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„Es gibt keine schwachen Gegner mehr“– ein Völlerismus, der heute noch wehtut
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| Mittwoch, 6. September 2006Einige offene Aussagen Theo Zwanzigers in einem SZ-Interview über verschiedene Themen / Vor San Marino wird nicht gewarnt / Über Tennisbälle und Torrekorde – was man über den heutigen Gegner wissen muß
Die SZ entlockt heute Theo Zwanziger in einem Interview einige direkte Aussagen über verschiedene Themen. Den Streit zwischen Matthias Sammer und Oliver Bierhoff leugnet er erst gar nicht, will ihm stattdessen die Schwere nehmen: „Mir ist ein kleines Spannungspotenzial lieber als wenn Friedhofsruhe herrscht und die Süddeutsche schreibt: Ist der DFB ganz eingeschlafen?“ Zwanzigers Fazit des Schuhstreits kommt einer Abbitte an Adidas gleich: „Unser Partner wurde verprellt. Das ist mehr als bedauerlich und kaum entschuldbar. Das ist unser Versäumnis gewesen.“
Aus seinen Darlegungen über die Verantwortung des DFB im Zwischenmenschlichen lassen sich, zieht man die übliche Esoterik ab, konkrete Diagnosen und Pläne destillieren; vor allem dem Rassismus, der besonders im ostdeutschen Amateurfußball grassiert, wolle er den Kampf ansagen: „Die Konflikte zwischen verschiedenen Nationalitäten zu lösen, das ist die große Aufgabe. Dafür brauchen wir einen Integrationsbeauftragten. Jemanden mit Migrationshintergrund, der glaubwürdig ist. Wir werden Personal einstellen und Botschafter aus dem Nationalteam berufen, Gerald Asamoah zum Beispiel.“ Seine reichen Nationalspieler nimmt er in die Pflicht: „Wir planen auch eine große Offensive in den Grundschulen, und ich hoffe, daß sich unsere Nationalspieler dort zeigen werden – und nicht mehr an Schuhkrieg denken.“
Das Verhältnis zwischen Profi- und Amateurfußball schildert Zwanziger in poetischen, aber offenen Worten: „Zwischen dem Spitzenfußball und dem ehrenamtlichen Bereich gibt es viele Emotionen. Die Profis haben darunter gelitten, daß sie sich bei der Gründung der DFL die Zustimmung des DFB-Vorstandes holen mußten, der überwiegend aus Amateurvertretern bestand. Bei den Amateuren war es umgekehrt, da wird schnell der Vorwurf gebaut: Bei denen geht es immer nur ums Geld, und wir leisten die Arbeit. Wir sind auf zwei Ufern eines Flusses, und die wichtigste Aufgabe eines DFB-Präsidenten ist es, eine stabile Brücke darüber zu erhalten.“ Den Kollegen Gerhard Mayer-Vorfelder verabschiedet er mit einer klaren Charakteristik und mit Kritik, wenn auch in politischer Rhetorik – aber ohne, wie das zu erwarten gewesen ist, Beschönigungen: „Sein Denken war, bedingt durch sein politisches Leben, geteilt in Regierung und Opposition. Ich sehe das anders. Man muß in einer solchen Position nicht spalten. Man muß auch mal sagen können: Ich habe einen Fehler gemacht. Bei mir ist der Weg, auf andere zuzugehen, stärker angelegt als bei ihm. Aber er ist ein glühender Fußballfan, ein Mann, der den Fußball in allen Facetten sieht, auch wenn er dem professionellen Fußball näher steht.“
Man muß dem Sport die Chance geben, das Problem mit seinen Mitteln zu lösen
Beim Thema Doping, Dauerbrenner des Sportsommers, wird Zwanziger leider etwas ungenauer. Zwar habe er es im Blick, obwohl im Fußball nicht mal nennenswerte Gerüchte kursieren: „Wir sind, um es vorsichtig zu sagen, nicht ganz so stark betroffen wie andere Verbände. Ich schließe nicht aus, daß sich dies ändern kann. Wir müssen uns mit dem Problem auseinandersetzen.“ Doch wie gut und verläßlich die Doping-Kontrollen im Fußball sind, besonders in der Reha, darüber gibt es unter Experten auch andere Auffassungen als die Zwanzigers: „Durch unsere Kontrollen und die starken Sanktionen besteht eine hohe Abschreckung. Wenn in einer Mannschaft ein schwarzes Schaf auftaucht und das ganze Team bestraft wird, verpflichtet das die Vereinsverantwortlichen zu erhöhter Sorgfalt“ (schönes schiefes Bild: „wenn ein schwarzes Schaf auftaucht“; es gehört in die Reihe „Auch über diese Wunde wird noch Gras wachsen“, Anm. d. Metaphernpolizei).
Auf die Frage, ob er sich ein Anti-Doping-Gesetz wünsche, antwortet Zwanziger mit einem Satz, bei dem den Anti-Doping-Kämpfern die Ohren klingeln: „Man muß dem Sport die Chance geben, das Problem mit seinen eigenen Mitteln zu lösen.“ Heikel ist diese Forderung deswegen, weil sich Doping- und Sportkorruptionskämpfer einig sind, daß die Sportjustiz in den letzten Jahrzehnten versagt hat, ja daß sie Teil des Systems ist. DOSB-Präsident Bach ist durch seine Verschleierungen in der Frage, wieviel Befugnis der Sport künftig an den Staat abzutreten habe, stark in die Kritik der Sportpresse geraten. Zwanzigers Position ist in diesem Punkt nicht klar: „Wir brauchen die Gesetze, ob die sich jetzt Anti-Doping-Gesetz oder Arzneimittelgesetz nennen, ist mir völlig egal. Allein indem man den Begriff ändert, hat man ja nichts verändert – in dem Punkt bin ich bei Thomas Bach. Man braucht zwei Dinge: Klare gesetzliche Grundlagen. Und das Vorgehen des Sports in seiner eigenen Verantwortung. Er muß die Chance haben, das selbst zu regeln.“
Den Umgang des DFB im Fall Hoyzer stellt Zwanziger als vorbildlich dar (in der Tat wird ihm persönlich von den Beobachtern eine aktive Rolle zugestanden): „Wenn Sie die Behandlung unseres Wettskandals sehen, ist das die Art, wie man vorgehen sollte. Ich darf mein eigenes Sportrecht nicht überhöhen, ich muß bereit sein, mich auf die staatlichen Hilfen einzustellen und kann dafür auch dankbar sein. Wo der Staat besser ist, muß ich ihn nutzen. Deshalb haben wir die Sache sofort kriminalisiert, was uns die Chance eröffnet hat, am Ende sogar schneller zu sein als der Staat, ohne dessen Hilfe wir aber nie so schnell vorangekommen wären. Der Fall Hoyzer ist für den DFB erledigt – aber rechtskräftig ist er noch längst nicht entschieden.“ Das kann man in der Summe stehen lassen. Doch es sei daran erinnert, mit welcher Zögerlichkeit und welchen Beschwichtigungen der DFB die Sache anfangs angegangen ist und wie er durch die Umstände in die Aufklärerrolle gedrängt wurde.
Völlerismus
Alexander Steudel (Sport Bild) atmet freier, weil die DFB-Führung vor dem Spiel gegen San Marino keinen Alarm schlägt: „Erinnern Sie sich? Vor Spielen gegen kleine Gegner prasselte früher ein wahres Bombardement von Warnungen und Übertreibungen auf uns nieder. Und Rudi Völler, der Vor-Vor-Bundestrainer, hätte uns auch diesmal San Marino sicher so erklärt, daß wir anschließend vor dem Insbettgehen das Licht angelassen hätten vor lauter Angst. ‚Es gibt keine schwachen Gegner mehr‘, ein Völlerismus, der heute noch wehtut.“
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Unsere Elf kann sich nur selbst in der Sonne stehen
Was wir über aus den Zeitungen über den Gegner erfahren, sei in ein paar Sätzen untergebracht: Sie schossen das schnellste Tor in einem Fifa-Wettbewerb, obwohl sie bisher nur vierzehn Länderspieltreffer erzielt haben – und zwar 1993 gegen England in der 9. Spielsekunde. Das Spiel haben sie dann 1:7 verloren. „Die gegnerische Spielhälfte haben die San Marinesen bisher nur als gelobtes Land kennen gelernt, das einer der ihren nur sehr, sehr selten erreicht. In der Regel also unterstützen acht, neun oder manchmal auch zehn Kollegen den Torwart beim fast immer vergeblichen Versuch, den Kasten sauberzuhalten“ (SZ). Die Einheimischen nennen die Spieler, die hauptsächlich Krankenpfleger, Studenten und Elektriker sind, „Dilettanti“, was aber schlicht Amateure heißt. Ihr Torwart, das berichten sogar die Tagesthemen, wird mit Tennisbällen, -schlägern und Ballmaschine trainiert. Ihr Mannschaftshotel ist ein „gigantischer gläserner Gebäudekomplex, der Weltniveau im Miniatur-Staat vorgaukeln soll. Der Name wirkt gerade in diesen Tagen völlig unangebracht: World Trade Center“ (FAZ). Dem DFB-Scout Urs Siegenthaler gebührt das Resümee: „Unsere Elf wird Geduld haben müssen, aber im Grunde kann sie sich nur selbst in der Sonne stehen.“
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