Bundesliga
Nachvollziehbare Gründe für eine Trainerentlassung
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| Montag, 28. August 2006Pressestimmen zum 3. Spieltag
Häme gegen Peter Neururer, dessen Rauswurf empfohlen wird / Nürnberg, der „fußballerische Sitzriese“ (BLZ) / Der Kauf Mark van Bommels, „ein Mißtrauensvotum gegen Bayerns aktuellen Kader“ (SZ) / „Selten hat der Schein vor einem bedeutenden Fußballspiel so getrogen wie bei Schalke gegen Bremen“ (Tsp) / „Vertrauensverlust bei den Bochumer Fans“ (FAZ)
Aus den Sportseiten vieler deutscher Zeitungen trieft heute Häme gegen Peter Neururer. Gegen den Trainer, der als einer der Wortführer des großen, deutschen Fußballstammtischs jederzeit an Jürgen Klinsmann etwas auszusetzen hatte und der im vergangenen Herbst das Angebot des 1. FC Nürnberg mit der Begründung und per Mailbox abgelehnt hat, mit dem Club sei kein Blumentopf zu gewinnen. Nun ist Nürnberg Erster; Hannover 96 hat der Prahlpeter Neururer ans Tabellenende geführt. Die ersten zehn Spiele hat Hannover unter ihm übrigens nicht verloren – die typische Halbwertszeit Neururerscher Arbeit, findet Jörg Marwedel (SZ): „So wie in Hannover ist es dem streitbaren Coach fast überall ergangen auf seinen mittlerweile dreizehn Trainerstationen. Ein bißchen Euphorie am Anfang, danach ein fataler Absturz und das vorzeitige Ende des Dienstverhältnisses.“
Michael Horeni (FAZ), ein Journalist, der für seine dauerhafte Unterstützung der Klinsmann-Reform so manche Abseitsstellung riskiert hat, erinnert sich genüßlich an Neururers Klinsmann-Kritik und läßt ihn im Vergleich mit Hans Meyer alt aussehen: „Vielleicht liegen die erstaunlich konträren Entwicklungen in Nürnberg und Hannover auch ein wenig an den Arbeitsweisen in einem sowohl im Norden wie im Süden ähnlich schwierigen Umfeld. Meyer läßt im Training fast nur mit dem Ball arbeiten, sorgt für ein freundlich-produktives Klima und zeigt sich aufgeschlossen für neue Entwicklungen. Neururer hat sich hingegen allzuoft mit der großen Fußball-Weisheit geschmückt, was den Glauben an seine Kompetenz nicht gerade beförderte. ‚Einige Sachen, die wir jetzt bei der Nationalelf machen, die habe ich schon wieder als antiquierte Trainingsmethoden bei mir im Schrank abgestellt‘, sagte er etwa mit einer populistischen Wurstigkeit, die sich nun in der Bundesliga-Wirklichkeit gegen den vermeintlichen Alleswisser richtet. Denn den Sprüchen folgte über Monate hinweg kein erkennbares System, nur die Rivalitäten und Animositäten mit dem ebenfalls umstrittenen Sportdirektor Ilja Kaenzig taugen als Konstante im heillosen Hannoveraner Durcheinander.“
Die aktivierte Mailbox war für Nürnberg von unschätzbarem Wert
Jan Christian Müller (FR) kann den Mißmut des Vereinschefs nachempfinden und legt die Entlassung Neururers nahe: „Kind, der als großzügiger Mäzen bereits zwischen fünf und acht Millionen Euro aus seinem Privatvermögen in den Klub investiert hat, ärgert es maßlos, daß Neururer und Kaenzig es in ihrer fast zwei Jahren währenden gemeinsamen Dienstzeit nicht annähernd geschafft haben, Vertrauen zueinander aufzubauen. Nur ein solches Miteinander – vorgelebt von den Kollegen Allofs/Schaaf und Beiersdorfer/Doll – wäre aber die Grundlage für ein langfristiges erfolgreiches Arbeiten. Da Kaenzig und Neururer zudem auch im Kreis der Profis nicht über die notwendige Anerkennung verfügen, bliebe Kind bei konsequenter Betrachtung nur die große Lösung: ein Neuanfang mit neuen Leuten.“ Auch Marwedel unterstreicht die mangelhafte Bindung Neururers zu seinen Spielern und befürwortet in ungewohnter Deutlichkeit seinen möglichen Rauswurf: „Selten würde es so nachvollziehbare Gründe für eine Trainerentlassung gegeben wie in diesem Fall. Unter Neururer hat nicht nur die Spielkultur gelitten. Auch das Verhältnis zu den Wortführern im Team hat der Coach offenbar zerstört.“
Daß dem Trainer gestern das Vertrauen ausgesprochen worden ist, will Marwedel nicht zu wörtlich nehmen: „Für wie lange dieser Vertrauensbeweis gilt, ist äußerst ungewiß. Äußerungen aus Kinds Umfeld legen nahe, daß der zurückgekehrte Patron den großen Befreiungsschlag plant: Außer Neururer soll auch Kaenzig seinen Job verlieren. Der Vorwurf: Eklatante Fehleinschätzungen in der Personalpolitik, zu der Kind nun offenbar auch die Verpflichtung Neururers zählt.“ Achim Lierchert (FAZ) hört Hannovers Spatzen pfeifen: „Der Abschied vom 96-Cheftrainer zögert sich nach den Eindrücken vom Sonntag vielleicht nur um ein paar Tage hinaus.“ Und Horeni spielt auf den Kelch an, der an Nürnberg vorübergegangen ist: „Die aktivierte Mailbox war für den 1. FC Nürnberg von unschätzbarem Wert.“
1. FC Meyer
Die Tabellenführung Nürnbergs, des „fußballerischen Sitzriesen“ (BLZ), wird als das Werk seines Trainers gedeutet; mit Spielernamen bringen die deutschen Medien den Aufschwung des Clubs kaum in Verbindung. Marcel Reif (TspaS) stellt Meyer als Stoiker und als die neue Mitte des Vereins vor: „Er bewahrt sich Selbstironie, Gelassenheit, Realitätssinn. So wie nach der Wende, als er, der verdiente Held des Sportes, kurz dachte, die Bundesliga läge ihm zu Füßen und vor seiner Haustüre. Dem war nicht so, er jammerte nicht, er ging nach Holland und lernte aus dem Leben. Man merkt es ihm und seiner Arbeit an: Nicht hadern, sondern sich einrichten in den Begebenheiten und aus denen das Bestmögliche rausholen. Das wirkt sehr authentisch und sehr unabhängig. Der Mann hat seine Mitte gefunden, und das macht das Druckpotential für das präsidiale Hobby doch verschwindend klein. Michael A. Roth wäre gut beraten, wenn er diesen Zustand beläßt. Damit wird er zwar nicht Meister – das ohnehin erst, wenn Heiner Stuhlfauth wieder im Tor steht – aber er kommt mit Meyer auch nicht in Kalamitäten. Das ist dann schon sehr, sehr viel. Er muß halt in Kauf nehmen, daß der 1. FC Nürnberg, neben dem Beinamen Club auch den Beinamen 1. FC Meyer trägt.“
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