindruck, dass der Gastgeber ähnlich bevorteilt wird wie vor vier Jahren, als die Schiedsrichter oft die Südkoreaner begünstigten.“
Vertretbar
Allein Jürgen Schmieder (sueddeutsche.de) stimmt der Strafe, wenn auch mit Bedauern, zu: „Seine Absichten waren wahrscheinlich die besten. Menschlich ist sein Eingreifen nachvollziehbar. Wer würde nicht einen Kameraden verteidigen, der eben auf die übelste aller Arten von einem gegnerischen Spieler angegriffen wurde? (…) Frings hat eine Tätlichkeit begangen. Für seine Kollegen kann in diesem Moment nur gelten: Jetzt erst recht. Dennoch ist die Entscheidung der Fifa vertretbar. “
Schlachtengemälde
Ein Versuch, die Gemüter zu beruhigen von Philipp Selldorf (SZ): „Nein, so weit bekannt, hat kein italienischer Offizieller oder Nationalspieler eine Strafe für Frings gefordert. Und nein, die Deutschen werfen den Italienern auch nichts dergleichen vor. Und nein, die deutschen Fußballer werden sich keineswegs bewaffnen vor der Begegnung mit den Italienern. Es ist daher auch überhaupt nicht nötig, dass sich die Fans aus beiden Lagern mit Bratwürsten und Pizzastücken bewerfen.“ Gleichzeitig weist Selldorf auf die Wirkung der Prognose des deutschen Nebenaußenministers hin, die Italiener würden wegen des Manipulationsskandals nicht lange in Deutschland verweilen: „Beckenbauers arglos geäußerte Meinung entwickelte in der italienischen Fußballöffentlichkeit eine beachtliche, ausschließlich giftige Wirkung. Eine gezielte Gemeinheit des Deutschen wurde unterstellt und der perfide Versuch, den Titelkonkurrenten zu schwächen.“
Markus Völker (taz) rechnet mit dicken Schlagzeilen: „Man muss nicht fantasiebegabt sein, um sich auszumalen, wie der Boulevard auf diese Nachricht reagiert. Von einer Intrige der Italiener wird die Rede sein. Die deutsche Mannschaft, die den Globus wieder in Schrecken versetzt (Oliver Bierhoff: ‚Die Welt hat Angst vor uns‘), sei absichtsvoll geschwächt worden. (…) Warum wird vorm Halbfinale in grellen Farben ein Schlachtengemälde gezeichnet? Warum sprießen aus dem Boden, den unter anderem die ‚positiven Patrioten‘ bestellt haben, Vorurteile, giftige Keime, gegen die auf dem Fußballplatz kein Kraut gewachsen ist? Liebe Fifa, wie wäre es mit einer Kommission zur Klärung dieser Fragen? Sepp Blatter, ermitteln Sie!“
FR: Der Fall Frings, Stoff für Verschwörungstheorien
Hintergrund (FR)
Hintergrund (SZ)
BLZ: Die Fifa, der Verlierer
FR-Interview mit Per Mertesacker über sein Image und die Tritte gegen ihn
NZZ: Italiens Coach Lippi wehrt sich gegen Polemik, die Italiener hätten die Bestrafung Frings‘ gefordert
taz: Die Bild-Zeitung ist Fußball, und Fußball in der Bild-Zeitung, das ist
Alfred Draxler. Aber diese WM ist für ihn so schwer wie keine zuvor