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Deutsche Elf

Sein Charisma ist die Taktiktafel

Oliver Fritsch | Samstag, 2. September 2006 Kommentare deaktiviert für Sein Charisma ist die Taktiktafel

Joachim Löw gibt heute seinen Einstand als Bundestrainer in einem Pflichtspiel, ausgerechnet in Stuttgart, seiner ersten Trainerstation – manche Medien zweifeln leise daran, ob er dauerhaft Autorität ausstrahlen kann

Alle Augen auf Joachim Löw – Christof Kneer (SZ) stellt die „Coolness“ des neuen Bundestrainer heraus: „Spätestens seit der WM, als er einen Wackelpudding von Abwehr in eine taugliche Turnierdeckung verwandelte, hat Löw nicht mehr das Gefühl, sich für seine durchwachsene Fußballer- und Trainerbiographie rechtfertigen zu müssen. Die WM hat ihn gelassen gemacht, und Gelassenheit kann nicht schaden, wenn man plötzlich 82 Millionen Deutschen gehört.“ Die Fußball-Autoren erhellen oft Löws Zeit als Trainer in Stuttgart (1996-98), wo er heute seinen Einstand geben wird; Kneer ist gespannt auf Löws Vergangenheitsbewältigung: „Das schwäbische Stuttgart ist ein Schicksalsort für den Badener Löw. Es hat vielleicht so sein müssen, daß er hier beginnen darf, in dem Stadion, in dem er noch nicht fertig ist. Er hat immer noch das Gefühl, daß sie ihn 1998 unrechtmäßig aus der Stadt vertrieben haben, als er nach zwei Jahren als Cheftrainer beim VfB von Gerhard Mayer-Vorfelder aus dem Amt entfernt wurde. Es war der große Bruch in der gerade beginnenden Karriere des Trainers Löw. Nicht wenige in Stuttgart meinen, es war auch ein Bruch in der Karriere des VfB. Im Grunde versucht Joachim Löw jetzt, mit 46 Jahren, die Chance zu nutzen, die er in Stuttgart nicht bekam. Anders als Klinsmann ist er eher ein Mann für die Langstrecke, aber die Stuttgarter Entlassung hat ihn ungeduldig werden lassen. Er hat das Tingeln angefangen, er war in der Türkei, in Österreich und in Karlsruhe.“

Andreas Lesch (BLZ) fügt an: „Jetzt kann der Bundestrainer an diesem bedeutungsschweren Ort daran arbeiten, sich von seinem Vorgänger Klinsmann zu emanzipieren. Noch ist sein Profil unscharf. Löw wird wohl nie eine so dominante, radikale Figur werden wie Klinsmann, er ist ein anderer Typ.“ Kneer findet Gefallen daran, daß der Fußball-Lehrer Löw Wert auf das kleine Einmaleins legt: „Löw hat anders als Klinsmann nicht die Autorität, die aus den Beinen kommt. Sein Charisma ist die Taktiktafel, und seine Spielerkarriere hat ihn gelehrt, wie wichtig die tägliche Kleinarbeit ist. Für den deutschen Fußball ist das Bekenntnis zum Handwerk nicht das Schlechteste, und für Löw ist es die Chance, in die Karriere zurückzukehren, die er verlassen mußte.“

Der DFB hat ihn genommen, weil er die WM verlängern will

Der Stuttgarter Zeitung gewährt Löw heute Ein- und Rückblick auf seine ersten Schritte als Trainer. Die Frage, was er aus seiner Stuttgarter Zeit gelernt habe, beantwortet er so: „Daß ich auch als junger, unerfahrener Trainer in manchen Situationen konsequenter hätte handeln müssen. Ich habe gewisse Dinge unterschätzt, die innerhalb der Mannschaft stattfanden. Konflikte, von denen ich glaubte, sie würden sich von alleine auflösen. Das Thema Yakin und Balakov kam im zweiten Jahr hoch. Wir haben es nicht geschafft, Murat Yakin als hervorragenden Fußballer zu integrieren. Da hätte man in mancherlei Hinsicht mehr gegensteuern müssen. Das sind Erfahrungswerte, die man als Trainer macht. Man kann aus diesen Erfahrungen zum Beispiel lernen, gegenüber dem Verein eine gewisse Kompromißlosigkeit an den Tag zu legen.“

Kneer äußert auffällig Zweifel, ob Löw dauerhaft Autorität ausstrahlen kann: „Er hat sich den schwersten Job ausgesucht. Er braucht Siege so sehr wie Klinsmann, er weiß, daß sie ihn beim DFB nicht genommen haben, weil er der Trainer Löw ist. Sie haben ihn genommen, weil sie mit seiner Person die WM verlängern wollen, und in der Branche wird gespannt erwartet, wie lange Löws Coolness im Mißerfolg hält; und ob Spieler wie Michael Ballack, der bei der WM mit Taktikempfehlungen auffiel, den Chef akzeptieren, wenn es eng wird.“ Auch Lesch schließt mit dem Fazit, daß Löws Status allein vom Erfolg abhängen werde: „Er hat schon an seinen ersten Arbeitstagen erlebt, wie wichtig ein entschlossener Auftritt ist. Die Profis haben ihm den Dienstbeginn mit ihrem Schuhstreit erschwert; am Trainingsplatz haben die ersten Spötter angemerkt, die Übungseinheiten erinnerten eher an Völler als an Klinsmann, so launig und lasch, wie sie wirkten. Was das heißt? Nichts – wenn Löws Team gegen Irland gewinnt.“

Ich war immer loyal zu Adidas

Oliver Bierhoff nimmt in der FAZ Stellung zur Schuh-Debatte: „Ich hätte früher auch gerne in der Nationalmannschaft mit meinen Schuhen gespielt. Das war keine Frage des Geldes. Es geht um die Gewohnheit, für drei Tage seine Schuhe wechseln zu müssen. Aber die Sache hat natürlich verschiedene Aspekte. Miroslav Klose hat jetzt ganz andere Vermarktungsmöglichkeiten – und ganz andere Chancen der Image-Bildung, wenn er in internationale Werbekampagnen reinkommt. Die Schuhverträge sind im Verhältnis zum Einkommen der Spieler prozentual aber tatsächlich so gering, daß Geld nicht der alleinige und entscheidende Faktor in dieser Frage ist.“ Zu seiner Rolle, für die der ehemalige Nike-Geschäftspartner viel Kritik einstecken mußte, sagt Bierhoff: „Ich habe das Thema in den vergangenen zwei Jahren bei den führenden Leuten von Adidas und dem DFB immer wieder angesprochen, auch während der WM. Ich habe ihnen berichtet, daß der Druck nicht nur von den Spielern kommt, sondern auch von ihren Beratern. Die haben ja fast alle zwei Wochen bei mir auf der Matte gestanden. Aber das Thema lag nicht in meiner Entscheidungskompetenz. Ich wollte jedoch auch nicht gegenüber dem DFB und Adidas den Eindruck erwecken, als ob diese Frage in meinem Interesse als ehemaliger Nike-Mann läge. Ich wollte da nicht insistieren und habe nur die Fakten berichtet. Das war das Problem. Ich war als Manager in den letzten zwei Jahren immer loyal zu Adidas. Aber immer wenn dieses Thema aufkam, war ich unter Verdacht.“

BLZ-Interview mit Jens Lehmann
SZ-Portrait Lehmann
Interview mit Miroslav Klose auf welt.de: „Mein Wunsch ist es, einmal in meiner Karriere im Ausland zu spielen“

FAZ-Portrait, sehr lesenswert, des irischen Stürmers Damien Duff

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