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Antidepressivum oder ein Film, wie man in der Völler-Ära Fußball spielte?

Oliver Fritsch | Mittwoch, 4. Oktober 2006 Kommentare deaktiviert für Antidepressivum oder ein Film, wie man in der Völler-Ära Fußball spielte?

Fünf Filmkritiken über Sönke Wortmanns WM-Dokumentation

Daniel Kothenschulte (FR) wischt sich eine Träne von der Wange: „Hier hat man es mit dem seltenen Fall zu tun, daß ein Film ein kollektives Gefühl einfängt, es für die Nachwelt erhält und dabei sogar noch auf sein Idealmaß filtert. Denn die Nostalgie, die dieser leichte Film schon jetzt verbreitet, gilt nicht dem Patriotismus. Sie verweist allein auf diesen herrlichen, unvergeßlichen, verschwenderischen Sommer, der sich gerade mit seinen letzten Sonnenstrahlen von uns verabschiedet.“

Ein freundlicher Verriß von Peter Körte (FAS): „Wenn dieses Land in den WM-Wochen gelernt haben sollte, sich zu mögen, wie Sönke Wortmann meint, dann ist der Film die Probe auf diese fröhliche Selbsttherapie. Er ist so etwas wie der Versuch, das Fanmeilengefühl in die Kinosäle zu tragen: eine Erinnerungsbeschwörung und -verstärkung, die sich das neben dem Fußball mächtigste Kraftwerk der Gefühle sucht: das Kino. Das Kino macht die Dinge größer, es lädt die Augenblicke dramatisch auf und schafft damit eine Projektionsfläche, in der wir uns wiedererkennen können. Deshalb muß man sich dieses ‚Sommermärchen‘ ansehen; aber wenn man genauer hinschaut, ist da ein merkwürdiger Anachronismus. Wortmann filmt die Klinsmann-Zeit so, wie man in der Völler-Ära Fußball spielte: viel in die Breite, oft zurück, zu zaghaft in die Spitze, nur aufs Ergebnis fixiert.“

Reinhard Mohr (SpOn) empfiehlt den Film als Antidepressivum: „Na toll. Jetzt haben wir wieder Gesundheitsreform rund um die Uhr. Merkel-Chaos. Münte-Falten. Pofalla-Näseln. Kurt-Beck-Speck. Niemand blickt mehr durch. Nicht einmal Professor Rürup. Auch egal. Derweil setzen die islamistischen Terroristen ihren Kofferbomben-Dschihad fort, und die ihm vorauseilende Angst macht weder vor dem Papst noch vor Mozart-Opern halt. Dazu gibt’s Wahlerfolge der Neonazis und tonnenweise weiteres Gammelfleisch, und, natürlich, Günter Grass, die alte Zwiebelhaut. Nicht zu vergessen das ‚Eva-Prinzip‘. Und kein Ulrich Wickert mehr, der wenigstens eine ‚geruhsame Nacht‘ wünscht. Das Deutschlandgefühl im Herbst 2006, ein grimmiges Wintermärchen. War es tatsächlich mal irgendwo und irgendwann besser bei uns? So richtig schön? Klasse, geil, cool, wunderbar, traumhaft, locker, leicht? Ja doch. Wer’s partout nicht glauben will, kann ab Donnerstag ins Kino gehen.“

H.G. Pflaum (SZ) beschleicht eine Bedrückung, wenn er Klinsmann auf der Leinwand sieht und hört: „Wir wissen, daß Klinsmanns Methode Erfolg hatte – aber er wirkt hier oft wie ein eifernder Sekten-Prediger, gelegentlich auch wie die Karikatur amerikanischer Motivationsagitatoren. Seine Parolen klingen angelernt, und manchmal schauen die Adressaten seiner Sprüche eher verwundert drein. In diesen Passagen geht der Film weit hinaus über alles, was wir im Fernsehen während der WM über den Trainer erfahren konnten.“

FTD: Der Kabinenprediger – er stand in Flammen und brannte schnell aus: Sönke Wortmanns WM-Film klärt die Frage, warum Jürgen Klinsmann zurücktrat
faz.net: Kritik (Video)

Aus der Zeit-Reihe Patriotismus und WM – Heinrich August Winkler über Deutschlands Geschichte voller Gegensätze

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