Ball und Buchstabe
Ende des langjährigen Selbstbetrugs
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| Montag, 18. September 2006Die Presse ist angewidert von den rassistischen Schmähungen im Aachener Stadion
Der traurige Schluß der Stuttgarter Zeitung lautet: „Der Rassismus lebt, leider, er ist existent in deutschen Stadien.“ Man dachte, dieses Problem wäre aus westdeutschen Stadien verbannt, doch Aachener Fans haben den dunkelhäutigen Mönchengladbacher Kahé mehrfach mit Rufen beleidigt. Die Schmähungen gegen Gerald Asamoah vor einer Woche in Rostock hat die Presse zwar ebenso angewidert zur Kenntnis genommen, überrascht ist sie nicht gewesen angesichts der bekannten Fremdenfeindlichkeit in Teilen des ostdeutschen Fußballs. Der Aachener Rassismus nun widerspricht dem Bild, das viele Redaktionen vor der Saison von der angeblichen Sympathiehochburg gemalt haben, wobei sie auch immer die Gewalt gegen Wolfgang Wolf, damals Trainer von Nürnberg, vergaßen, der sich vor drei Jahren bei einem Wurf aus dem Aachener Block verletzte. Ein noch schlechteres Gedächtnis scheint Arena zu haben, Kommentator Frank Buschman hat seinen Live-Bericht vom Tivoli am Samstag mit einem Tschüs „aus dem Epizentrum der Glückseligkeit Aachen“ beendet. Im Umgang mit heiklen Themen hat der neue Bundesliga-Sender anscheinend noch Nachhilfeunterricht nötig. Oder liegt es schlicht daran, daß man die Ware, die einem rund eine Viertelmilliarde im Jahr wert ist, nicht madig macht?
Wolfgang Hettfleisch (FR) fühlt sich zwanzig Jahre zurückversetzt und klopft Schiedsrichter Michael Weiner auf die Schulter, der über die Stadiondurchsage mit Spielabbruch gedroht hat: „Das widerliche Gebrüll einiger Unbelehrbarer in Rostock und Aachen zeigt: So leicht lassen sich Intoleranz, Chauvinismus und völkische Gesinnung nicht aus den Fanblöcken vertreiben, wo sie einst in den 70er und 80er Jahren, etwa in Dortmund und Berlin, einen bedenklich fruchtbaren Nährboden gefunden hatten. Mag sein, daß die jüngsten Schmähungen nicht Ausdruck eines fest gefügten Weltbilds derjenigen sind, die sie inszenieren oder in sie einstimmen. Das macht die Sache aber weder erträglicher noch harmloser. Weiner hat das begriffen und mit seinem beherzten Vorgehen ein Zeichen gesetzt: Keinen Schritt weiter! Künftig sollten alle Referees seinem Beispiel folgen.“
Christoph Biermann (SZ) findet Trost in den neuen, strengeren Anti-Rassismus-Regeln des DFB und in der Politik Theo Zwanzigers: „Die Vereine können sich nicht mehr aus der Verantwortung stehlen. Sie werden sich mit rassistischen Fans auseinandersetzen müssen, denn diese schaden ihnen fortan nicht nur ideell, sondern sportlich und finanziell. Diese erfreuliche Wende hat einerseits mit dem Engagement der Fifa zu tun, die seine Mitgliedsverbände im Kampf gegen den Rassismus verstärkt in die Pflicht nimmt. Zugleich zeigt es, daß sich der DFB unter dem neuen Präsidenten Zwanziger deutlicher als je zuvor zu seiner politischen Verantwortung bekennt. Insofern bedeutet dieses Wochenende das Ende des langjährigen Selbstbetrugs, daß der Fußball unpolitisch sei.“