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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Banditen gehören zum Fußball, Engel in den Himmel

Oliver Fritsch | Mittwoch, 5. Juli 2006 Kommentare deaktiviert für Banditen gehören zum Fußball, Engel in den Himmel

Thomas Klemm (FAZ) kommentiert den Stilwechsel der Portugiesen: „Was ist bloß aus den Portugiesen geworden? Wo sind sie hin, die Fußballkünstler, die sich am eigenen Können berauscht und die Welt mit ihren Kabinettstückchen begeistert haben, aber immer, wenn es wirklich darauf ankam, in ihrer Schönheit gescheitert sind? Einen Spieler wie Cristiano Ronaldo, der viel für sich und das Publikum und ein bißchen für die Mannschaft spielt, kann sich die Selecão noch immer leisten. (…) Die meisten Angriffe werden von fünf Offensivspielern inszeniert, die das gewohnte Kurzpaßspiel pflegen, während der Rest des Teams vorwiegend mit der Sicherung nach hinten beschäftigt ist. Wenn sich doch einmal mehr Spieler in die Offensive einschalten, werden sie von Scolari zurechtgewiesen.“ Peter Burghardt (SZ) fügt hinzu: „Kaum jemand verliebt sich in diesen Stil, wirklich mitreißend wie zwischenzeitlich Argentinien oder einst die Brasilien spielt das Ensemble selten. Scolari war selbst kein sonderlich begabter Freund des Balles, sondern ein eisenharter Verteidiger, Grätschen und Bodychecks findet er bei Bedarf so gut wie einen Hackentrick oder Pass mit dem Außenrist. ‚Banditen gehören zum Fußball, Engel in den Himmel‘, dozierte er einmal – er hat keine Lust, den Erfolg in Schönheit sterben zu lassen. Zu seinen Leitfäden gehört kein Beitrag von Konfuzius, sondern das Werk ‚Die Kunst des Krieges‘. Nach der Schlacht gegen Holland mit den vier Platzverweisen verwies Scolari genüsslich auf Umgangsformen auf südamerikanischen Plätzen. Beim Üben lässt er schon mal Rugby spielen.“

Respektabstand

Roland Zorn (FAZ) zeigt, wo man doch noch was zu sehen bekommt: „Das Publikum ist beglückt, daß es jenseits der manchmal allzu ernsthaft geführten Systemdebatten noch einmal Spieler zu sehen bekommt, für die niemand den Fußball studiert haben muß. Die Extraqualität des Pirouettenkönigs Zidane setzt sich in jedem System und unter jedem Trainer – auch dem umstrittenen Raymond Domenech – durch; der Sonderklasse des Aufreißers Figo, der den rechten Flügel der Portugiesen mit seinem Raffinement stark macht, kann auch sein Alter noch nichts Entscheidendes anhaben. Beide genießen zudem oft genug den Respektsabstand ihrer Gegenspieler, die ihnen nur selten so in die Quere kommen, daß es ihnen weh tut.“

Es war prächtig und elegant

Tabubruch – Thomas Kilchenstein (FR) beschönigt das grobe Foul Decos gegen den Holländer Johnny Heitinga im Achtelfinale: „In dem bislang hässlichsten Spiel dieser WM hat es eine Szene gegeben, die viel aussagte über den Spieler Anderson Luis de Souza. Heitinga hatte den Ball nach einer Unterbrechung nicht, wie es mittlerweile in solchen Fällen üblich ist, zurück an die Portugiesen gespielt, sondern einen eigenen Angriff eingeleitet. Da hat Deco, ein Zeichen gesetzt, und den Holländer mittels Blutgrätsche an ein gewisses Maß an Fairness erinnert. Deco sah dafür gelb, dunkelgelb eigentlich, aber es zeigte eines: Deco, der filigrane Spielmacher des portugiesischen Halbfinalisten, kann – anders etwa als Ronaldinho oder der mittlerweile weise gewordene Zidane –, wenn es sein muss, auch zum Säbel greifen. Und unangenehme Jobs erledigen.“

Auch Ronald Reng (FTD) verfaßt eine Ästhetik des Fouls: „Die Wahrheit, die sich fast niemand auszusprechen traut, ist diese: Es war prächtig, es war elegant, es war mitreißend. Und es war ein Foul. Gut zehn gelbe Karten waren schon verteilt, die Auseinandersetzung wurde immer niederträchtiger mit Ellenbogenchecks und Kopfnüssen, als Deco die Ehre des Foulspiels rettete. Heitinga brach einen Ehrenkodex des Fußballs, als er den Ball nicht zurückspielte, nachdem Portugal ihn ins Aus getreten hatte, damit ein Spieler behandelt werden konnte. Deco jagte Heitinga über den halben Platz, um ihn schließlich mit einem fliegenden Tackling von den Beinen zu holen. Deco hatte Glück, dass der Schiedsrichter es bei einer Verwarnung beließ, schon klar; aber wer war, wenn er ehrlich ist, nicht angetan von der Schönheit der Unfairness? Dieses Foul war so kraftvoll, so elektrisch. Deco macht aus einfachen Dingen Schönheit.“

if: Nehmen wir mal an, der Italiener Gattuso hätte so ein Foul begangen: Was hätte er alles zu lesen bekommen? Und ob Zidane tatsächlich nicht grätschen kann …?

BLZ: Luis Felipe Scolari hat Entertainer-Qualitäten

FR: Scolaris Zukunft ist noch offen

Welt-Portrait Luis Figo

BLZ-Portrait Deco

Das Zentralmassiv des Fußballs

Christian Eichler (FAZ) würdigt den unauffälligen Arbeiter im Mittelfeld der Franzosen, Claude Makelele: „Er wurde nie ein großer Star. Aber etwas viel Besseres: einer, dessen Name zum Begriff wurde, für die beispielhafte Klasse auf einer bestimmten Position. So sagte Thierry Henry einmal über den Arsenal-Kollegen Gilberto: ‚Er ist unser Makelele.‘ Und Trainer in England fordern gern: ‚Wir brauchen einen Makelele.‘ (…) Claude Makelele ist der WM-Star mit der Tarnkappe. Der Mann, der unsichtbar alles zusammenhält. Wieviel das wert ist, sahen sie in Madrid – aber erst, als er weg war. Mit ihm gewann Real Titel in Serie, auch die Champions League. Dann war er nicht mehr mit einem Viertel des Salärs der großen Stars zufrieden. Real-Präsident Perez schickte ihn weg, Chelsea nahm ihn mit Kußhand. Es war, neben Reals Kauf von Beckham anstelle von Ronaldinho im selben Sommer 2003, die dämlichste Personalentscheidung des Jahrzehnts in Europas Top-Fußball. Man hatte den einzigen, der den ‚Galaktischen‘ noch Bodenkontakt gegeben hatte, abserviert. Seitdem hat Real nichts mehr gewonnen.“ Für Oliver Trust (StZ) darf man das Mittelfeld der Franzosen nur im Kollektiv betrachten: „Es ist ein wenig verwegen zu behaupten, Patrick Vieira wäre alleine gar nicht zu beschreiben. Trotzdem stimmt es, zumindest bei dieser WM. Vieira ist nicht allein, er gehört zu einem Trio, das als Kraftwerk der Equipe tricolore gilt. Zinedine Zidane gehört dazu. Dann ist da Claude Makelele. Und mittendrin Vieira, der mit Makelele das Zentralmassiv des Fußballs in Frankreich bildet. Oder anders ausgedrückt: die beiden gehören zu den besten Mittelfeldformationen, die die Branche zurzeit zu bieten hat. Und sie bilden die Grundlage dafür, dass der Zauberer ‚Zizou‘ weiter vorn seine Festspiele veranstalten kann.“

FR-Portrait Claude Makelele

FR-Portrait Fabien Barthez

NZZ-Portrait Zinedine Zidane

Welt-Portrait Zinedine Zidane

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