Ascheplatz
Gefahr, daß die echten Werte des Sports ausgehöhlt werden
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| Mittwoch, 20. September 2006Korruption, Mißwirtschaft, Betrug, Turbokapitalismus – die schlechten Nachrichten im europäischen Fußball häufen sich. Mittlerweile ruft die Uefa sogar die EU um Hilfe, die prompt ihre Sorgen in einer langen Empfehlungsliste ausdrückt. Eine Sammlung von Nachrichten aus England, Belgien, Polen, Frankreich, Italien, Rußland, Schalke und Dortmund
Wettskandale, Spielmanipulationen, Geldwäsche, Menschenhandel, freund- und weniger freundliche Übernahmen – der europäische Fußball ist vom Zugriff des Turbokapitalismus bedroht. Die Verantwortlichen sind aufgeschreckt; Michael Ashelm (FAS) meldet den Hilferuf des Uefa-Präsidenten Lennart Johansson nach der EU und mehr Regulation des Vereinsfußballs: „Die Fußballbranche fürchtet, die Kontrolle über ihr eigenes Geschäftsfeld zu verlieren. Das Milliardengeschäft entwickelt sich immer mehr zum Zielgebiet der organisierten Kriminalität. Nicht nur, daß die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und den Wettbewerb ändert. Der moderne Fußball muß sich hinter seiner glamourösen Fassade mit dubiosen Beziehungsgeflechten, schmutzigem Geld, Menschenhandel oder Spielmanipulationen auseinandersetzen.“
Vertreter des deutschen Profifußballs, die sich wegen der relativ transparenten Besitzstruktur ihrer Vereine von dem Lamento nur bedingt angesprochen fühlen, hoffen nun auf das große Aufräumen und darauf, daß über ihre Herzensangelegenheit geredet wird: die Gewährleistung der Wettbewerbsspannung durch Zentralvermarktung der kommerziellen Vermarktungsrechte und, womöglich, die Beschränkung der Spielergehälter – Regeln, wie sie etwa im US-Sport üblich sind, was zu einer vergleichsweise starken Homogenität seiner Ligen führt. Doch G14-Vertreter Karl-Heinz Rummenigge, der auch gern mal den „Sozialismus“ im deutschen Klubfußball geißelt, äußert mit Blick auf die internationale Konkurrenz Bedenken: „Im Fußball gibt es keine einheitliche Linie. Es herrscht ein großer Egoismus.“
Ashelm erwähnt auch die Analyse, die die EU auf Initiative Tony Blairs angefertigt hat. Darin wird gewarnt: „Kriminalität im Umfeld des Fußballs, einschließlich Geldwäsche und Handel mit jungen Spielern; Rassismus und Fremdenfeindlichkeit beim Fußball; Glücksspiel und insbesondere dessen Auswirkungen in Form von Ergebnisabsprachen, Korruption und illegalen Wetten; sowie Sicherheit in Fußballstadien. Die eingehende Beschäftigung mit diesen Fragen hat – leider – gezeigt, daß es mit dem Sport und vor allem mit dem Fußball nicht zum Besten steht.“ Der Bericht erstellt eine Liste von Empfehlungen, unter anderem mehr Transparenz in der Vereinsführung, einheitliche und strenge Klublizenzierung, zentrale Vermarktung von Fernsehgeld (eine Überraschung, führen die Wettbewerbshüter der EU gewöhnlich das Kartellrecht gegen die Zentralvermarktung an), Liberalisierung des Wettmarkts, ein Wett-Frühwarnsystem und eine enge Anbindung der Uefa an EU-Institutionen. „Wenn wir unserer Verantwortung nicht nachkommen“, heißt es weiter, „besteht die Gefahr, daß die echten Werte des Sports ausgehöhlt werden und in der Öffentlichkeit die Unzufriedenheit gegenüber der ’schönsten Nebensache der Welt‘ zunimmt.“ Der Text schließt mit der unmißverständlichen und sorgenvollen Forderung: „Es ist Zeit zu handeln.“
Die EU-Analyse im (englischen) Original als pdf
und eine Zusammenfassung auf Deutsch (pdf)
Italien ist ein Magma aus Sport, Medien und Politik
Mit Guido Rossi, dem Sanierer, ist die Hoffnung auf eine Reinigung des italienischen Fußballs verschwunden. Man hat ihn zum Rücktritt gedrängt, weil er zum Chef von Telecom Italia berufen worden ist. Oliver Meiler (BLZ) klärt auf: „Es heißt, er steckt im Interessenkonflikt, weil Telecom Hauptsponsor der Serie A ist. Hintergrund ist aber wohl: Rossi hat sich mit seiner harten Linie nicht beliebt gemacht.“ Peter Hartmann (NZZ) bedauert diese Entscheidung: „Gegen dieses unausrottbare Weiter-so-Denken, gegen die Mentalität berechnender Selbstgerechtigkeit des Milieus kämpfte auch der hochkarätige Aufräumer Rossi wie Don Quijote. Die Empörung über die Manipulatoren am liebsten Spielzeug des Italieners ist verdampft. Dem italienischen Fußball droht ein Rückfall ins institutionelle Chaos. “ Paul Kreiner (StZ) fügt zynisch an: „Der aufgeregte Calcio kann endlich zum Normalbetrieb zurückkehren. So, als wäre nichts gewesen. Der Skandal ist damit beendet, so, als hätte es ihn nie gegeben.“
In der SZ wird Rossi folgend zitiert: „Wäre ich erkältet, würden sie sagen, meine Bazillen könnten den Fußball infizieren. Die Telecom kam ihnen als Vorwand nur allzu passend.“ Und weiter: „Nichts ist passiert. Diesen Fußball kann man nicht reformieren. Hinter den Sonntagsreden gab es nie eine wirkliche Absicht, etwas zu ändern.“ Sein Fazit lautet resignierend: „Das Geflecht aus Politik, Fußball und Medien sei stärker als der Gordische Knoten.“ Der NZZ sagt er: „Italien ist ein einziges Magma aus der Welt des Sports, der Medien und der Politik, unüberwindbar und resistent gegen jeden Einfluß. Und natürlich mit der Deckung der Regierung.“
Tsp: Nach dem Rücktritt von Guido Rossi gibt es im italienischen Fußball kein Interesse an Aufklärung
Beklagenswerter Zustand
Christian Eichler (FAZ) berichtet von einer Initiative des belgischen Sportministeriums, der dem Fußball wieder die Stellung verschaffen wolle, die er in Belgien noch vor kurzem hatte. Den Fußballfunktionären traue er, der Minister, dies nicht zu. Eichler schreibt: „Der Fußball befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Die belgische Liga wurde in der letzten Saison von einem Bestechungsskandal erschüttert, in dem eine chinesische Wettmafia mit dem ganzen Instrumentarium ihrer Branche (Bestechung, Einschüchterung, Erpressung mit Sex-Videos) Einfluß auf Ergebnisse nahm.“
SZ: Polens Fußball: erfolglos, korrupt und im Griff der Wettmafia
Welt: Korruptionsskandal im englischen Fußball (laut BBC)?
Guardian: BBC to name names in bung investigation
FR: Geldwäsche bei MSI, dem Partner West Ham Uniteds?
FR: Tempel des Unheils – über das Bau-Chaos in Wembley
4-4-2.ch: Die Staatsanwaltschaft nimmt Transfers Paris St. Germains von 1988 bis 2003 unter die Lupe
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