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Ball und Buchstabe

Die schönste Zeit ihres Lebens

Oliver Fritsch | Montag, 18. September 2006 Kommentare deaktiviert für Die schönste Zeit ihres Lebens

Fundstücke: Gefühlsechtheit beim WM-Finale der Fußball-WM für Menschen mit geistiger Behinderung / Bemerkenswert: Degradierter Hockey-Torwart Christian Schulte wehrt sich gegen Oliver-Kahn-Vergleich: „Für mich kam es nicht so rüber, daß er die Mannschaft unterstützt hat“ / Kardinal Lehmann macht sich große Sorgen um Söldnertum im Fußball

Alex Westhoff (FAZ) schildert seine Ergriffenheit und sein Gerührtsein über die Gefühlsechtheit der Finalisten der Fußball-WM für Menschen mit geistiger Behinderung: „Die ganze Wucht der Gefühlswelt, die Sieg und Niederlage im Sport auslösen können, vermischte sich mit der famosen Stimmung auf den Rängen zu einem bunten Cocktail, der niemand kaltlassen konnte. Wo sonst auf ihre Öffentlichkeitswirksamkeit bedachte Profisportler zu Werke gehen, zeigten die behinderten Sportler mit ihrer Hingabe für das Spiel und ihrer reinen, ungeschminkten Freude und Trauer nach Schlußpfiff großes Gefühlskino.“ Bedauernd vermutet Westhoff, daß sich in ein paar Wochen wohl niemand mehr an die Protagonisten dieser WM erinnern werde: „Es gehört nicht viel dazu, sich auszumalen, wie schnell sich der Alltag der behinderten Sportler nach ihrem geglückten WM-Auftritt im eigenen Land wieder bemächtigen wird. Die prägenden Erlebnisse und Erfahrungen dieser drei Wochen vor großem Publikum werden für alle Akteure unwiederbringlich, vielleicht sogar die schönste Zeit ihres Lebens gewesen sein. Das Konservierungsmittel wider das Vergessen muß in der heutigen, von Großereignis zu Großereignis hetzenden Sportwelt wohl erst noch erfunden werden.“

Thomas Hahn (SZ) erläutert den Sinn dieses Turniers: „Man wird nie endgültig feststellen können, ob diese WM die Integration mehr befördert oder ob sie ihr mehr geschadet hat. Klar ist nur, daß so eine WM nicht alle Tiefen ihres Themas ausleuchten kann. Dazu sind die Probleme zu pikant und vielschichtig, die Menschen mit geistiger Behinderung ertragen müssen oder auch selbst hervorbringen. Und nun? Soll es keine Fußball-WM für Menschen mit geistiger Behinderung mehr geben? Soll niemand mehr darüber berichten und ihr zuschauen? Das wäre die Kapitulation vor einem Ereignis, das Licht in einen sehr stillen Winkel der Gesellschaft wirft. Manche Schulklasse und manchen Beobachter haben die Spiele zur Diskussion inspiriert. Damit ist schon viel erreicht. Erst recht, wenn bei dieser WM der ein oder andere verstanden hat, daß es Felder im Leben gibt, auf denen das Merkwürdige tatsächlich normal ist.“

Der deutsche Trainer Willi Breuer verrät der FAZ eine Situation, in der er mit seiner Fassung gerungen habe: „Spontan fällt mir ein WM-Testspiel ein. Unser Ahmet Demir war schon in der ersten Halbzeit total platt und wollte ausgewechselt werden. Er hatte in den Wochen zuvor zu Hause nicht trainiert und war noch in der Nacht vor der Partie aus der Sportschule ausgebüchst. Ich nahm ihn trotz seiner Bitten nicht vom Platz. Erst in der zweiten Halbzeit habe ich ihn dann ausgewechselt. Weil er nicht mehr konnte. Und was macht der Junge? Er legt sich auf die Ersatzbank und schläft ein. Da habe ich zu meinem Co-Trainer gesagt: Mach du mal weiter, ich brauche eine kurze Auszeit.“ Breuer bestätigt eine Anekdote, auf die ihn die FAZ kichernd anspricht, wonach er einem Stürmer, der mit Ball auf den Torhüter zulief, zugerufen haben soll „Spiel ihn aus!“ – und der Spieler den Ball ins Seitenaus spielte: „Das ist tatsächlich bei der EM 2003 passiert. Ich hätte es anders ausdrücken müssen. Für jeden anderen Fußballer wäre die Anweisung eindeutig gewesen. Aber meinem Spieler hätte ich sagen sollen: ‚Spiel den Torwart aus!‘ Das ist wie bei Kindern. Die verstehen vieles wortwörtlich.“

taz: Die Fußball-WM der Menschen mit Behinderung stößt auf breites Medieninteresse, Schülerhorden säumen die Stadiontribünen. Doch vielen Behindertensportlern fällt es schwer, damit umzugehen

Ein bißchen im Mittelkreis herumspaziert

Hockey-Torwart Christian Schulte, der kurz vor der WM von Bernhard Peters überraschend zur Nummer 2 degradiert worden ist, wehrt sich im Tagesspiegel gegen den Vergleich mit Oliver Kahn; als Grund führt er eine Beobachtung eines WM-Spiels im Juni an: „Kahn ist kein Vorbild für mich. Er hat während des Spiels in die Luft geguckt, an der Ehrenrunde hat er sich erst nach Aufforderung beteiligt, und dann ist er auch nur ein bißchen im Mittelkreis herumspaziert“, sagt Schulte. „Für mich kam es nicht so rüber, daß er die Mannschaft unterstützt hat.“

SZ: Wie gut war die deutsche WM-Elf wirklich? Umfrage bei einer internationalen Trainertagung

Kartelle des Schweigens

Kardinal Lehmann macht sich in der SZ große Sorgen um die Entwicklung des Fußballs: „Ich sehe die Entwicklung zum Söldnertum mit Traurigkeit und auch manchmal mit Entsetzen. Es ist für alle Beteiligten ein Stück Verführung zur Unmenschlichkeit. Und auch die Verführung, sich selbst und diese Werte zu überschätzen. Irgendwo gibt es doch eine Form von Menschenhandel, auch wenn man das so nicht sagen wird. Man kauft Leute, verkauft sie wieder, wie man es gerade braucht. Noch grotesker, menschenunwürdiger finde ich den Umgang mit Trainern. Wenn man sie auswechselt wie schlechtes Werkzeug, regelrecht wegschmeißt, Sündenböcke sucht. Und dann soll alles wieder gut sein oder werden? Welcher Aberglaube!“ Zur Doping-Debatte sagt er: „Beim Thema Doping ärgert mich schon lange, daß viele Leute im Sport, auch unter den Sportjournalisten, wissen: Es geht nicht alles mit rechten Dingen zu. Da gibt es falsche Verbrüderungen, Kartelle des Schweigens. Wir müssen dazu über das Gesagte hinaus etwas zur Klärung beitragen. Für die gröbsten Verstöße müssen Dopinggesetze da sein, es muß eine verläßliche Ordnung geben. Manchmal frage ich mich allerdings auch: Weiß immer jeder Athlet, was ihm durch Medikamente oder im Essen beigemischt wird?“

11 Freunde/Tagesspiegel: Wie die Fans von Austria Salzburg ihren Verein verloren und in der Kreisklasse wiederfanden

ndr.de: Jan Ullrich und die ARD (Video, Zapp)

wdr.de: Vom Fußball-Hoch zum Doping-Tief (Video, Hart aber fair)

taz: Hannover 96 streicht sein neues Stadionmagazin

bildblog: Bild ignoriert DSF

SZ: Eine Buchempfehlung – die Gosse Bild-Zeitung

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