indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Am Grünen Tisch

Fußballfürst in halblegalen und illegalen Rollen

Oliver Fritsch | Dienstag, 19. September 2006 Kommentare deaktiviert für Fußballfürst in halblegalen und illegalen Rollen

Jens Weinreich fordert angesichts ihrer Dribblings die Auswechslung Jack Warners, den Kartenverkäufer, und Manndeckung für Theo Zwanziger, den Rechnungsfärber

Die Indizien, die den Fifa-Vizepräsidenten Jack Warner belasten, sich durch Verkauf von WM-Tickets unterm Tisch massiv bereichert zu haben, sind durch die Analyse von Ernst & Young so aussagestark wie nie (siehe indirekter freistoss vom 13. September). Doch das Fifa-Exekutivkomitee, das sich zu einer Sitzung in Zürich getroffen hat, beläßt ihn im Amt, ihn, dem Jens Weinreich (Berliner Zeitung) ungeschminkt „Korruption und klassischen Amtsmißbrauch“ vorwirft. Weinreich kritisiert die Fifa wegen der Vergebung Warners und verweist kopfschüttelnd auf den Umfang dessen Delikte: „Die Sittenwächter des Weltfußballs haben wieder beeindruckende Arbeit verrichtet. Zwar liegen gegen Warner Beweise vor, die seine ausufernden Nebengeschäfte – und die seiner Familie – mit WM-Tickets beschreiben. Alles in allem erhärtet sich der Verdacht, daß Warners Sippe eine zweistellige Millionensumme verdient hat an der WM 2006: als Zwischenhändler, als Schwarzhändler, als Ticketverkäufer sowie in anderen legalen, halblegalen und illegalen Rollen. Doch Warner sitzt weiter fest im Sattel.“

Populär ist die Behauptung, Fifa-Präsident Joseph Blatter protegiere Warner, weil er, Blatter, bei seiner Wiederwahl im nächsten Jahr auf die Unterstützung Warners angewiesen sei. Weinreich, der Initiator des sportnetzwerks, einer Vereinigung kritischer Sportjournalisten, schreibt: „Warner zählt zu Blatters wichtigsten Stimmenbeschaffern.“ Thomas Kistner (SZ), Weinreichs Bruder im Geiste, hingegen widerspricht: „Blatter kann 2007 auf den obskuren Fußballfürsten aus der Karibik verzichten, wenn ihn der Fifa-Kongreß im Amt bestätigen soll; dann wird es ja keinen Gegenkandidaten geben. Der Thron ist Blatter auch ohne Warners 35-Voten-Paket gewiß.“ Weinreichs zweite Begründung klingt daher plausibler: „Warner weiß zu viel, und er hat nicht nur einmal damit gedroht, auszupacken, sollte es ihm an den Kragen gehen. Also kommt er auch diesmal ungeschoren davon.“ Die ach so hohe Moral könne die Fifa nur durch eine Ausflucht aufrechterhalten: „Das Exekutivkomitee ließ sich eine spektakulär-dialektische Begründung einfallen: Die Ethik-Regeln, gerade mit viel Tamtam verabschiedet, sind nur auf künftige Fälle anwendbar.“

Nordkoreanische Jubelmeldung in trostlosen Zeiten

Theo Zwanziger, dem neuen ganzen DFB-Präsidenten, wirft Weinreich „ein sinistres PR-Manöver“ vor: von wegen, die WM schreibe schwarze Zahlen, wie Zwanziger behauptet, der mit 135 Millionen Euro Überschuß angibt. Weinreich ergänzt Zwanzigers einseitige Rechnung, indem er ihm erstens die Subventionen der öffentlichen Hand entgegenhält, zweitens das Sponsoring der Deutschen Bahn und Oddsets und drittens die Zinsen, die sich durch das kritisierte Ticketing ergeben haben: „Der Trick ist simpel: Zwanziger redet lediglich über den reinen Organisationsetat, der ursprünglich 430 Millionen Euro betragen haben soll (der Konjunktiv ist angebracht) und in den schon verkappte Subventionen eingeflossen sind, über die nicht gern gesprochen wird: etwa der Einstieg von halbstaatlichen Firmen als nationale Sponsoren oder die vielen quasi zinslosen Darlehen glücklicher Gewinner der Ticketlotterie, die viele Monate vor dem Turnier zahlen mußten. Milliardeninvestitionen wie der Stadionbau (873 Millionen Euro aus öffentlichen Kassen), Infrastrukturmaßnahmen rund um die Stadien (über 600 Millionen), die horrenden Sicherheitskosten (im WM-Etat tauchen lediglich die Posten für Ordnungspersonal auf), um nur einige zu nennen, werden in der Rechnung nicht erfaßt.“ Weinreich verweist auf ein anderes Beispiel: „Das IOC ist wenigstens so ehrlich, bei der Austragung von Olympischen Spielen zwischen dem reinen Organisationsetat (in der Regel etwa zwei Milliarden Dollar) und dem Infrastrukturetat (ein Mehrfaches des Organisationsetats) zu unterscheiden. Fifa, DFB und die deutsche Politik weigern sich, außer dem Etat des OK eine zweite, ehrliche Rechnung aufzumachen.“

Weinreich schält das Rosa heraus, das durch die Meldung von „gutgläubigen“ Agenturjournalisten auf viele Zeitungsseiten geraten ist: „Das liest sich schön, verkauft sich als hübsche Jubelmeldung in trostlosen Zeiten bestens. Indes haben Zwanzigers Behauptungen mit der Wirklichkeit so viel zu tun, wie Nordkorea mit einem demokratischen Gemeinwesen. (…) Niemand sollte sich täuschen lassen: Eine saubere Kosten-Nutzen-Analyse der WM existiert bis heute nicht. Das ist merkwürdig in einem Land, in dem der Fiskus von jedem Kleinunternehmer jährlich eine präzise Einnahmen-Ausgaben-Rechnung verlangt – und bei unpünktlicher Abgabe gern horrende Verspätungszuschläge erhebt.“ Der Schluß seiner Klage, in die er auch die ARD wegen ihrer Liebschaft mit Jan Ullrich einbezieht, liest sich wie ein Kommentar zur Wahl in Mecklenburg-Vorpommern: „Dieses Land [also Deutschland, if], das ja keine Bananenrepublik sein will, macht es seinen Bürgern verdammt schwer, sich nicht abzuwenden und in Politikverdrossenheit zu verfallen. Die üblichen Verdächtigen, die mit etwas Macht ausgestattet sind, tragen alltäglich dazu bei, den Verdruß eines immer größer werdenden Teils der Bevölkerung zu steigern.“

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