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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Champions League

Kommunismus mit Geld

Oliver Fritsch | Dienstag, 12. September 2006 Kommentare deaktiviert für Kommunismus mit Geld

Zu Beginn der Champions League richten sich die Blicke der Presse auf Chelsea; der Spiegel untersucht die Identität des Klubs und prüft, ob das Puzzle-Teil Michael Ballack paßt / Die Form des Gegners Werder Bremen betrachtet die Presse mit Skepsis

Sehr lesenswert! Chelsea, das luxuriöse Spielzeug des russischen Oilgarchen Roman Abramowitsch, wird von Fans gehaßt und von der Konkurrenz kritisiert. Klaus Brinkbäumer und Thomas Hüetlin (Spiegel) jedoch schälen eine andere Identität der vermeintlichen Fußballkapitalisten heraus: „Es ist nicht unbedingt das schöne Spiel, das in Chelsea gepflegt wird. Es ist keine Inszenierung, die Platz läßt für geniale Einzelaktionen, Risiko, Spontaneität und andere Dinge, die den Fußball bisweilen romantisch verzaubern. Eher gleicht José Mourinhos Idee von Fußball einer 90-minütigen Planwirtschaft mit einer Mannschaft als Kollektiv, und es ist kein Wunder, daß bei Chelsea zwar viele Leute sehr viel verdienen, aber nur zwei Superstars existieren: der Portugiese und der Russe, der Trainer und der Oligarch. Kommunismus mit viel Geld, das ist das System des FC Chelsea.“

Ausflüge auf den Boulevard, genannt werden die Beispiele David Beckham, Ronaldo und Oliver Kahn, und Prominentendasein würde Mourinho nicht dulden: „Die Verführungskräfte des Geldes zu beherrschen, das ist eine genauso wichtige Aufgabe wie ein Sieg über den FC Barcelona, und niemand versucht dies entschlossener und moderner zu lösen als Mourinho, der Zuchtmeister.“ Es sind ja, das wird von den Kritikern oft übersehen, in der Tat nicht die Glamour-Stars des Weltfußballs, die sich ihr Spiel in Chelsea vergolden lassen – in den Augen der Autoren ein weiteres Indiz für den Vorrang, das Mourinho dem Gemeinsamen einräumt: „Jeder Spieler, so lautet die Mourinho-Philosophie, habe sein Ego der Mannschaft unterzuordnen. Stars, die schon große Pokale gewonnen haben, fehle oft der Biß. Mit großen, aber vergleichsweise unbekannten, darum ehrgeizigen Spielern wachse der Hunger nach Erfolg.“

Auf der Suche nach der perfekten Mannschaft

Aus dieser Perspektive untersuchen die Spiegel-Autoren den Zuzug Michael Ballacks. Ballack ist zum ersten ein „Unvollendeter“ (FAZ): Champions-League-Finale mit Leverkusen 2002 verloren, WM-Finale 2002 verpaßt, WM-Halbfinale 2006 knapp verloren. Zum zweiten sieht er sich in Deutschland immer mit dem Vorwurf konfrontiert, er werde seiner Aufgabe als Alpha-Tier nicht gerecht. Brinkbäumer und Hüetlin legen nun Ballacks Überdruß am deutschen Vereinsfußball frei: „Wenn Ballack über seinen neuen Arbeitgeber redet, hört man einen neuen Tonfall. Man kann Respekt hören. Vielleicht sogar Ehrfurcht. Ballack hat diese Gefühle ja immer gehabt, für Wochen, damals, als er beim Chemnitzer FC spielte, dann in Kaiserslautern, in Leverkusen, schließlich in München, doch immer waren sie schnell verflogen, weil Ballack merkte, daß er den Ansprüchen der Vereine genügte, die Vereine seinen Ansprüchen aber nur in Maßen. Eitle Trainer, die Macht der Bild-Zeitung, populistische Funktionäre, all das ging ihm im deutschen Fußball zunehmend auf die Nerven, und darum fühlte er sich immer nur für eine Weile gefördert und am Ende gebremst. Werden seine Eindrücke diesmal länger halten als ein paar Wochen? Diesmal jedenfalls kann Ballack nicht mehr fliehen, es geht nicht mehr weiter wie bisher, denn Ballack weiß, daß er oben angekommen ist, höher hinauf führt kein Weg, und er weiß, daß er noch nicht bewiesen hat, daß er den Unterschied ausmachen kann, denn das, nur das, ist sein Job hier.“

Die Spiegel-Autoren präzisieren Ballacks Gründe für seinen Abschied aus München, der von gereizten Worten der Bayern-Führung begleitet worden ist: „Die Millionen sind es, mit denen sich der FC Bayern München den Abgang von Ballack erklärt. Die reine Gier also, aber das trifft es nicht, nicht ganz jedenfalls. Ballack hat ein paar Facetten, die nicht mehr nach München paßten: Er kann eine Diva sein, leicht zu kränken, und die ständigen Nörgeleien in München verletzten ihn.“ Aus Ballacks Aussagen saugen die Autoren zudem Erkenntnisse über die Zielgenauigkeit der Transferpolitik Chelseas und die Einfallslosigkeit der Bayern: „Zugleich ist er einer der schlaueren Fußballer, neugierig, und deshalb genügte ihm München nicht mehr. Und vor allem geht es ihm um die hohe Kunst des globalisierten Fußballs, darum, wie man eine perfekte Mannschaft baut und anschließend dahin bringt, auch perfekt zu spielen. In München, so sieht es jedenfalls Ballack, lernten sie zwar Jahr für Jahr, daß sie Defizite hatten, in der Spielgestaltung vor allem, und verlängerten dann doch nur den Vertrag mit dem ständig verletzten Sebastian Deisler. In Chelsea wußte Mourinho, daß er Tore und Kopfbälle und Ideen und Teamgeist brauchte und kaufte Schewtschenko und Ballack. Der fühlt sich wieder gewollt, gebraucht und verstanden und nicht mehr nur gut bezahlt.“

Ein Blick zur Seite: Der FAZ antwortet Ballack heute auf die Frage, wie er es empfinde, daß die Bayern inzwischen von der Lücke reden, die Ballack in der Mannschaft hinterlassen hat. „Es ist auf jeden Fall besser, als wenn die Verantwortlichen bei Bayern genau das Gegenteil sagen würden. Ich war zuvor schon überrascht, daß sie gesagt haben, daß sie nach meinem Weggang und dem von Zé Roberto nun besser Fußball spielen werden. Das ist nicht so einfach.“

Job auf Mourinhos Schachbrett

Chelseas Leitbild entspreche Ballacks Wesen vermutlich mehr als das der Bayern, schreiben Brinkbäumer und Hüetlin: „Wenn man Ballack eine Weile zuhört, bekommt man den Eindruck, daß er den FC Bayern zuletzt nicht mehr als großen Fußballclub, sondern beinahe wie eine Sekte wahrnahm, die ihre Spieler normt und verschluckt und letztlich große Siege verhindert, weil es zu wenig Austausch und zu wenig Konkurrenz gibt. Die Radikalität des Leistungsdenkens fehlte Ballack in München, und es wirkt, als sei er froh, noch mal davongekommen zu sein. Es könnte schon sein, daß er jetzt in eine sehr viel strengere Sekte gewechselt ist, aber diese spielt besseren Fußball. Und Ballack, das zeigte er bei der Weltmeisterschaft, schätzt funktionierende Kollektive, er entwirft, wenn er es für nötig hält, gern eine Taktik fürs Ganze und ordnet sich dieser unter. Wahrscheinlich paßt er besser zum FC Chelsea, als viele vermuten.“

Der Text, der in seinem Grundton die einseitige Kapitalismuskritik an Chelsea ins Leere laufen läßt, schließt jedoch mit einer eigenartigen Warnung vor dem Verlust von Individualität. Didier Drogba, der die Taktikweisungen Mourinhos mehrfach mißachtet haben soll, ist zum Ersatzspieler degradiert worden. Brinkbäumer und Hüetlin schildern seine Einwechslung beim Spiel in Blackburn im letzten Monat: „Als er eingewechselt wird, scheint etwas in ihm zu beben, das man auch für Haß halten kann. Ein paar Minuten später paßt Ballack den Ball in seine Richtung. Drogbas Gegenspieler muß sich gefühlt haben wie ein Mann, auf den eine Flutwelle zurast. Verzweifelt krallt er sich an Drogba fest, versucht ihn umzureißen. Ohne Erfolg, stattdessen schleift Drogba den Burschen über den Rasen wie einen Ertrinkenden und prügelt den Ball unter die Latte. Nach dem Spiel zeigt der Torschütze keine Euphorie, nichts. Drogba hat seinen Job auf Mourinhos Schachbrett erfüllt, und nur das wird verlangt. Nicht mehr, aber vor allem niemals weniger.“

Anstrich von Respektabilität

In diesem Licht sieht der Kauf Andrej Schewtschenkos wie eine Ausnahme aus. Raphael Honigstein (FR) interpretiert ihn als Zeichen des Wandels und deutet an, daß Schewtschenko gegen Mourinhos Willen verpflichtet worden sei: „Die Ankunft des besten Stürmers aus der Serie A markiert den Anfang einer neuen Epoche. Er ist der erste echte Weltstar bei Chelsea – und wohl auch der erste Kicker, der dem streitbaren Trainer von seinem Chef aufgedrängt wurde. Mourinho machte eine gute Miene dazu, ihm blieb nichts anderes übrig. Sein Transfer vom erfolgreichsten europäischen Klub der vergangenen zwanzig Jahre gibt den Londonern den lange ersehnten Anstrich von Respektabilität. Der Verein darf sich befördert fühlen, auch dank Michael Ballacks Ja-Wort. Der Deutsche macht das ohnehin enorm starke Chelsea-Mittelfeld um ein paar Prozentpunkte torgefährlicher; der Ukrainer aber ist die Schlüsselfigur der Saison. Er soll die maschinelle Kraft der Blauen um eine Prise Kunst verfeinern – und sie zur Vollendung führen. Chelsea, der für sein skrupelloses Geschäftsgebaren berüchtigte Verein, kann den Sohn eines Mechanikers in der Sowjetarmee auch als Sympathieträger dringend gebrauchen.“

taz: Chelsea hat hitzige Deals hinter sich

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