Bundesliga
WM-Euphorie verflogen, Nürnberg kann oben mitspielen, HSV ohne Stützräder
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| Montag, 14. August 2006Der 1. Spieltag der Saison 06/07 im Pressespiegel
Die Fußballexperten aus den deutschen Zeitungsredaktionen begreifen schnell, daß es wenig Sinn hat, die Bundesliga an der WM zu messen. So geben sie ihre Hoffnung, daß die Sommereuphorie auf den Alltag übergreifen könnte, nach dem ersten Spieltag auf. Rainer Moritz (FTD) hält seine Enttäuschung fest: „Wir sind in der irdischen Realität angelangt; die Bundesliga beginnt wie die letzte aufhörte, und mit dümpelnden Mittelmaß geht das nun 33 Spieltage weiter.“ Auch Ralf Köttker (Welt) beschreibt sein Montagmorgengefühl: „Auch wenn es die viele Funktionäre, Vereinsmanager und Fans noch nicht wahrhaben wollen: Mit der 44. Bundesligasaison ist der Alltag zurückgekehrt. Das besondere Flair der Weltmeisterschaft ist trotz voller Stadien und Nationalhymne zum Anpfiff verflogen.“
Rainer Seele (FAZ) pflichtet der Melancholie bei: „Das Bühnenbild hat wieder gewechselt, Klinsmann ist Vergangenheit, Public Viewing auch, der nächste Autokorso im Zeichen des Fußballs wird eine Weile auf sich warten lassen.“ Doch wirft er frohgemut ein: „Der Mikrokosmos Bundesliga benötigt als zusätzlichen Antrieb nicht die aufputschende Wirkung, die der WM zugeschrieben wird: Er hat sein eigenes, unverwechselbares Dasein. Facettenreich, ernüchternd, häufig aber auch spektakulär, manchmal sogar schillernd. Er bezieht seine Anziehungskraft aus sich selbst. Der erste Akt hat das bestätigt. Auch wenn manche Hoffnungen sich nicht erfüllten, wenn – etwa bei allen drei Aufsteigern – noch viele Wünsche offen blieben.“
WamS: „Der Rausch kehrt zurück – die Bundesliga startet mit großen Erwartungen in die Saison nach der WM; beim ersten Spieltag war die Begeisterung der Anhänger ungebrochen, sogar die Nationalhymne wurde gesungen. Allein auf dem Platz fehlte das Feuer“
Bochum, Aachen, Cottbus – euphoriefreie Zonen
Christof Kneer (SZ) findet es schade, daß die drei Aufsteiger am Saisonbeginn keine leichteren Spiele zugelost bekommen haben: „Es gehört zur Folklore eines Bundesligastarts, daß man die Aufsteiger feierlich willkommen heißt. Man freut sich, daß sich die Aufsteiger freuen, daß sie dazugehören, und man akzeptiert für ein paar Spieltage sogar das Wort Region, für die die Aufstiegseuphorie angeblich gut ist. In diesem Jahr aber muß man sich von Beginn an Sorgen machen um die Aufsteiger, die vom Spielplan so zielsicher klein gehalten werden, daß die Regionen Bochum, Aachen und Cottbus zu euphoriefreien Zonen werden könnten.“
Stuttgarts Sünden der Vergangenheit
Für die besten Nachrichten sorgt der 1. FC Nürnberg, 3:0-Sieger in Stuttgart. Roland Zorn (FAZ) traut den Nürnbergern nun viel zu: „Während der VfB und Trainer Armin Veh so schlecht wieder anfingen wie sie die vorige Spielzeit als 9. abgeschlossen hatten, führte der ‚Club‘ das Meyersche Aufbauprogramm konsequent fort. Es scheint, als hätten sich die Profis vom Valznerweiher die Mentalität ihres Chefs zu eigen gemacht: Breitschultrig, in sich ruhend und voller Vertrauen auf die eigenen Qualitäten. Meister muß der ‚Club’ ja nicht gleich werden, aber ziemlich weit oben mitspielen könnte er in schon.“ Und als ob wir es für einen Scherz halten könnten, beteuert Zorn: „Im Ernst: So wie der ‚Club’ derzeit gebaut ist, wäre das nicht einmal eine Überraschung.“
Im Gegensatz dazu sorgt sich Zorn um die anspruchsvollen Stuttgarter, die ernüchterten Verlierer des Wochenendes, insbesondere Veh: „Daß über den Cheftrainer schon nach dem ersten Spieltag diskutiert wird, macht die Aufgabe nicht leichter. Der nur mit einem Jahresvertrag ausgestattete Veh kämpft von Beginn an um die Glaubensbereitschaft und Lernfähigkeit seiner Spieler wie um die eigene Reputation. Eine schwierige Übung in einem Klub, der sich alle Jahre wieder zu Höherem berufen fühlt und noch auf der Suche nach einem Team mit Widerstandsgeist und Erobererdrang zugleich ist.“ Peter-Michael Petsch (Welt) ergänzt: „Zu sagen, Veh sei bei Fans und Verantwortlichen umstritten, ist noch eine Untertreibung.“
Christof Kneer (Süddeutsche Zeitung) vergleicht den erfolglosen VfB der neuen Saison mit dem erfolglosen VfB der alten Saison und führt die aktuelle Malaise auf Fehler in der Vergangenheit zurück: „Der VfB verliert jetzt anders als in der Vorsaison. Die neue Mannschaft hat in der Breite ein Talent zum gepflegten Fußballspiel, aber sie hat keine Spitze. Im Grunde muß man Teammanager Horst Heldt dafür belobigen, daß er den Mut zur Totalrenovierung einer chaotisch gemischten Elf hatte, aber er hat schon nach dem ersten Spieltag lernen müssen, daß man die Sünden der Vergangenheit nicht so einfach los wird. Die Fehler stecken so tief im System, daß sie sich fortgepflanzt haben bis in die neue Saison.“
FR: VfB in Schockstarre
HSV ohne Stützräder
Pustekuchen, Bayern siegt gegen Dortmund 2:0 – Klaus Hoeltzenbein (SZ): „Das 2:0 dürfte ein kleiner Schock für alle gewesen sein, die darauf gehofft hatten, daß sich Geschichte wiederholt. Daß der Primus aus München einen Ballack-Abschied nicht verkraftet und die WM noch lähmend in den Beinen hat. Ähnlich wie 1974, als Paul Breitner nach dem WM-Gewinn zu Real Madrid ging und die Spielzeit für den FC Bayern mit einem 0:6 bei Kickers Offenbach begann.“ Roland Zorn (FAZ) erkennt die neue Qualität Roy Makaays und notiert ein Plus für Felix Magath: „Vorn bestimmte Makaay die entscheidenden Szenen – und zwar in einer Doppelrolle: der des klassischen Strafraumstürmers und der des Chancenvorbereiters. Laufstark und spielfreudig wie lange nicht, wirkte der Niederländer mitreißend. Dank Makaays frischem Schwung in der doppelten Hauptrolle ging Magaths Schachzug optimal auf. Und so war auch der Trainer, dem mancher angesichts der ‚Klinsmann-Revolution‘ schon ‚altes Denken‘ unterstellte, einer der Gewinner an diesem für die Bayern wegweisenden Abend.“ Allerdings weist die SZ auf die netten Gäste aus Dortmund hin: „Einen besseren Aufbaugegner hätten sich die Münchner nicht wünschen können als jene Borussia, die gefällig mitspielte und bei besten Chancen den Torwart Kahn für die Saison warmschoß.“
Wie lauten die Urteile über die enttäuschenden Unentscheiden der Titelaspiranten der zweiten Reihe? Matthias Linnenbrügger (Welt) bringt das 1:1 des HSV, dem zwei Recken abhanden gekommen sind, auf den Punkt: „Die Mannschaft hat so gespielt wie ein Kind Fahrrad fährt, wenn zum ersten Mal die Stützräder abmontiert werden. Es fehlt an Sicherheit, am Gleichgewicht und in allen Bewegungen an der Stabilität. In Sergej Barbarez und Daniel van Buyten sind zwei absolute Führungsspieler abgegeben worden. Die Rechnung der Vereinsführung, die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen, ging im ersten Spiel noch nicht auf.“ Frank Heike (FAZ) wirft Hamburgs Trainer zu hohes Risiko vor: „Der unzufriedene, ja erboste Doll wird sich ein paar Gedanken über sein Zutun zu dieser zweiten Enttäuschung der noch jungen Saison machen müssen. Schon das 0:0 im Acht-Millionen-Euro-Spiel gegen CA Osasuna war ja nur für bedingungslose Optimisten ein Erfolg, für Pragmatiker indes eine eher schmale Basis auf dem Weg zu Europas Spitze. Doll also mußte sich fragen lassen, warum er die halbe Mannschaft durcheinandergewirbelt hat, nur um Spitzenverdiener Nigel de Jong den geforderten Platz auf der rechten Mittelfeldseite zu liefern.“
Philipp Selldorf (SZ) bemerkt in Schalke beim 1:1 gegen Frankfurt die Dominanz des Worts – statt der Dominanz der Tat: „Die Schalker befinden sich wieder dort, wo sie schon in der vorigen Saison viel Zeit verbracht hatten: im Debattierzirkel. Zur Diskussion steht das Übliche, nämlich fast alles, was über Wohl und Wehe des Klubs entscheidet: die Effizienz des neuen Spielsystems, die Professionalität und charakterliche Verläßlichkeit des Teams und das persönliche Verhalten in Schlüsselsituationen.“ Richard Leipold (FAZ) referiert die Forschheit eines Schalker Neulings: „Ungeschickt war die Auskunft des Stürmers Halil Altintop. Neben Kevin Kuranyi und Peter Lövenkrands der Dritte im Bunde, war er als variabler, zielstrebiger Stürmer aufgefallen. Aber das genügte ihm nicht. Mit dem Selbstbewußtsein eines zwanzigmaligen Torschützen aus Kaiserslautern gekommen, forderte er am neuen Arbeitsplatz sogleich einen Systemwechsel. Doch daraus wird erst einmal nichts. Wer wie Mirko Slomka von den Profis auf dem Platz ‚totale Dominanz fordert’, kann und darf nicht beim ersten Rückschlag einknicken, zumal das System bis zum Elfmeter mit prallem Fußball-Leben gefüllt war.“ Auch die SZ verteilt eine gute B-Note für Schalke: „So viel hohe Spielkultur gab es selten in den nunmehr fünf Jahren, die der FC Schalke in seiner Arena spielt. In dieser ersten Stunde der Saison sah es tatsächlich so aus, als hätte die Mannschaft genau die Fortschritte gemacht, die den Anspruch von Slomka rechtfertigen, um den Gewinn der Meisterschaft mitzubieten.“
taz-Bericht FSV Mainz–VfL Bochum (2:1)
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