Ascheplatz
Doppelmoral
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| Mittwoch, 9. August 2006Werbung mit privaten Wettanbietern – ein spannendes, vertracktes und großes Thema für die Fußballmedien, nicht nur wegen des Sommerlochs. „Ein Konflikt mit Ansage“ schreibt die FAZ der DFL und der gesamten Branche ins Stammbuch; das Bundesverfassungsgericht, dessen Urteile auch für die Fußball-Bundesliga gelten (das ist die wundersame Nachricht hinter der Nachricht), hat Ende März entschieden, daß das staatliche Wettmonopol nur dann zu garantieren und gerechtfertigt ist, wenn der Staat zum Zweck der Suchtprävention die Werbung für die staatlichen Anbieter Oddset, SKL und Co einschränkt. Doch diesen Spruch haben die Fußballbranche und auch Bwin (früher Betandwin) mal Papier sein lassen; so wirbt die DFL auf ihrer Website weiter mit Bwin. Die Politik ist noch zu keiner einheitlichen Lösung gekommen, am empfindlichsten reagiert Bayerns Ministerpräsident Sotiber. Bei 1860 München steht nun die Staatsanwältin auf dem Trainingsgelände und verlangt, die Trikots mit dem Schriftzug des Werbepartners im Ballschrank zu lassen.
Die Presse kommt zu einem uneinheitlichen Urteil. Klaus Ott (SZ) befaßt sich mit dem Vorgehen Bwins und kritisiert den Profifußball wegen seiner Ignoranz: „Es war ein durchschaubares Manöver. Das Wettunternehmen wollte Fakten schaffen und politisch Einfluß nehmen. Das Kalkül lautete schlicht und einfach: Die Stadt Bremen und der Freistaat Bayern, deren Politiker sich gerne auf den Tribünen zeigen, werden doch nicht gegen ihre Klubs vorgehen. Tun sie aber doch, und nun sind manche Klubs und Verbände unnötig in Not. Es wäre besser gewesen, abzuwarten und sich mit anderen Sponsoren zu begnügen, bei denen die Euros vielleicht nicht ganz so locker sitzen, statt der Verlockung des schnellen Geldes zu erliegen. Es ist ja noch lange nicht abzusehen, wer am Ende die Gewinner und Verlierer in der Zocker-Branche sind.“ Frank Hellmann (FR) stimmt ein und erkennt die „Strategie eines Zockers: Fakten schaffen, Stärke zeigen.“
Jörg Hahn, Sportchef der FAZ, bezichtigt die Fußballer des Egoismus, da die Forderung, den Werbemarkt freizugeben, eine Reduzierung der Sportförderung zur Folge hätte: „Trotz vielfältiger Warnungen sind Vereine mit umstrittenen Unternehmen Sponsorenverträge eingegangen. Deutlich geworden ist ein weiteres Mal, daß der (Profi-)Fußball Interessen verfolgt, die dem übrigen organisierten Sport schaden. Jeder neue Wettanbieter schmälert in der jetzigen Situation die staatlichen Erlöse und damit die Mittel für die Sportförderung. Ohne diese Mittel würde das deutsche Sportsystem kollabieren, in öffentlichen Kassen findet sich dafür kein Ersatz.“ Hintergrund dieser Kritik: Die staatlichen Sportwetten führen einen Teil ihres Ertrags als Subvention an den weniger populären Sport und an den Breitensport ab, was ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber privaten freilich mindert.
Wer Bwin bisher nicht kannte, hat es jetzt kennengelernt
Hat die DFL die Vereine schlecht beraten oder ist sie schlecht beraten worden?, fragt die FR: „Die DFL ist an der Entwicklung nicht unschuldig. Hat sie doch die Profiklubs vor nicht allzu langer Zeit wissen lassen, daß einer Zusammenarbeit ‚mit Anbietern, die eine Gewerbeerlaubnis aus der ehemaligen DDR besitzen, nichts im Wege stehe‘. Hintergrund: Bwin vermarktet im Auftrag der DFL sogar die TV-Auslandsrechte. Logisch, daß sich der Dachverband hinter seinen Partner stellt.“
Manfred Müller, Marketing-Chef von Werder Bremen, verweist im Interview mit der FR auf die Absurditäten, die auf den Fußball zukommen würden, wenn Teile der deutschen Politik ihre Forderung nach einem Werbeverbot mit privaten Wettanbietern durchsetzen würden: „Wir müssen uns mit der Politik auseinandersetzen, weil fast jeder Bundesliga-Verein betroffen ist. Dazu 14.000 Amateurvereine, die Trikots von Bwin tragen wollen. Wenn einem 70jährigen einer Alte-Herren-Mannschaft das Jersey weggenommen wird, da fehlen einem die Worte. Dann läuft was falsch. Außerdem spricht das europäische Recht für uns, das eine Liberalisierung des Wettmarktes anstrebt: Was will das Land Bayern tun, wenn Bayern München in der Champions League gegen AC Mailand spielt? Die tragen auch Bwin auf der Brust.“ Müller verweist zudem auf die Aufmerksamkeit für seinen Partner: „Wenn wir diese Saison in Heimspielen den Werbeaufdruck tragen dürfen und vor jedem Auswärtsspiel gibt es eine große Diskussion, dann ist das beste Werbung für den Sponsor. Was im Moment abläuft, kann doch für Bwin nicht besser sein: Wer sie bisher nicht kannte, hat sie jetzt kennengelernt.“ Die SZ ergänzt: „Das Bundesland Bayern profitiert von staatlichen Wettfirmen wie Oddset – und verbietet TV-Sendern nun Spots privater Konkurrenten: Doppelmoral.“
Die taz holt sich rechtlichen Rat: „Für den Juristen Bernd Berberich, der über Glücksspielrecht promoviert hat, ist ‚das staatliche Vorgehen gegen private Anbieter ein Kampf gegen Windmühlen‘. Nach seiner Schätzung sollten die staatlichen Stellen erkennen, daß ein staatliches Monopol auf dem Glücksspielsektor nicht effektiv zu verwirklichen sei. Dies zeige allein das Internet-Glücksspiel, ein seit Jahren boomender Markt, der staatlich nicht zu kontrollieren sei. Sinnvoller als juristisch aufwendige Scharmützel mit privaten Wettanbietern sei es daher, das staatliche Monopol zu verabschieden und möglichst schnell den Markt zu liberalisieren. Nur so könne der Staat vermeiden, daß das Geld aus dem Angebot von Glücksspielen vollends an leeren staatlichen Kassen vorbeilaufe. Aber auch eine Bekämpfung der Spielsucht könne nur über eine Regulierung – und nicht Reglementierung – des Markts gelingen.“
Inländerdiskriminierung
Der DSF-Geschäftsführer Rainer Hüther droht in der FAZ mit der Möglichkeit, daß das DSF, Werbepartner von Bwin, Deutschland verlassen könne: „Die Standortpolitik der bayerischen Landesregierung erinnert mich derzeit mehr an Vertreibungspolitik. Wir hatten als Sender deutlich erklärt, daß wir in München bleiben wollen. Jetzt aber sind wir mit Repressalien konfrontiert, die einen klaren Wettbewerbsnachteil darstellen. Diese Repressalien bestehen darin, daß die bayerische Landesregierung dagegen vorgehen will, daß wir Werbeeinnahmen durch die Bewerbung von Sportwettenanbietern erzielen. Lizenzen, Wetten betreiben zu dürfen, wie sie der private Anbieter Bwin hält, sind rechtskräftig. Und es gibt kein Gericht, das jemals entschieden hätte, ob die bundesweite Bewerbung dieser Wetten rechtswidrig wäre. Deshalb können wir nicht erkennen, daß es eine eindeutige Rechtsgrundlage dafür gibt, diese Werbung zu untersagen. Es wird unter dem Deckmantel der Suchtprävention versucht, das Staatsmonopol aufrechtzuerhalten. Um Suchtprävention geht es schon lange nicht mehr. (…) Gehen Sie davon aus, daß wir durch die Inländerdiskriminierung – angesichts der Tatsache, daß unserer Mitbewerber Eurosport Sportwetten bewerben darf – einen eklatanten Standortnachteil haben, den es in anderen Bundesländern nicht gibt. Daher überlegen wir uns massiv, ob es nicht richtig ist, den Standort zu wechseln. Und es liegen uns tatsächlich mehrere schriftliche Angebote von anderen Ländern vor. Am Ende geht es schließlich um Arbeitsplätze. Wir haben moderne, zukunftssichere Arbeitsplätze; wir beschäftigen zweihundert Mitarbeiter, dazu kommen noch einmal zwei- bis dreihundert freie Mitarbeiter. Fernsehmedien sind standortpolitisch interessant. Doch das scheint Bayern mittlerweile anders zu sehen.“
Einen qualifizierten Kommentar vernehmen wir von Stefan Reuter, Manager von 1860 München. Angesprochen auf das Münchner Trikotproblem rückt er die Dinge zurecht: „Viel wichtiger ist, daß die Trikots schön aussehen.“
FR: Hintergrundbericht über den neuesten Stand der Dinge
FR: Die privaten Wettanbieter wehren sich
WamS: Werbung mit Bwin sorgt für Unruhe vor dem Saisonstart
FR: In Bayern trifft nun sogar Amateurvereine der Mißmut der Staatsanwaltschaft
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts
Auswirkungen der Entscheidung des BVerfG auf den deutschen Wettmarkt – Analyse von MECN, einem Expertennetz, das sich auf Probleme und Fragen der Medien- und Unterhaltungsindustrie konzentriert (pdf)